Wie Studien in Redaktionen Gehör finden

Studien mit Narrativ

Irgendwann, während Wiebke Ankersen an ihrer Studie arbeitete, stieß sie unweigerlich an einen Punkt, an dem es einer bedeutenden Entscheidung bedurfte. Ein Titel musste her. Provokant sollte er sein, aber nicht zu reißerisch. Schließlich wollte sie mit ihrem Thema auch jene erreichen, die sich sonst wegucken – ohne sie vor den Kopf zu stoßen.

Ankersens Thema sind die wenigen Frauen in Führungspositionen in deutschen Unternehmen. Oder, um es positiv auszudrücken: die Förderung von Frauen, damit sie in solche Positionen gelangen. Seit 2016 leitet die Skandinavistin den deutschen Ableger der schwedischen Allbright Stiftung in Berlin.

In diesem Jahr hat Ankersen ihre erste große Studie für die Stiftung vorgelegt. Sie gab ihr den Titel: „Ein ewiger Thomas-Kreislauf – Wie deutsche Börsenunternehmen ihre Vorstände rekrutieren“. Die Studie hat die Runde gemacht. Nach Spiegel, Süddeutscher Zeitung, Bild und Deutschlandfunk griff vor kurzem sogar die New York Times den „Thomas-Kreislauf“ auf. Allein im März und April zählte Ankersen 187 Veröffentlichungen in Print, Online sowie Radio.

Was ist aus PR-Sicht die Lehre? Wieso stieß gerade diese Studie auf dermaßen viel Interesse? Ankersen ist überzeugt: „Weil wir eine plastische Geschichte erzählt haben.“ Das Narrativ lieferte die Studie quasi gleich mit. Es lautete: Es gibt in den Vorständen der Dax­-,
MDax-, SDax- und TecDax-Unternehmen mehr Personen, die Thomas oder Michael ­heißen (49), als es insgesamt Frauen gibt (46).

Das saß.

Und die Allbright-Studie lieferte noch mehr als nackte Zahlen. Sie versuchte zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass im März 2017 in Deutschland in den Vorständen der börsennotierten Firmen 46 Frauen 630 Männern gegenübersaßen.

Sowohl Objektivität als auch ­Qualität müssen stimmen

„Ein Deutungsangebot“ nennt Christian von Eichborn das. Er ist Pressesprecher der Bertelsmann Stiftung. Kaum eine andere Institution in Deutschland dürfte so viel Erfahrung in der Erstellung und Verbreitung von Studien haben, wie die Gütersloher sie in den vergangenen 40 Jahren ihres Bestehens sammelten.

Allerdings muss vor einem solchen Deutungsangebot etwas anderes stehen, sagt von Eichborn: Qualität. „Ein Redakteur mit beschränkter Zeit muss die Gewissheit haben, dass da Objektivität, dass da Qualität drinsteckt.“ 

Natürlich verdichte man die Inhalte, wenn man auf Basis einer 100 Seiten starken Studie eine Pressemitteilung schreibe. „Das macht es für Leser und Journalisten leichter zu rezipieren.“ Aber zur Qualität gehört für von Eichborn auch, so transparent wie möglich zu sein. Bedeutet: Alle Daten der Studie sowie die Methodik müssten einsehbar sein.

Bei der Verbreitung der Studie gebe es natürlich Basics. Ein gut gepflegter Verteiler zum Beispiel gehört dazu, ein profundes Netzwerk obendrein. Darüber hinaus versucht die Bertelsmann Stiftung noch mehr zu liefern, um in der Flut von Studienergebnissen, die tagtäglich an Redaktionen aller Art kommuniziert werden, nicht unterzugehen.

Mit Experten sind Radio und TV ­besser zu ködern

Da seien zum einen die „Gelegenheitsfenster“, wie von Eichborn sie nennt. Gemeint sind Anlässe, zu denen das Thema einer Studie wahrscheinlich besondere Aufmerksamkeit erregen könnte. Beispiel: die Entwicklungen der Schülerzahlen, die am Ende der Sommerferien in vielen Bundesländern veröffentlicht wurden.

Zum anderen vereinfacht das Aufbereiten regionaler Daten das Durchdringen zu den Redaktionen. Klassisches Beispiel sei hier der „Kommunale Finanzreport“. Aber auch den Status quo der Kita-Betreuung in Deutschland hat Bertelsmann in einer Studie auf die kommunale Ebene heruntergebrochen und die Daten dementsprechend aufbereitet. „So wird eine Studie nicht nur für den Mantelteil einer Zeitung relevant“, sagt Stiftungssprecher Christian von Eichborn. Einen regionalen Bezug herzustellen, sei zudem wichtig mit Blick auf die Landesstudios der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Damit dort eine Studie und ihr Thema aufgegriffen werden, muss noch eine weitere Voraussetzung erfüllt sein: Verfügbarkeit von Fachleuten. Denn sowohl Fernsehen als auch Radio sind nun einmal auf Gesprächspartnerinnen und -partner angewiesen. Von Eichborn sagt: „Mit unseren Fachexperten stehen wir auch über die Veröffentlichung der Studie hinaus zur Verfügung.“

Darüber hinaus hilft es, die eigenen Studien als Marken zu etablieren. Diverse Bertels­mann-Studien etwa sind wiederkehrend, wie zum Beispiel der „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“, der alle zwei Jahre mit neuen Daten publiziert wird. „Das ist relevant“, sagt von Eichborn, „darauf warten die Fachredaktionen.“

Relevante Fragen stellen – und die Antworten gut verpacken

Eine solche Marke will auch Wiebke Ankersen etablieren – mithilfe einer schwarzen, grauen und weißen Liste. Eine erste sogenannte schwarze Liste hatte ihre Stiftung schon im September 2016 veröffentlicht, im ersten deutschsprachigen Allbright-Bericht. Doch damals hatte die Autorin keine Vergleichswerte. Auf die schwarze Liste kamen einfach jene 122 (von 160) börsennotierten Unternehmen, die am 1. September 2016 keine einzige Frau im Vorstand hatten.

Wenn diesen Herbst der zweite Allbright-Bericht erscheint, kann sie Entwicklungen aufzeigen: Wo tut sich etwas? Wo nicht? Wo sind womöglich sogar weniger Frauen als vor einem Jahr im höchsten Führungs­gremium?

Und sie will weitere Berichte aus den Daten, die sie für den „Thomas-Kreislauf“ gesammelt hat, veröffentlichen. Schließlich hat sie nun alle Vorstände mit ihren Biografien in einer Tabelle. „Die Datenbank ist unser Schatz“, sagt Ankersen. „Das Ziel ist, Dinge deutlich zu machen, die einen Aha-Effekt haben.“ Wie bei der Sache mit Thomas und Michael und den wenigen Frauen. „Du musst relevante Fragen stellen – und die Antworten gut verpacken“, sagt sie.

Die Aufbereitung, die Illustrationen, all das sei beim „Thomas-Kreislauf“ fast die meiste Arbeit gewesen. Ob Ministerinnen, ­Headhunter und Headhunterinnen oder Chefinnen und Chefs − die Leute seien von diesem ­Thomas, von der Idee der Aufmachung, amüsiert gewesen, sagt Ankersen. „Dabei ist das ja gar nicht lustig.“ Es sei einfach nur anschaulich gewesen. Das wolle sie mit weiteren Veröffentlichungen wieder schaffen.

Einen Titel für den nächsten Allbright-Bericht hat Ankersen mittlerweile bereits gefunden: „Führung ohne Vielfalt?“ wird er lauten.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VORBILDER. Das Heft können Sie hier bestellen.

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