Wie Marken Greenwashing vermeiden

Nachhaltigkeitskommunikation

Rucksäcke aus „100 Prozent recyceltem Meeresplastik“, ein „echter Mehrwert für die Ozeane“: Solche Versprechen machte der Rucksack-Hersteller Got Bag, der auch Taschen, Koffer und diverse Accessoires vertreibt. Zum Beispiel Trinkflaschen mit der Aufschrift „Create an Impact“. Oder Pullover, auf denen „Ocean Care Club“ steht. Heute wirbt Got Bag nicht mehr mit dem 100-Prozent-Versprechen. Bei einer Recherche vom Medien-Start-up „Flip“ und der „Zeit“ kam heraus, dass der Anteil an Meeresplastik, den Got Bag laut „Zeit Online“ auf Facebook verbreitet hat, gar nicht so hoch ist – sondern nur bei 59 Prozent liegt. Einige Influencer*innen beendeten daraufhin die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen.

Christian Salewski schaut bei solchen Versprechen ganz genau hin. Der Journalist hat zusammen mit drei Kollegen „Flip“ gegründet, das inzwischen zu diversen Marken recherchiert hat. Vorher hatte er als Investigativ-Reporter für die ARD-Sendung „Panorama“ und für „Strg_F“ von „Funk“ gearbeitet.

Anfangs wollte das „Flip“-Gründungsteam vor allem mit einem konstruktiven Blick über Wirtschaft berichten und Journalismus für eine bessere Wirtschaft machen. Heute sieht es das Start-up als seine Mission, Greenwashing zu bekämpfen. „Kein Bock auf Verarsche“, steht groß auf der Website in der Kategorie „Über uns“. Die Mehrzahl der Beiträge ist zwar konstruktiv und zieht ein positives Fazit. Hängen bleiben aber Geschichten wie die über Got Bag.

„Vollmundige Versprechen und exakte Prozentangaben, wie Got Bag sie vor unserer Recherche kommuniziert hat, machen uns bei ‚Flip‘ immer skeptisch“, sagt Salewski. Viele Buzzwords, schwammige Formulierungen, fehlende Beweise („Wir sind die Nachhaltigsten“) und groß angekündigte, aber unspezifische Ankündigungen („Wir sind bis 2050 klimaneutral“) lassen ihn ebenso aufhorchen wie merkwürdige Zertifikate und Schaufensterprojekte, die von den weniger grünen Seiten eines Unternehmens ablenken. Ein anderes Beispiel ist die Geschichte vom Schutz der Meere, die Adidas lange über den doch eher kleinen Ozeanplastik-Anteil des eigenen Sortiments erzählte.

Wachsames Auge

Nicht nur Medienschaffende schauen genau hin, wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeit anpreisen. Auch Umweltverbände oder Zivilpersonen haben ein wachsames Auge. Bei Fehltritten drohen Klimaklagen. Die Deutsche Umwelthilfe hat zum Beispiel gegen zahlreiche Unternehmen geklagt, die mit Begriffen wie „klimaneutral“ geworben haben. Darunter sind bekannte Unternehmen wie Beiersdorf, Rossmann, Hello Fresh, Netto, Shell und Tui Cruises. Falsche Produktversprechen, irreführende Werbung und Verbrauchertäuschung können hierzulande unter Berufung auf das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten werden.

Die im Januar vom EU-Parlament beschlossene Green-Claims-Richtlinie, die 2026 in nationales Recht umgesetzt werden soll, geht aber noch weiter: Sie sieht unter anderem vor, dass Umweltaussagen wissenschaftlich belegbar sein und geprüft werden müssen. Eine Marke gilt dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zufolge dann als Green Brand, wenn sie mit mindestens einem Begriff beschrieben wird, der sich auf Umweltschutz oder Nachhaltigkeit bezieht – „natürlich“, „öko“ oder „recycelbar“ etwa.

Christian Salewski von „Flip“ beobachtet, dass viele Marken vorsichtiger werden, wenn es um Nachhaltigkeitsversprechen geht. „Green Hushing“ heißt das Phänomen, wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen aus Angst vor Kritik und Shitstorms lieber nicht oder nur teilweise kommunizieren. Überhaupt erlebe das ESG-Thema zurzeit einen Backlash, findet Salewski. In Zeiten von Ukraine- und Gaza-Krieg, Wirtschaftsflaute und neuen Regulierungen hätten grüne und nachhaltige Marken einen schweren Stand. „Ich kann mir vorstellen, dass man angesichts dieser Lage meint, mit grünen Werbebotschaften nicht durchzudringen“, sagt der Journalist. „Und dann riskiert man bei sehr vollmundigen Aussagen auch noch, dass einen Journalisten wie wir anrufen, um nachzufragen.“ Darum halte man sich in Marketing und Kommunikation wohl verstärkt zurück.

Beim Waschmittel- und Klebstoffhersteller Henkel setzt man zum Beispiel nicht mehr auf explizit grüne Marken. Vor vier Jahren hatte der Düsseldorfer Konzern die Öko-Marke „Love Nature“ auf den Markt gebracht. Anfang Mai wurde bekannt, dass die Produkte aus dem Portfolio gestrichen werden. 2008 hatte das Unternehmen es schon einmal mit einem grünen Produkt versucht. Doch der Öko-Reiniger „Terra“ verschwand nach ein paar Jahren wieder aus den Regalen. Die Nachfrage war zu gering.

Heute will der Konzern stattdessen die sogenannten Kernmarken „noch nachhaltiger“ positionieren. „Wir glauben, dass wir mit unseren etablierten Marken den größten Einfluss haben, um Nachhaltigkeit in unseren Produktkategorien umzusetzen“, sagt Paul Vetter, General Manager Henkel Consumer Brands Deutschland. Statt neuer Marken gibt es neue Produktkonzepte. Von verschiedenen Reinigern gibt es nun Nachfüllkonzentrate, die für die Anwendung mit Eco-Programmen entwickelt wurden und auch beim Spülen mit kaltem Wasser funktionieren sollen. Wie die Kunden die Produkte möglichst umweltfreundlich nutzen, steht nicht nur auf den Etiketten. Henkel erklärt das auch in seiner Aufklärungskampagne „Weil es einen Unterschied macht“ im Fernsehen, online, in den sozialen und in klassischen Medien sowie in seiner Außenwerbung.

Keine Verrenkungen

Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung in Sachen Nachhaltigkeit vieles richtig machen. Einige von ihnen sind im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) organisiert, der Outdoor-Ausrüster Vaude zum Beispiel oder der Kosmetikhersteller Weleda. Ihnen fällt es leicht, sich als Green Brand zu präsentieren. „Weleda muss keine Verrenkungen machen, um als ‚grüne‘ Marke zu gelten“, sagt ein Sprecher über das Unternehmen, das schon vor rund 100 Jahren Naturkosmetik hergestellt hat. „Sie ist es.“ In den vergangenen Jahren hat sich der Markt jedoch verändert. Öko ist keine Nische mehr. Die Zahl der Wettbewerber hat sich vervielfacht. Etliche Marken wollen heute grün sein.


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Rügenwalder Mühle gehört erst seit zehn Jahren dazu. Damals brachte der Wurst- und Fleischwarenhersteller die ersten vegetarischen Produkte auf den Markt. Heute ist das Unternehmen Marktführer im Bereich pflanzlicher Fleisch- und Wurstalternativen. Die Firma musste dabei von Anfang an einen Spagat hinkriegen und sowohl die Fleischesser als auch die Veganer ansprechen.

„Als Marke ist es uns daher besonders wichtig, dass wir nicht dogmatisch sind“, sagt Chief Marketing Officer Steffen Zeller. „Wir wollen niemandem vorschreiben, wie er oder sie sich ernähren sollte. Stattdessen wollen wir allen Ernährungsformen ein Angebot machen und so mit unseren Produkten alle an einen Tisch bringen.“ Die Entscheidung, ob dieser Ansatz Rügenwalder Mühle zu einer grünen Marke macht, überlasse man darum den Konsument*innen.

Aus Sicht von Journalist Christian Salewski ist es ganz einfach: „Wer Nachhaltigkeitsaussagen macht, muss seine Fakten beisammenhaben und sie gut belegen können.“ Wenn er das Gefühl hat, dass ein Unternehmen offen kommuniziert und vielleicht auch von sich aus Punkte anspricht, in denen es noch nicht so nachhaltig ist, bilde das Vertrauen. „Viele Probleme würden gar nicht erst entstehen, wenn Unternehmen jemanden sprechen lassen würden, der erklären kann, warum man bei der Herstellung eines Produkts bestimmte Kompromisse eingegangen ist.“

Hier mache es Sinn, auf Storytelling zu setzen und den Entstehungsprozess gut zu erklären. Als Positivbeispiel nennt Salewski den Sportkleidungshersteller Runamics, der über sein recyclebares T-Shirt aus Polyester schreibt: „Kein Produkt ist nachhaltig. Jedes Produkt verursacht Emissionen und bringt entlang der Wertschöpfungskette Probleme mit sich, die nicht gut für unseren Planeten sind.“ Der Hersteller erklärt außerdem, warum das T-Shirt aus Kunstfasern besteht.

„Flip“ bietet Unternehmen inzwischen selbst Beratung an. Getrennt von der Redaktion, unterzieht das Team Marken dem sogenannten „Flip“-Check. Dabei sichten die Nachhaltigkeitsexperten alle öffentlich einsehbaren Kanäle des Unternehmens und klopfen die Umweltversprechen auf Anzeichen von Greenwashing ab. Geprüfte Marken können anschließend auf die Plattform „trusted by Flip“ kommen, so wie der Sportartikelhersteller Runamics. Die sechs goldenen Regeln der „Flip“-Corporate-Berater für gute Nachhaltigkeitskommunikation: Seid ehrlich, transparent, sorgfältig, spezifisch, entschlossen und selbstkritisch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Brands. Das Heft können Sie hier bestellen.

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