Transparenz ist das beste Rezept

Am 6. Januar 2012 jährte sich der Geburtstag des Unternehmensgründers  August Oetker (1862-1918) zum 150. Mal. Der junge Bäckerssohn entwickelte in seiner „Geheimfabrik“ das Oetkersche Backpulver und hatte die zündende Idee: das Pulver in 20-Gramm-Päckchen abfüllen und so gezielt vermarkten. Heute beschäftigt das Familienunternehmen weltweit 26.000 Angestellte und setzt elf Milliarden Euro um. Eine Frage, die sich in Bezug auf die Familienhistorie stellt: Inwieweit fußt dieser Reichtum auf kriegswirtschaftlichen Gewinnen und Zwangsenteignungen?

Der Unternehmensgründer-Enkel Rudolf-August Oetker (1916-2007) befahl seiner Familie, bis zu seinem Tod über seine eigene und die NS-Vergangenheit seines Ziehvaters Richard Kaselowsky (1888-1944) zu schweigen. Sein Sohn August Oetker (*1944) hielt sich daran und erteilte erst 2009, zwei Jahre nach dem Tod des Familienpatriarchen, einen Forschungsauftrag an den Historiker Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München. Im Oetker-Geburtsort Bielefeld gab es bereits lange Streit um die „Richard-Kaselowsky-Kunsthalle“, die einen Mann ehren sollte, der den Backpulverfabrikanten zwar souverän durch den Krieg geführt hatte, aber bekennender „Nationalsozialist des Herzens“ gewesen war.

Wachsendes historisches Bewusstsein

Neben Dr. Oetker haben viele Firmen die Aufarbeitung der NS-Zeit lange vor sich hergeschoben. Die NS-Periode wurde in den Festschriften der Chefetagen, wenn überhaupt, in nur wenigen Sätzen abgehandelt.
 Das änderte sich, als Daimler-Benz 1986 mit einer selbstgefälligen Jubiläumsschrift eine unabhängige Gegen-Studie provozierte. 1994 reagierte Daimler auf das PR-Desaster mit einer wissenschaftlichen Studie zur Zwangsarbeit. Volkswagen und die Deutsche Bank legten ebenfalls die ersten wissenschaftlichen Studien vor; mit positiven Konsequenzen: „Mittlerweile ist ein guter wissenschaftlicher Standard  etabliert. Man kann sich auf die Studien verlassen“, sagt Ralf Banken, Dozent für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Um diesen Standard zu garantieren müssen die Unternehmen ihre Archive öffnen. „Man muss die Möglichkeit haben, die jeweiligen Verhaltensweisen der Unternehmen zu beleuchten. Denn Zwangsarbeiter hat beispielsweise jedes größere Industrieunternehmen beschäftigt“, ergänzt Ralf Ahrens, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.  Das geht nur mit uneingeschränkter Akteneinsicht und einer vertraglichen Zusicherung, dass die Ergebnisse gedruckt werden. Es gibt nämlich auch schwarze Schafe, beispielsweise Krauss-Maffai, Lufthansa oder Henkel, die Studien abbrachen, nicht veröffentlichten oder die Archive eisern verschlossen halten.

Ein offenes Firmenarchiv und Familienstreit

Die Oetker-Familie gewährte Wirsching und seinen Mitarbeitern freien Zugang zum Firmenarchiv und zu einem bisher unerschlossenen Schatz: circa 70 Kartons mit privaten Akten Kaselowskys und Rudolf-August Oetkers. Die Familie verhielt sich den Forschern gegenüber vorbildlich. Doch die Witwe des 2007 verstorbenen Oetker-Chefs bedauert diesen Schritt womöglich bereits. Die Studie enthalte „zahlreiche Unterstellungen“, die „nicht bewiesen werden können“, ärgert sich Maja Oetker (*1934) im Interview mit der „Neuen Westfälischen Zeitung“. Die Ergebnisse sprechen eine andere Sprache. Rudolf-August Oetker erklärte beispielsweise nach dem Krieg, er sei zur Waffen-SS kommandiert worden. Es ist jedoch bewiesen, dass er seit 1941 freiwilliges Mitglied, später sogar SS-Untersturmführer war. Die Forscher präsentieren ein ungeläutertes Familienoberhaupt. 1964 ernannte Rudolf-August Oetker den Sohn des  ehemaligen Reichsaußenministers Rudolf von Ribbentrop zum Direktor seiner Privatbank.

Dr. Oetker und die NS-Weltanschauung

Der Forscherblick geht  noch weiter zurück: Was das Zwangsarbeitersystem betrifft, war der Bielefelder Stamm-Betrieb kaum involviert. Beteiligungsfirmen wie Gundlach, Kochs Adler und Phrix-Hefe beschäftigten jedoch viele KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter unter miserablen Bedingungen. Früher hieß es, die Unternehmen hätten keinerlei Handlungsspielraum gehabt. Heutzutage gilt, das hatten sie sehr wohl. Nur wie groß dieser war ist diskussionswürdig. Die Oetker-Firmenspitze versuchte damals, den Druck der NS-Zwangswirtschaft  so umzuleiten, dass er den eigenen Interessen entgegenkam. Dr. Oetker wurde 1937 sogar als „NS-Musterbetrieb“ ausgezeichnet.

Solche Verhaltensweisen aufzuarbeiten kann viel bewirken. „Ein Unternehmen, das ziemlich stark in der Kritik stand, ist nach der Veröffentlichung meist aus der Schusslinie“, meint Banken. Auch Ahrens bestätigt: „Es gehört vielfach zum guten Ton, eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit im Rahmen von Festschriften in Auftrag zu geben. Diese Offenheit lässt sich als Imagefaktor nutzen.“ Versuche der „Weißwascherei“ wie beim Quelle-Gründer Gustav Schickedanz, dem „Eiskönig“ Theo Schöller oder bei der Unternehmensfestschrift von Röchling  gehen meistens schief. Es sind bekannte Negativbeispiele für  Studien, die auf wissenschaftliche Belegtechniken verzichten, beschönigend formuliert sind oder kaum in die Tiefe gehen. Solche so genannten „Coffee Table Books“ sind weit entfernt von einer seriösen Geschichtsaufarbeitung.

Die Oetker-Studie ist, wie die von der Dresdner Bank, Bosch, Allianz oder Degussa, ein schönes Beispiel für äußerst gründliche Recherche. Besonders lobenswert: Die Ergebnisse wurden anschaulich, verständlich und prägnant präsentiert. Und das ist bei wissenschaftlichen Arbeiten keine Selbstverständlichkeit.

Das Buch


Andreas Wirsching, Jürgen Finger und Sven Keller. Dr. Oetker und der Nationalsozialismus: Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945. C.H. Beck. München: 2013. 29,95 Euro.

In der Print- Ausgabe 08/2013 ist uns leider in dem Artikel “Transparenz ist das beste Rezept”  ein Namensfehler unterlaufen. Nicht Alfred Oetker hat die Studie initiiert, sondern sein Halbbruder August Oetker. Den Fehler haben wir in dieser Online-Fassung korrigiert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Profession Pressesprecher. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel