„Ohne Bühne keine Führung“

„Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch mal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist“ – so hat es einmal die Hamburger Volksschauspielerin Heidi Kabel gesagt. Das visionäre Zitat von damals provoziert noch heute die Herren. Und es bringt die Damen zu einem verhaltenen Lachen. PR-Fachleute stimmt das Zitat nachdenklich, denn schließlich hat die Kabel als Frau mit Führungsverantwortung immer in der ersten Reihe auf der Bühne des Lebens gestanden, ihr Ohnsorg-Theater erfolgreich geleitet und nicht nur andere, sondern auch sich selbst permanent in Szene gesetzt.

In der letztveröffentlichten „Vermessung eines Berufstandes“ der „Profession Pressesprecher 2009“ stellen Günther Bentele,  Lars Großkurth und René Seidenglanz fest, dass der Frauengesamtanteil in der PR-Branche mit rund 50 Prozent in Deutschland sehr hoch ist. Allerdings sind Frauen an der Spitze von Kommunikationsabteilungen großer Unternehmen laut Studie immer noch eher die Ausnahme. Warum? Als entscheidende Karrierebarriere für Frauen geben in der Befragung beide Geschlechter die Herausforderung an, Beruf und Familie zu vereinbaren beziehungsweise eine verträgliche Work-and-Life-Balance hinzubekommen. Sehr unterschiedliche Auffassungen haben Frauen und Männer jedoch darüber, inwieweit „Männerseilschaften, Berufserfahrung, Rollenverständnis und Durchsetzungsstärke“ für PR-Managerinnen karriereförderlich oder -bremsend sind. (Bentele, Günther/ Großkurth, Lars/Seidenglanz, René: Profession Pressesprecher 2009. Vermessung eines Berufstandes, S. 131 ff.)

Mit neuen Spielregeln

Genau hier liegt der Hase im Pfeffer und schreit nach näherer Betrachtung: Es stellt sich erstens die Frage, welche Barrieren in der Gegenwart die ‚Mädels‘ aus objektiver Sicht davon abhalten, auf den (PR-)Führungsetagen in den ‚Jungs-Club‘ zu kommen und mit den bisher vorhandenen Spielregeln umzugehen. Es geht zweitens in Zukunft auch darum, wie sich allmählich der Jungs-Club in einen ‚gemischten Club‘ mit neuen Spielregeln und einer neuen Führungskultur entwickeln wird, in der Männer und Frauen sich mit ihren typischen Eigenschaften und Fähigkeiten gegenseitig ergänzen und ihr Unternehmen nachhaltig stärken. Ob bei der Einrichtung eines Mixed Clubs drittens eine Frauenquote oder zahlenmäßige Selbstverpflichtung von Unternehmen förderlich sein könnte, ist ebenfalls eine spannende Frage.

Unternehmen mit der größten Gender Diversity im Top Management erreichten eine zehn Prozent höhere Eigenkapitalrendite, einen um 48 Prozent höheren EBIT-Wert, und einen um 170 Prozent stärkeren Aktienanstieg (Mc Kinsey & Company 2007, Women matter: Gender diversity, a corporate performance driver). In den OECD-Ländern stellen Frauen 55 Prozent aller Universitätsabsolventen, und ihr Anteil wächst weiter (vgl. OECD und „Auf dem Weg zu „gender balanced leadership“. Was nicht funktioniert hat – und was funktionieren könnte. Deutsche Bank Research 2011). In Kürze kann es sich daher kein Unternehmen mehr aus wirtschaftlichen, demographischen und gesellschaftlichen Gründen leisten, die Überzahl der gut ausgebildeten Akademikerinnen für die obere Führungsebene außer Acht zu lassen.

Welche Herausforderungen und Barrieren also haben bisher zahlreichen Frauen beim Aufstieg in die Nummer-1-Position der PR-Abteilungen und bei der Aufnahme in die Geschäftsführungsriege behindert? Waren es die Strukturen, die Männer oder waren die Frauen sich gar selbst ein Hindernis? Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: „Wer gesehen werden will, muss sich sichtbar machen“. In Bezug auf die eigene Selbstvermarktung und die aktive Übernahme von Verantwortung sind viele PR-Nachwuchs-Managerinnen oft zurückhaltender als ihre männliche Kollegen, weil sie sich – ihrem Wesen entsprechend – nicht so gerne „in den Vordergrund spielen“ wollen. Lautes männliches ‚Machtgehabe‘ und ‚Statusspielchen‘ sind ihnen suspekt. Frauen agieren oft leiser, aus dem Hintergrund heraus. PR-Frauen sind im allgemeinen exzellent darin, gut ausgearbeitete Pressetexte oder Frage-Antwort-Kataloge vorzulegen, das Email-Account bis zum Ende des Tages ‚abzuarbeiten‘ und alle externen und internen Anfragen ausführlich zu beantworten. Aufgrund ihrer hohen Team- und Serviceorientierung handeln sie oft eher reaktiv als aktiv und befinden sich im Antreiber- oder Gefälligkeitsmodell (sei perfekt und fleißig!). Dadurch machen sie es eher den anderen recht als ich selbst. Sie zünden viele kleine Kerzen statt wenige große Leuchttürme an, und sie fallen dadurch weniger deutlich für eine Nummer-Eins-Führungsposition in der Unternehmenskommunikation auf. In der aktuellen McKinsey-Studie ‚Women Matter 2012: Making the breakthrough‘ bringt es ein Zitat auf den Punkt: „Women think that everyone can see how hard they work, so they don’t have to communicate it“. Was die Chefetage jedoch wünscht, ist eine Kommunikationsberaterin, Strategin und Problemlöserin, die sich auf das Wesentliche konzentriert (80/20 statt 150 Prozent), das Geschäft versteht und aktive Vorschläge unterbreitet, die für die Wirkung des Corporate Image einen Unterschied machen.

Doch wie fällt frau am besten auf? Gerne starten PR-Frauen ihre Karriere im sicheren Hafen der internen Kommunikation, kommen damit aber seltener – außer in Veränderungs- oder Krisenprozessen – mit der Vorstandsetage in Berührung. Mehr Raum für Chef-Begegnung auf Augenhöhe und damit auch mehr Sichtbarkeit bietet die (strategische) externe Kommunikation, die Finanzkommunikation sowie der Bereich Public Affairs/politische Kommunikation. Hier gibt es die Gelegenheit, einen meinungsstarken Beitrag, eine aufmerksamkeitsstarke Rede oder ein imagebildendes Interview für das Top-Management eigenständig vorzubereiten. Und hier stellt sich sowohl für die Leitung des Unternehmens als auch für die Leitung der Unternehmenskommunikation bald der alte Grundsatz heraus: „Ohne Bühne keine Führung“.

Wink mit dem Zaunpfahl

Führungsfähigkeit kommt auch durch eine zukunftsorientierte Auswahl von Themen zum Ausdruck. Meinungsführerschaft (Englisch: thought leadership) bedeutet in den meisten Fällen Risikobereitschaft, visionäres Denken in größeren Zusammenhängen als „unser Produkt – unser Unternehmen – unsere Branche“. Dazu gehört die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und klare Positionierung auch im Falle von möglichem Widerstand. Weibliche PR-High-Potentials sollten hier bereits zu Beginn ihrer Karriere ermutigt werden, sich angstfrei zu exponieren und ihre Vernetzungsfähigkeit voll zum Tragen zu bringen. Männliche PR-Nachwuchsführungskräfte machen sich im Schnitt gerade zum Führungsthema bereits gegen Ende des Studiums mit Mitte/Ende 20 Gedanken, während ihre weiblichen Mitstreiterinnen erst mit Anfang/Mitte 30 damit beginnen, wenn sie schon einige Jahre in der PR-Praxis sind. Und benötigt die Führungsetage aktive Expertise bei anspruchsvollen PR-Projekten („wer kann das machen?“), dann sind viele PR-Frauen im Vergleich zu den Männern relativ zaghaft, gehen auf Nummer sicher, empfangen eher Kommunikationsaufträge als sie zu entwickeln, und werden so zwangsläufig weniger gesehen. Frauen unterschätzen sich lieber statt sich zu überschätzen, und ziehen dadurch in Karrierefragen im Vergleich zu den Männern leider nicht selten den Kürzeren. Um aber für die Leitung der Unternehmenskommunikation positiv aufzufallen, täte es Frauen gut, nicht nur mit dem kommunikativen Strohhalm, sondern mit dem Zaunpfahl zu winken. Und Frauen sollten sich auch innerlich mehr damit beschäftigen, wie sie mit ihren PR-Projekten strahlen statt wie sie versagen könnten. Dies gilt sowohl für die Erstellung von Kommunika­tionskonzepten, die Durchführung von Projekten sowie für die nacharbeitende Zusammenfassung von positiven PR-Ergebnissen gegenüber dem Topmanagement. Werden diese Grundsätze beachtet, so kommt mit dem PR-Erfolg dann wahrscheinlich bald der Karriere-Durchbruch und damit der Zugang zur Führungsetage. Rückblickend wird die eine oder andere Kommunikations-Chefin dann vielleicht sagen, dass beim Aufstieg die gläserne Decke tendenziell eher im Frauen-Kopf statt in der Männerhierarchie oder in den Strukturen lag.

Hat die PR-Frau es einmal in eine Nummer-Eins-Führungsposition geschafft, so hat sie die Möglichkeit, ihre typischen Fähigkeiten voll einzubringen. Der Aufstieg in die Chefetage ist aber nicht automatisch gleichzusetzen mit dem Agieren und Gestalten der derselben. Bekanntlich sind Frauen in den meisten Topmanagement-Teams heute noch in der Minderheit. Und sie stehen vor der Herausforderung, einerseits in der bisher männlich geprägten Führungskultur mit den vorhandenen Spielregeln und Business Codes umzugehen, sich dabei aber nicht selber wie ein Mann zu verhalten. Stattdessen können sie ihre originären weiblichen Fähigkeiten, Stärken und ihren Stil in ein zunehmend weiblicher werdendes und damit weiblicher agierendes Führungsteam einbringen. Damit kommt ihnen in der Führungsriege und auch gegenüber dem Führungsnachwuchs eine Pionier- und Vorbildrolle zu. Frauen an der Spitze werden zu Streiterinnen für Komplementarität von Männern und Frauen und gleichberechtigter Unternehmensführung, also für gender balanced leadership. Die Deutsche Bank hat zu diesem Thema im Jahr 2011 im Vorfeld der Konferenz „Women in European Business“ eine umfangreiche Studie vorgelegt (Auf dem Weg zu „gender balanced leadership“. Was nicht funktioniert hat – und was funktionieren könnte. Deutsche Bank Research 2011). Die Autoren gehen davon aus, dass Unternehmen davon profitieren, wenn mehr Frauen Führungspositionen besetzen. Sie fordern die Schaffung eines Arbeitsumfelds, dass für beide Geschlechter attraktiv ist. Sie weisen die Männer darauf hin zu akzeptieren, dass Frauen anders sind und laden sie ein, einen Blick dafür zu bekommen, dass sich die Perspektiven und Fähigkeiten von Männern und Frauen in positivem Maße ergänzen.

Während Männer auf typische Stärken wie Durchsetzungsfähigkeit, Machtbewusstsein, Ziel- und Wettbewerbsorientierung sowie Risikobereitschaft zurückgreifen können, repräsentieren Frauen stattdessen Eigenschaften wie Beziehungsorientierung, partizipativer Führungsstil, Flexibilität, Authentizität, Fair Play sowie verbindliche und motivierende Kommunikation. Diese Eigenschaften gewinnen gerade in Zeiten von Paradigmenwechseln und strukturellen Veränderungen (Digitalisierung, zunehmende Wissensintensität, Demografie, Globalisierung, veränderte Wertschöpfungsmuster) zunehmend an Bedeutung. Und genau hier liegt die Chance der Frauen.

Mehr Flexibilität

Frauen planen ihre Karriere nicht nur danach, was sie beruflich weiterbringt, sondern auch danach, welchen Raum der Beruf für Privates gibt. Deshalb werden Frauen im Alter zwischen 30 und 45 die Karrieremuster und strukturellen Begebenheiten in Unternehmen zunehmend hinterfragen. Darauf müssen sich die Personalabteilungen im ‚War for Talents‘ einstellen. Frauen – egal ob mit Familie oder ohne – bekommen in den meisten Fällen den privaten Rücken nicht für den Beruf in gleicher Form freigehalten, wie es die klassische Rollenverteilung für die Männer vorsieht. Deshalb ist für Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Balancierung von Work und Life wichtiger. Und deshalb fordern Frauen im Beruf auch mehr zeitliche und örtliche Flexibilität und hinterfragen stärker die Präsenzkultur. Das ist im Übrigen eine Haltung, die laut Deutsche Bank Research bei männlichem Führungsnachwuchs unter 30 und bei erfahrenem männlichem Führungspersonal über 50 Jahren schon heute zu beobachten ist.

Was muss sich noch ändern, damit sich was ändern wird? Gesetzliche Zwangs-Quote oder freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen im Rahmen einer Flexi-Quote? In beiden Fällen geht es ja um die Festlegung auf ein Zahlenziel für die obere und vor allem erste Führungsriege. Und hier tun sich die Herren in den Geschäftsführungsteams großer Unternehmen in vielen Fällen noch erkennbar schwer. Obwohl von männlichen Chefs und CEOs zwecks Erreichung von Unternehmenszielen ständig Zahlen auf PowerPoint oder Excel an die Wand geworfen werden und danach die Vision von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in die Realität umgesetzt wird. Weibliche Führungsnachwuchskräfte bekennen sich noch häufig ungern zu jedweden Frauenquoten, weil sie eben nicht als Quotenfrauen durchgehen wollen. Bezeichnend aber ist, dass zahlreiche Frauen, die bereits als Top-Managerinnen ganz oben angekommen sind, sehr offen für Frauenquoten in Geschäftsführung und Aufsichtsrat sind, damit sich endlich was ändert. (Hergert, Stefanie und Kewes, Tanja: Chefinnen fordern die Quote, Handelsblatt 11.2.2011.) Es bleibt abzuwarten, was sich politisch zum Thema gesetzliche Quote in Deutschland und auf EU-Ebene bis 2013 bewegen wird. In der Zwischenzeit werden in größeren Unternehmen nur dann mehr qualifizierte Managerinnen in Toppositionen ankommen, wenn sich die Chefetage zu internen freiwilligen Frauenquoten pro Führungsebene bekennt, eine neue gemischte Führungskultur klar definiert, flexible Arbeitszeitmodelle eingerichtet sowie Recruiting- und Personalentwicklungsprozesse entsprechend überprüft werden (McKinsey & Company 2012, Women Matter: Making the Breakthrough).

Neue Spielregeln für den ‚Mixed Club‘ könnten so aussehen, dass der bisher gelernte männlich geprägte Führungsstil (hierarchisch, Status sichernd, interner Wettbewerb, Kontrolle) überdacht und neu formuliert wird, und zwar von ganz oben. Es gibt einen neuen weiblicher geprägten Führungsstil, der bereits heute von zahlreichen Männern praktiziert wird: „Da Führung künftig von komplexem Wissen und Innovationen aller Mitarbeiter abhängt, werden neue Führungsmodelle stärker auf die Integration von Ideen, auf Zusammenarbeit und Inklusion abstellen“ (Deutsche Bank Research 2011 und Tarr-Whelan, Linda 2009: Women lead the way. Berrett-Koeler Publishers). Und Frauen können sich hier mit den oben beschriebenen Führungsfähigkeiten und originären Stärken voll einbringen.

Auf dem Weg zu einer neuen gemischten Führungskultur werden Coaching- und Mentoringprogramme für weiblichen und männlichen Führungsnachwuchs an Bedeutung gewinnen. Selbstvermarktung für Frauen, gezieltes Networking, gegenseitige Rücksichtnahme in gemischten Führungsteams und die Realisierung von Work-Life-Balance könnten dabei wichtige Inhalte werden. So wird der Vision, dass fähige Männer und Frauen gemeinsam und komplementär zueinander in den Chefetagen einen Unterschied machen, bald nichts mehr im Wege stehen. Und so werden sich Frauen auf der Führungsbühne zunehmend wohler fühlen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Führung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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