Dass reichweitenstarke Medientitel wie die „Süddeutsche Zeitung“ oder das „Handelsblatt“ regelmäßig über eine Baustelle der Deutschen Bahn schreiben, hat es so bisher nicht gegeben. Doch seit der Konzern mit der Generalsanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim eines ihrer größten Infrastrukturprojekte angegangen ist, gibt es solche Berichte häufiger. Die Journalisten scheinen das Projekt mit Wohlwollen zu begleiten. Das überwiegende Fazit: Es läuft, was für Bahn-Artikel eine eher ungewöhnliche Tonalität ist.
Auch für die Kommunikationsabteilung der Deutschen Bahn ist die breite Berichterstattung ein gern gesehener Leistungsnachweis. Sie bereitet auch selbst umfangreich Content auf, um über das Projekt zu informieren. Es scheint, als ob hier ein öffentlichkeitswirksames Referenzprojekt geschaffen werden soll, um zu signalisieren, dass im krisengeplagten Bahn-Universum auch einmal etwas funktionieren kann.
Es ist nicht nur für die Bahn eine komplexe Aufgabe, die 70 Kilometer Schiene in Baden-Württemberg und Hessen zu erneuern, über die normalerweise jeden Tag mehr als 300 Züge fahren. Für Nicole Mommsen ist die Kampagne ebenfalls ein Mammutprojekt.
Die ehemalige Kommunikationschefin von Volkswagen leitet seit Oktober 2023 Kommunikation und Marketing der Deutschen Bahn. Eine derart breite Kampagne habe es in der Geschichte der Deutschen Bahn noch nicht gegeben, sagt sie. Fast 40 Menschen aus Marketing, Kommunikation und angrenzenden Bereichen arbeiten als Team an der Riedbahn-Kampagne, tauschen sich wöchentlich über den aktuellen Stand aus und planen weiteren Content. Sie posten auf Linkedin, Instagram, Facebook und Tiktok, veröffentlichen Videos auf Youtube und bespielen die eigens für die Riedbahn-Sanierung angelegte Website riedbahn.de mit aktuellen Informationen, interaktiven Karten und Blogbeiträgen. Die Riedbahn ist gefühlt überall.
Alles nur Fassade?
„Spiegel“-Journalist Serafin Reiber leistet gerade in Addis Abeba in Äthiopien den letzten Teil seines Schweizer Zivildienstes ab. In zwei Monaten wird er aber wieder im „Spiegel“-Hauptstadtbüro sitzen und sich mit der Deutschen Bahn befassen. Beim Thema Riedbahn wird er am Telefon energisch: „Ich verstehe ja, dass die Bahn dringend eine positive Geschichte braucht – und es ist ja auch gut, dass die Bahn überhaupt mal einigermaßen konkret kommuniziert. Trotzdem macht sie es sich dabei zu einfach“, kritisiert Reiber. „Die Bahn will die Menschen glauben lassen: Wir müssen nur sanieren, und dann wird alles gut.“ Das stimme aber so nicht, denn nach Reibers Einschätzung sind nicht nur die marode Infrastruktur, sondern auch fehlende Kapazität und massive Managementfehler etwa im Fernverkehr schuld an den Verspätungen. „Die aber eignen sich weniger für epische Filme und vollmundige Instagram-Posts“, sagt der Journalist.
Tatsächlich steht mit der Riedbahn für die Deutsche Bahn einiges auf dem Spiel. Das Projekt ist die erste von 41 anstehenden Generalsanierungen der nächsten Jahre. Der Plan: Lieber für längere Zeit eine Strecke vollständig sperren, dafür dann aber alles neu machen und reparieren, was geht, damit danach bestenfalls jahrelang nichts mehr anfällt. Gianna Niewel und Vivien Timmler von der „Süddeutschen Zeitung“ fassen es so zusammen: „Hauptsache, es klappt mal irgendwas.“ Mommsen legt im Gespräch mit KOM den Fokus auf etwas anderes: „Es macht einen Unterschied, ob ich mich als Kunde allein gelassen fühle oder ob ich sehe, dass die Bahn daran arbeitet, dass es besser wird.“ Die leidgeplagten Bahnkunden sollen sehen, dass es nach vorne geht.
Ende des Zweckoptimismus
Die Kommunikationschefin will der Kritik an dem Staatsunternehmen damit anders begegnen als ihre Vorgänger. „Bei der DB gab es verschiedene Phasen in der Kommunikation“, sagt sie. „Lange Zeit wurde Zweckoptimismus verbreitet, obwohl man wusste, dass zu wenig in die Infrastruktur investiert wird. Dann hat man den Finger bewusst in die Wunde gelegt, es wurde nichts mehr schöngeredet. In diesem Jahr zeigen wir, ‚wir packen an‘, damit es besser wird.“
Um diese Botschaft unters Volk zu bringen, nutzt Mommsen vor allem Bilder und Videos. Als sie Entwürfe für das Design des Geschäftsberichts sieht, fällt ihr auf: So viele Züge! Nicht dass das verwunderlich wäre bei einem Bahnkonzern. Was ihr aber fehlt, sind die Menschen. „Das Image der Bahn kann noch so schlecht sein und jeder kann über die Bahn schimpfen“, sagt sie. „Was wir aber immer wieder hören, ist, wie toll, wie motiviert die Menschen an den Bahnhöfen, in den Zügen, auf den Baustellen oder auch im Schienenersatzverkehr sind.“
Statt also nur Schotter, Schiene und Kabel auf der Baustelle zu zeigen, holt sie Menschen vor die Kamera. Im Format „Drei Riedbahn Fragen“ beantwortet fast jede Woche ein Teammitglied, das mit der Baustelle zu tun hat, dieselben drei Fragen: „Welche Rolle spielt die Riedbahn in deinem Job? Warum sind die kommenden fünf Monate für dich besonders? Was ist dein Wunsch für die Generalsanierung der Strecke?“ Zusätzlich gibt es an Bahnhöfen Poster mit Menschen, die für die Deutsche Bahn arbeiten, Freude und Zuversicht ausstrahlen sollen.
„Das macht unsere Kolleginnen und Kollegen natürlich auch stolz, wenn ihre Arbeit wertgeschätzt wird, wir sie ins Rampenlicht holen und sie Teil der Kommunikationskampagne werden“, sagt Mommsen.
Eine Dokumentation mit dem Titel „Bahnsinn Riedbahn“ gibt es auch, fünf Highlight-Episoden sind bereits auf Youtube zu sehen (hier geht es zu Folge 1). Sieben umfassende Folgen sind geplant und werden monatlich auf dem Pay-TV-Sender Joyn und anschließend bei Youtube veröffentlicht. Die erste Folge steht bereits online, die zweite Folge soll am 21. Dezember bei Joyn folgen. Die Riedbahn ist auch ein Projekt für die interne Kommunikation. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte kürzlich in einem Beitrag zutiefst frustrierte Mitarbeiter zu Wort kommen lassen. Stellen sollen abgebaut werden.
Auf Instagram versucht es die Deutsche Bahn weiterhin mit Memes und Funfacts – oder ahmt zum Beispiel eine Ikea-Aufbauanleitung nach für das Möbelstück Gåneralsanirax mit 81 Kilometern Gleisen und 98 Weichen. In Tiktok-Videos erzählt dann schon mal ein Kran, wie er mit Hilfe seiner menschlichen Kollegen eine Betonweiche verlegt, und der Gleisumbauzug „Edelweiss“ plaudert darüber, was für ein Kraftpaket er ist.
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Solche Eindrücke der Riedbahn, Bilder und Videos hält ein eigenes Reporter-Team direkt auf der Baustelle fest. „Wir wollen ganz nah dran sein, wissen, was passiert, und zeigen, wie spannend die Generalsanierung ist“, sagt Mommsen. Blumige Ankündigungen und Versprechen gab es in der Vergangenheit zur Genüge, während regelmäßige Bahnfahrer mit aberwitzigen Verspätungen von teilweise mehreren Stunden leben müssen.
Damit konfrontieren auch Corinna Budras und Johannes Pennekamp von der „FAZ“ Bahnchef Richard Lutz Ende September in einem Interview. „Sie sagen: Sie haben 2019 schon mal die Trendwende ausgerufen. Was ist jetzt anders?“ Eine wirkliche Antwort darauf gibt Lutz nicht. Er windet sich mit Zahlen heraus. So sagt er zum Beispiel, dass sich der Sanierungsrückstau von 2009 bis 2019 von 20 auf 60 Milliarden Euro vergrößert habe. Nun liege er bei 90 Milliarden Euro. Angesprochen auf die Riedbahn, erzählt er dann aber freudig, dass alles nach Plan laufe. Das Projekt eignet sich hervorragend, um positive Botschaften in einem Interview unterzubringen.
Großes Medieninteresse
Solche „Good News“ teilen Mommsen und ihr Team regelmäßig auf Social Media. Sie schaffen es auch hin und wieder in die Presse, wofür die Bahn einiges tut. „Allein die ersten vier Wochen haben wir mehr als 100 Kommunikationsmaßnahmen umgesetzt, davon 13 Pressetermine“, sagt Mommsen.
„Wir sehen ein riesiges Interesse seitens der Presse. Sogar die ‚Financial Times‘ hat über die Riedbahn berichtet“, freut sie sich. Allerdings trägt der Artikel die Überschrift „Deutsche Bahn struggles to shake off ‘travel hell’ reputation“. Er steigt mit der Anekdote ein, dass selbst die Pressereise per Zug 45 Minuten zu spät war. Zurück waren es dann nur 35 Minuten. Dazu gab es eine verheerende Grafik zur Pünktlichkeit im Fernverkehr. Während der Fußball-Europameisterschaft spotteten internationale Medien ebenfalls fleißig über die Deutsche Bahn.
Bahnchef Richard Lutz und Verkehrsminister Volker Wissing (r.) beim Startschuss für die Generalsanierung. Der Hashtag #TeamRiedbahn zeigt, dass das Projekt auch für die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Konzern genutzt wird. © Deutsche Bahn AG / Oliver Lang
„Spiegel“-Journalist Reiber hat die Kampagne bisher nicht überzeugt. „Sie hat mich eher dazu animiert, die Bahn und ihre Projekte noch kritischer zu betrachten“, sagt er – und verweist auf die immensen Kosten des Kommunikationsprojekts. Von vier bis sechs Millionen Euro spricht Reiber. Die Bahn habe „jegliches Gespür für die Verhältnisse verloren“. „Mit dem Geld hätte die Deutsche Bahn lieber zwei Bahnhöfe saniert.“
Er hält dem Konzern allerdings zugute, dass er erstmals überhaupt kommuniziert, dass es Probleme gibt – und der breiten Öffentlichkeit zu erklären versucht, wie komplex so eine Sanierung ist. Schwierig findet Reiber aber „die Erzählung vom goldenen Lamm“, wie er sie nennt. Leider gehe es bei der Bahn „eben nicht nur um das eine Problem, nach dessen Behebung alles gut wird. Neben der Sanierung braucht es etwa auch Ausbau. Da sollte die Bahn genauso offensiv kommunizieren. Sonst heißt es in fünf Jahren: Wir hätten in der Vergangenheit mehr Kapazität schaffen sollen“, sagt Reiber.
Die Riedbahn soll erst der Anfang sein. Das Sanierungsprogramm S3, wie es offiziell heißt, läuft noch bis 2031 weiter. Wenn das Projekt pünktlich fertig ist, danach einiges besser läuft im Bahnalltag und das Kunden mit Hilfe der Kampagne mitbekommen haben, ist das hilfreich für weitere anstehende Sanierungen. Am Niederrhein steht eine weitere Mammutaufgabe an. „Wenn wir einen guten Eindruck mit der Riedbahn hinterlassen, haben wir langfristig auch die Chance, zum Imagewandel der Bahn beizutragen“, erklärt Mommsen. Eines der großen Ziele ist es, dass 85 Prozent der Deutschen verstanden haben, was eine Generalsanierung bei der Bahn bedeutet. Und dieses Ziel habe sie schon fast erreicht, sagt sie.
Hinweis: Der Beitrag ist zuerst vor der Wiederinbetriebnahme der Riedbahn in der Printausgabe von KOM erschienen. Wir haben den Artikel teilweise angepasst.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Visuell. Das Heft können Sie hier bestellen.