Lobby der Zukunft

Start-ups

Es gibt vermutlich nicht viele Veranstaltungen, bei denen sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für seine Kleidung entschuldigt: den zerknitterten Anzug, die braunen Schuhe und die fehlende Krawatte. Im Tipi am Kanzleramt macht er es: Er hält eine Rede bei den German Startup Awards. 500 Gäste sitzen im Saal, die meisten von ihnen mit Smoking oder Abendkleid. Den Hinweis „Black Tie“ habe er zu spät bemerkt, sagt Habeck: „Das ist das erste Mal, dass ich bei einem Start-up-Event underdressed bin.“

Die Politik liebt Gründerinnen und Gründer. Zumindest sucht sie gerne deren Nähe. Im vergangenen Jahr war Bundeskanzler Olaf Scholz zu Gast bei den Startup Awards. In diesem Jahr war es Habeck. Start-ups seien „die Hundewelpen des Kapitalismus“, hat die „NZZ“ einmal geschrieben. So süß! Jeder wolle sie streicheln. Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD, hat Lobbyismus für Start-ups einmal mit Werbung für Panda-Babys gleichgesetzt: Alle fänden sie toll, sagte er „Gründerszene“.

Die Vergleiche mit der Tierwelt hinken, meint Verena Pausder, Unternehmerin, Autorin und seit Dezember 2023 neue Vorsitzende des Startup-Verbands: „Es ist gut, dass sich in Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, wie wichtig Start-ups für die Zukunft unserer Wirtschaft sind.“ „Nur niedlich“ seien sie längst nicht mehr, sondern volkswirtschaftlich relevant und ein „Innovationstreiber“.

Vor zwölf Jahren gegründet und anfangs noch kritisch beäugt, hat sich der Startup-Verband inzwischen etabliert. Spätestens seit der Petition für ein Digitalministerium 2018 ist klar, dass er das Feld nicht dem Bitkom, dem Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, überlassen will. Mit Pausder bekommt er noch bessere Zugänge und vor allem wesentlich mehr Aufmerksamkeit.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Start-ups „alle Steine aus dem Weg räumen“, sagte er bei den German Startup Awards in Berlin. © Startup-Verband

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Start-ups „alle Steine aus dem Weg räumen“, sagte er bei den German Startup Awards in Berlin. © Startup-Verband

Die 45-Jährige hat sich zu digitaler Bildungspolitik positioniert, ist mit Robert Habeck per Du und mit der Politik vertraut. Johannes Rau war ihr Onkel, Gustav Heinemann ihr Urgroßvater. Mit 20 gründete sie ihr erstes Unternehmen, mit 26 wurde sie „CEO of the Future“ (McKinsey). Das Weltwirtschaftsforum ernannte sie zum „Young Global Leader“. Ihr Buch „Das neue Land“ wurde zu einem „Spiegel“-Bestseller. Ihr Podcast „Fast & Curious“ hat eine solide Fanbase. Auf Linkedin kommt man an ihr sowieso kaum vorbei.

Der „Wirtschaftswoche“ hat sie beim Antritt als Vorsitzende des Startup-Verbands gesagt, sie rechne für das Ehrenamt mit einem Aufwand von bis 30 Stunden die Woche. Aktuell gelinge es „sehr gut, alle Bälle in der Luft zu halten“, sagt sie jetzt. „Wenn ich etwas mache, dann richtig.“

Mit Pausder kommt ein neuer Stil zum Verband: „Machen statt Meckern“ hat sie bei den Awards in Berlin das Mantra der Szene genannt. Natürlich werde man auch „den Finger in die Wunde legen“, wenn etwas nicht gut läuft, und sicherlich nichts schönreden. Aber: „Ich mag Optimismus und eine klare Kommunikation. Wir Menschen brauchen eine positive Zukunftsvision. Das funktioniert mit dem Startup-Verband sehr gut. Es geht uns nicht darum, den Status quo zu bewahren, sondern die Zukunft aktiv und positiv zu gestalten.“

Vorbilder für die Transformation

„Die Zukunft“ – genau das sind für Habeck Start-ups. Zumindest sagt er es an dem Abend im Tipi. Und: „Ihr schafft mehr Jobs und Wertschöpfung als Branchen, die heute schon da sind.“ Bis zum Jahr 2030 könnten durch die Szene bis zu vier Millionen neue Stellen entstehen, schreibt die Beratungsgesellschaft Roland Berger. Aktuell sind es ein Zehntel. Habeck sagt, Deutschland brauche die Dynamik, nennt junge Unternehmen „Vorbilder“. Die „Dinge“ würden durch sie „besser, nachhaltiger und klimaneutraler“. Das sei der Spirit, „von dem wir als Land und Gesellschaft profitieren“.

Ein Unternehmen aus der Krebsforschung, eines aus dem Bereich Satellitentechnik und eines spezialisiert auf grünen Wasserstoff: Die Branchen, aus denen die Preisträgerinnen und Preisträger des Jahres kommen, sind breit gestreut. Was sie eint, sind neue Technik und künstliche Intelligenz (KI). Der Bitkom schreibt, dass jedes zweite Start-up in Deutschland KI nutze. In der gesamten Wirtschaft sind es dem Statischen Bundesamt zufolge gerade einmal zwölf Prozent.

„In einer Welt, die immer digitaler wird, sind Start-ups für eine Volkswirtschaft wichtig“, sagt Niklas Wirminghaus, leitender Redakteur beim Wirtschaftsmagazin „Capital“. Anders als in den USA, wo es in Teilen der Politik zuletzt viel Kritik an Tech-Gründern gab, sei die Gründerfigur in Deutschland bei Entscheiderinnen und Entscheidern „eigentlich über alle Parteigrenzen hinweg positiv besetzt“, erklärt Wirminghaus. „Ihr Image ist, dass sie etwas Neues starten und den Wirtschaftsstandort voranbringen. Sie vermitteln Aufbruch und Wagemut. Darum werden sie von Politikerinnen und Politikern heiß und innig geliebt, zumindest nach außen.“ Dass auch in der Start-up-Welt nicht alles rosig ist, könne schon mal unter den Tisch fallen, wenn es darum gehe, sich mit Gründerinnen und Gründern zu präsentieren.


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Politik für und gegen Disruption

Das große Ziel ist die Transformation. Und der Glaube, dass Deutschland im globalen Wettbewerb um Innovationen mitspielen kann. Doch das Bekenntnis zu Start-ups könnte noch stärker sein, findet Pausder: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa hat sein Land zur „Start-up-Nation“ erklärt (bisher vor allem ein Standortargument Israels) und feiert Finanzierungsrunden für Gründerinnen und Gründer auf Social Media. „Diesen Fokus und diese Priorität auf Innovation brauchen wir in Deutschland noch viel mehr“, sagt Pausder.

Seit 2022 gibt es eine Start-up-Strategie der Bundesregierung. Der „Beirat Junge Digitale Wirtschaft“ im Bundeswirtschaftsministerium, um den es ruhig geworden war, heißt seit 2024 „Start-up Circle“. Auch das Bundesfinanzministerium bindet Start-ups ein, wenn es um Digital Finance geht. „Start-ups sind inzwischen eine feste Größe in der Politik und werden als Expert*innen und Stakeholder mitgedacht“, sagt Ina Froehner, Leiterin Kommunikation und Public Affairs beim Fintech-Unternehmen Scalable Capital.

Scalable ist ein Beispiel dafür, wie der Wille zum Fortschritt an Grenzen stößt: Das Unternehmen gehört zu den Neobrokern, also Anbietern, die den Handel von Wertpapieren via Online-Plattform günstig und einfach ermöglichen. Das funktioniert unter anderem deshalb, weil Neobroker eine Rückvergütung für den Handel von Kleinanlegern an der Börse verlangen (Payment for order Flow, PFOF) und diese in Form von niedrigen Kosten an die Kunden weitergeben.

Große Börsen sehen das kritisch. Als Anfang 2024 die Europäische Union das Verbot für PFOF beschlossen hat, schrieb die „Neue Osnabrücker Zeitung“ von einem „Lobbyerfolg“. Doch auch Neobroker haben lobbyiert, zum Teil sehr erfolgreich: Deutschland hatte sich gegen das Verbot ausgesprochen. „Die Kommission hatte das Ziel, Privatanleger*innen die Teilhabe am Aktienmarkt zu erleichtern. Das PFOF-Verbot trägt nicht dazu bei. Darum halten wir die Regulierung für einen Fehler“, so Froehner.

Spätes Bekenntnis zur Strategie

Im Nachhinein hätte Scalable vielleicht früher damit anfangen sollen, Public-Affairs-Gespräche auf EU-Ebene zu führen, sagt sie. Solche Gespräche sind der Kern der politischen Arbeit bei Scalable: „Wir stehen für ein junges Geschäftsmodell und müssen erklären, wie sich das Verhalten und die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer über die Jahre verändert haben und welchen Beitrag unsere Technologie heute leistet.“ Public Affairs erklärt und vermittelt quasi die Disruption.

Mit politischen Debatten für oder gegen Innovationen müssten Start-ups leben, sagt Wirminghaus: „Wenn alles einfach wäre, hätte jemand anders die Geschäftsidee längst umgesetzt. Ein ruckeliger Weg gehört zum Start-up-Dasein dazu.“ Die Diversität der Szene und die immer neuen Themen würden es für Wirminghaus spannend machen, über Start-ups zu berichten. „Es sind nicht die immer gleichen Rituale und Grabenkämpfe der Old Economy.“

So erfrischend und zugänglich, wie Gründerinnen und Gründer sind, so unerfahren und unprofessionell können sie im Umgang mit Medien sein. Viele fokussieren sich in ihrer Kommunikation zu sehr auf erfolgreiche Finanzierungsrunden. Manche würden sich auch über negative Berichte beschweren, im Extremfall mit juristischen Schritten drohen oder ihm vorwerfen, sich gegen neue Ideen und die Szene zu stellen, sagt Wirminghaus: „Das ist ein Missverständnis. Es gehört auch zu meiner Aufgabe, kritisch zu sein und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Das tut der Szene gut. Auch wenn es kurzfristig einige schmerzen mag.“

Ina Froehner leitet den Bereich Kommunikation und Public Affairs beim Fintech Scalable Capital. © privat

Ina Froehner leitet den Bereich Kommunikation und Public Affairs beim Fintech Scalable Capital. © privat

Da viele Start-ups in den ersten drei Jahren wieder vom Markt verschwinden und neue entstehen, wiederholen sich die Fehler. Laut „Startup Monitor“ des Startup-Verbands liegt die durchschnittliche Zahl der Angestellten bei 18,4. Scalable ist zehn Jahre alt und hat über 500 Mitarbeitende, gehört also schon zu den etablierten und großen. Doch auch für den Neobroker steht Politik nicht im Fokus: „Wir konzentrieren uns auf das Produkt und darauf, das Geschäftsmodell zu skalieren“, sagt Froehner.

Für viele Start-ups ist der Vertrieb wichtiger als die Strategie. Wer am Markt sei, merke aber schnell, wie ihn die Regulierung träfe und dass man an Politik nicht vorbeikomme, sagt Froehner. Doch neben Gesprächen, die das Unternehmen führt, weil es in Gremien sitzt und „Finanzen aus technologischer Sicht“ erklärt, wolle es eigene Lobbymaßnahmen in der Regel nur dann starten, wenn die Interessen der Kundinnen und Kunden betroffen sind. Für vieles andere würden die Verbände greifen. Interessant ist, wie unterschiedlich Start-ups Verbände nutzen: Im Lobbyregister des Deutschen Bundestags listet Scalable vier Mitgliedschaften. Trade Republic, auch deutscher Neobroker und zugleich Neobank, drei. Doch es gibt nicht eine einzige Überschneidung.

Für Wirminghaus hat sich der Startup-Verband als Stimme der Szene durchgesetzt. Um die Schlagkraft von Start-ups und Scale-ups, Unternehmen, die aus der Anfangsphase raus sind und schnell wachsen sollen, in Brüssel zu stärken, habe er das European Startup Network wiederbelebt, sagt Pausder. Sie setzt auf Schulterschluss, holt sich mehr Gründerinnen und Gründer in den erweiterten Vorstand. „Better together“, sagt sie und: „Wenn wir zusammenhalten und mit einer starken Stimme sprechen, kommen wir auf dem Weg zur Start-up-Nation schneller voran.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Politik. Das Heft können Sie hier bestellen.

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