„Nachhaltigkeit ist mehr als Ökologie“

Nachhaltig und Digital wirtschaften

Nachhaltigkeit und Digitalisierung stehen weit oben auf der Agenda von Unternehmen. Statt beide Buzzwords voneinander getrennt mit Inhalt zu füllen, plädiert Caroline Krohn, Inhaberin von Wirtschaftsdiplomaten Krohn & Partner, dafür, beide Trends zusammenzudenken. Im Interview erklärt sie, wie das gelingen kann.

 

Wieso sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung nicht schon längst Teil der DNA von Unternehmen? Wieso spricht man noch von Trends?

Caroline Krohn: In der Tat ist es so, dass beide Themen bereits als Trend erkannt sind. Soweit würde ich gehen. Unternehmen ist momentan aber noch nicht klar, dass beide miteinander zu tun haben können. Wie so oft machen Unternehmen Silos auf. Das eine beschäftigt sich mit Digitalisierung, das heißt mit Produktivitätsfortschritten, mit Effizienzgewinnen oder auf Produktseite mit Profitmaximierung.

Nachhaltigkeit hat einen schwereren Stand im Unternehmen, weil dort die Verhinderer gesehen werden. Denn unter Nachhaltigkeit sieht man ganz häufig Themen, die das Wachstum einschränken, aufwändiger und bürokratischer sind. Unabhängig davon ist mir wichtig, die Themen in einen Zusammenhang zu bringen.

Wieso ist das wichtig?

Ich glaube, wenn man darauf käme, beides zusammenzubringen, könnte man in beiden Feldern Erfolge erzielen. Zum einen brauchen wir digitaleres Denken und digitale Verfahren, um als Unternehmen nachhaltiger werden zu können. Zum anderen müssen wir fragen, wie nachhaltig unsere Digitalisierung ist. Wie betreiben wir unsere Server, wie recyceln wir unsere Hardware? Kann man die Digitalisierung von Anfang an zu Ende denken? Nachhaltigkeit ist für mich deutlich mehr als Ökologie oder Fortschritte im sozialen Bereich. Nachhaltigkeit im Management bedeutet, jede Managemententscheidung in einen größeren Kontext zu bringen und auf ihre Langfristigkeit hin zu überprüfen. Dazu gehört auch, dass wir in der Digitalisierung darüber nachdenken: Müssen wir opportunitätsgetrieben sein? Oder sollten wir von Anfang an über Sicherheit in der IT und Datenschutz reden? Auf diese Weise wird Digitalisierung nachhaltiger.

Welche Rolle spielt dabei Nachhaltigkeit in der Unternehmenskommunikation?

Seit einigen Jahren gibt es neue regulative Anforderungen an Unternehmen. Das hat ihnen geholfen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Es gibt EU-Richtlinien zur Berichterstattung sogenannter nicht-finanzieller Indikatoren, der sogenannten Nachhaltigkeitsberichte. Damit ist das Thema erwachsen geworden. Ein Unternehmen muss sich seitdem nicht nur darüber Gedanken machen, inwieweit es die Umwelt beeinträchtigt und, überspitzt formuliert, Zulieferer und Mitarbeiter ausbeutet. Es geht ganz klar darum, die Dinge, die ihre Existenzberechtigung untermauern, systematisch in einen Bericht zu fassen.

Und das hat das Thema in der Kommunikation getrieben?

Genau. Doch es gibt ein Problem. Wenn man anfängt, Dinge aus Compliance-Gründen zu machen, hört man auf, sie aus kommunikativen Gründen zu machen und sich als Unternehmen zu erklären. Da ist die Nachhaltigkeitskommunikation in den letzten Jahren steckengeblieben. Der eigentliche Sinn dieser Berichterstattung, zu fragen welchen gesellschaftlichen Mehrwert ein Unternehmen erzeugt, ist in den Hintergrund gerückt.

Welchen Stellenwert messen Unternehmen demgegenüber der Digitalisierung zu?

Ich weiß noch nichts von irgendeiner Digitalisierungskommunikation. Digitalisierung ist nach wie vor ein Managementthema. Ich finde wenige Anknüpfungspunkte in Unternehmen, wo man das Thema Digitalisierung wirklich diskutiert. Wie Digitalisierung in der Kommunikation ausgestaltet werden kann, hat zu tun mit Entscheidungen. Muss ein Kommunikator unbedingt Social Media machen? Muss ein Unternehmen unbedingt Blockchain oder künstliche Intelligenz machen? Nicht alles ist für jedes Unternehmen sinnvoll. Aber es ist absolut sinnvoll für ein Unternehmen, sich zu bestimmten digitalen Entscheidungen zu bekennen und zu erklären.

Digitalisierung ist ein Buzzword. Was stecken da im Unternehmenskontext für typische Maßnahmen dahinter?

Digitalisierung bezieht verschiedene Bereiche ein. Wenn ein Kommunikator über Digitalisierung spricht, spricht er häufig über Social Media, Bots oder künstliche Intelligenz.

Wenn ich mit dem Produktionsleiter einer Fabrik rede, spricht er bei Digitalisierung von dem, was wir vor 20, 30 Jahren als Automatisierung verkauft haben. In den meisten Unternehmen gibt es Chief Digital Officer. Die kümmern sich um Effizienzgewinne in der Organisation, führen also IT-Systeme ein oder versuchen bestimmte Abläufe über das Qualitätsmanagement effizienter zu gestalten. Im Wesentlichen geht es dabei darum, sensorisch auszulösen, wann eine Schnittstelle zwischen zwei Abteilungen miteinander kommuniziert, sodass jeder die Information hat, die er braucht, um selbst einen Arbeitsvorgang auszulösen. Das sind alles fortschrittliche Methoden. Auf der anderen Seite ist das ganze Thema Digitalisierung eben auch ein Potenzialthema.

Welche Potenziale bietet das Thema?

Unternehmen machen sich zunehmend darüber Gedanken, wie konventionelle Geschäftsmodelle ins Digitale übertragen werden können. Digitale Ökonomie umfasst oft Plattformen, die es ermöglichen mit dem User beispielsweise über Apps zu korrespondieren. Es geht auch viel Analytics, die Frage, inwieweit die Daten, die ich in meine Geschäftsprozesse einziehen, uns zu neuen Erkenntnissen führen, die in neue Produkte münden können. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo sehr viel gemacht worden ist. Eines ist Vissmann in Hessen, die aus dem Heizungs- und Kühlwesen kommen. Die steuern große Teile ihres Geschäfts über die Interaktion sowohl mit den Zwischenhändlern als auch mit den Kunden. Denn sie sagen, sie verkaufen keine Heizung, sie verkaufen Wärme. All diese Themen sind in der Tat disruptiv.

Inwiefern?

Wenn man sich von Anfang an darüber Gedanken macht, wie das Ganze nachhaltig vollzogen wird, ist gerade jetzt ein kritischer Zeitpunkt, um zu sagen, nachhaltig hieße, dass wir auch verstehen, wo unsere Ressourcen herkommen, wenn wir digitalisieren. Wenn wir mehr digitalisieren, dann bedeutet das, dass wir mehr Ressourcen verbrauchen. Auf der anderen Seite muss ich mir als Unternehmen darüber Gedanken machen, dass wenn ich mit Daten arbeiten möchte, wenn ich mit Kunden interagieren möchte, das immer auch bedeutet, dass ich in der absoluten Verpflichtung stehe, die Daten meiner Kunden zu schützen. Und zwar nicht als Feigenblatt und nicht als Murren aufgrund der DSGVO. Ich muss den USP erkennen, dass wir hier in Europa die Möglichkeit haben und damit weltweit die größte Sicherheit schaffen können für unsere Bürgerinnen und Bürger und die Kunden.

Wie kann es gelingen beides zusammen zu denken, sowohl Nachhaltigkeit als auch Digitalisierung? Wie können Unternehmen die Silos aufbrechen?

In der Nachhaltigkeit geht es ganz klar um Grundsätzliches. In der Digitalisierung geht es stark um Opportunitäten. Das Grundsätzliche mit den Opportunitäten zusammenzubringen, ist etwas, das in unser aller Bewusstsein ist. Ich persönlich glaube, wenn ich mit Managern von Unternehmen rede, dass es ein größeres Bedürfnis denn je gibt, seiner Arbeit einen Sinn zu verleihen. Früher ging es häufig darum, einfach nur Geld zu verdienen. Heute schafft man es morgens nur aus dem Bett, wenn das, was man tagtäglich tut, etwas ist, was die Welt voranbringt. Darin sehen unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge. Ich kenne viele, die sagen, mein Lebenssinn ist, der Welt zur Digitalisierung zu verhelfen, weil das Innovationen sind, weil das Globalisierung ist. Ich möchte unabhängig sein von Zeit und Raum. Ich möchte, dass Unternehmen weltweit in diesem Punkt vorankommen. Das sind sicherlich nicht die, die sagen, ich verschreibe mein Leben der Nachhaltigkeit. Doch warum sollten diese Menschen nicht miteinander reden können. Warum sollten sie nicht unterschiedliche Aspekte dieser Thematik zusammenführen können? Das ist eine riesige Chance, die wir heute haben. Meine Empfehlung an Unternehmen ist es, diese auch wahrzunehmen.

Ist es so, dass viele Digitalisierungsprozesse auf Kosten der Nachhaltigkeit gehen und umgekehrt?

Ich habe Sorge, dass das so ist. Ich habe die Sorge, dass viel, was digitalisiert wird, digitalisiert wird, um innovativ zu sein, und dass man die Dinge nicht zu Ende denkt, es also viel um Opportunitäten, Geld sparen und Geld verdienen geht. Aber das ist nicht alles. Der Respekt vor Bürgern und bürgerlichen Freiheiten ist extrem wichtig. Wir sehen unglaublich viele Unternehmen, die jeden Tag durch Fahrlässigkeit Millionen personenbezogener Daten im Netz verlieren. Das zeigt, wie wenig nachhaltig sie waren, als sie sich digitalisiert haben. Sie haben einfach gesagt, wir brauchen einen Zugang, und der Zugang verhilft uns zu Opportunitäten, und das ist fatal. Genauso ist es auch Blödsinn, als Unternehmen zu sagen, wir betreiben aktiv Nachhaltigkeit, die digitalen Möglichkeiten, die wir haben, dann aber nicht zu nutzen. Also auch Nachhaltigkeit muss nicht analog sein. Das sind Dinge, bei denen es so hilfreich wäre, wenn Unternehmen beides zu Ende denken würden. Und meine Sorge ist, dass das eben nicht so ist, weil die Komplexität offensichtlich viele Leute abschreckt.

Was glauben Sie, in welche Richtung sich die beiden Themen künftig entwickeln werden?

Ich bin ein optimistischer Mensch. Daher glaube ich, dass es uns, gerade in Europa, gelingen wird, in der Wirtschaft eine sehr gute Mischung zu finden, um die Chancen beider Bereiche zu nutzen und miteinander zu kombinieren. Ich glaube daran, dass kein Weg daran vorbeiführt, dass wir alle nachhaltiger werden müssen. Und ich glaube auch, dass kein Weg mehr aus der Digitalisierung führt, genauso wie aus der Globalisierung. Das ist der dritte große Megatrend. Das sind Themen, die mit einer riesigen Wucht und sehr viel Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Konzernen vorangetrieben werden. Es gibt auch extrem viel Selbstverwirklichungspotenziale in beiden Themen. Wichtig ist nur, dass Entscheidungsträger auch sehen, dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen die Lösung sind.

Funktioniert das überhaupt mit einem Wirtschaftsmodell, bei dem Wachstum für Unternehmen an erster Stelle steht?

Das Problem ist, dass Wachstum nur finanziell gesehen wird. Wenn Wachstum als Lebensqualität gesehen wird, würde ich sagen, es funktioniert. Wenn Wachstum rein finanziell betrachtet wird, dann funktioniert das nicht.


Auf der Move-Konferenz für Nachhaltigkeit am 11. Dezember haben Sie die Gelegenheit noch mehr zu erfahren. Dort referiert Caroline Krohn zum Thema “Fishbowl-Diskussion: Nachhaltigkeit & Digitalisierung: wenn Megatrends einander potenzieren”.

 

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