Nach dem Termin dann einen Wodka …

Zuckerbrot und Peitsche

In dem kleinen Büro des flachen Altbaus am Rand der Innenstadt sitzen vier Sekretärinnen, aufgereiht wie auf einer Galeere. Sie starren auf ihre korrekt ausgerichteten Bildschirme. Ihre Finger auf den Tastaturen bewegen sich nicht, nichts ist zu hören als die Stimme der Chefin – der Chefin des Pressebüros der Republik ­Transnistrien.

„Ah, die Journalisten aus Deutschland sind da“, sagt sie und lächelt. In einem dicken Buch mit kugelschreibergezogenen Tabellen hat sie meinen Namen und den meines Kollegen sofort gefunden. Fertige Presseausweise liegen bereit. Mit geschwungenen Schriftzügen, Stempeln, Unterschriften, wie man das in Osteu­ropa halt so hat.

Ein Interview mit dem Staatschef? „Hmm, schwer. Es ist Feiertag. Aber kriegen wir hin“, sagt sie. Ob wir Russisch sprechen? Nein. „Egal, schaffen wir trotzdem.“

Wir unterhalten uns mit ihr per Google Translate, auf ihrem Laptop. Ein paar Tage zuvor hatten wir angefragt, ob wir offiziell als Journalisten in das Land am Fluss Dnister einreisen dürfen. Keine 24 Stunden später war die Genehmigung per Mail da.

Transnistrien ist ein selbsternannter Staat, den kein anderer Staat auf der Welt anerkennt. Mit einer eigenen Währung ohne Wert und eigenen Pässen ohne Zweck. Und einer Regierung, mit der keine andere Regierung sprechen will. Man kann dieses Regime je nach Sicht als post- oder immer-noch-sozialistisch bezeichnen. Oder als stalinistisch. In keinem Fall als Demokratie westlichen Zuschnitts.

Aber Journalisten akkreditieren und beschaffen, was für eine gute Geschichte nötig ist, das können sie in der Hauptstadt Tiraspol. Schon am nächsten Tag besuchen wir als VIP-Gäste das „patriotisch-militärische ­Festival“. Danach steht „Präsident“ Wadim Krasnoselski zum Interview bereit. Wir führen das Gespräch im „Obersten Sowjet“ der Stadt. Es gibt Tee und zuckersüßes russisches Konfekt. Außerdem die Weltsicht und Gedanken des „Präsidenten“.

Nach dem Termin einen Wodka. Läuft ja wie geschmiert, die Story wird richtig gut. So perfekt müsste mal die Pressemaschinerie in anderen Ländern arbeiten. In Russland. Oder in den USA zum Beispiel.

Wir haben kaum den zweiten Wodka getrunken, da geht das vermutlich amtliche transnistrische Internet-Portal Novosti mit einer Story online. Überschrift: „Wir haben nur einen Plan: die Unabhängigkeit“. Und darunter: „Der Präsident im Interview mit Journalisten der populären deutschen Zeitung Welt“. Dazu mehrere Bilder des „Präsidenten“ mit dem Besuch aus dem Westen − Motive, die den ganzen Tag über geschossen worden waren. Wir hatten das gar nicht mitbekommen. Die Botschaft ist klar: Journalisten reisen extra aus dem Westen zum Gespräch mit dem Staatschef an. Das ist fast schon ein wenig Anerkennung des Landes.

Wir hatten gedacht, es sei so gelaufen, wie wir wollten. Tatsächlich lief es so, wie es die Transnistrier wollten. Kommunikationsprofis, ohne Zweifel. Wir hatten einen Moment den alten Grundsatz vergessen: Journalisten und Pressesprecher sind niemals Kollegen – auch wenn man das in den Kommunikationsabteilungen gerne so sagt. Man arbeitet gemeinsam, verfolgt aber unterschiedliche Ziele.

Wenn es gut läuft, haben beide Seiten was von der Geschichte. Bei unserer Transnis­trien-Tour war das nicht so, da ging der erste Stich nach Tiraspol. Aber es gibt ja noch eine Rückrunde – denn unser Artikel ist noch nicht erschienen.

Update: Der erwähnte Welt-Artikel von Nikolaus Doll und Hans Evert ist inzwischen erschienen (kostenpflichtiger Zugang).

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VORBILDER. Das Heft können Sie hier bestellen.

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