Ein neuer Chef muss nicht den Jobverlust bedeuten

Führungswechsel

An seinem letzten Arbeitstag geht Die­ter Zetsche noch einmal durch die Konzernzentrale. Der Vorstandsvorsit­zende von Daimler schüttelt Hände und macht Fotos. Er übergibt seinen Haus­ausweis und wird im Mercedes nach Hause gebracht. Als er allein ist, öff­net er die Garage – und braust in einem BMW davon. Die Szene stammt aus einem Video von BMW: „Endlich frei“ – ein Werbegag. 13 Jahre lang war Zetsche Daimler-Chef.

Für die Mitarbeiter bringt ein CEO-Wechsel Ungewissheit mit sich. Das gilt besonders für die Kommunika­tion, weil sie stark von den Vorstellun­gen, Präferenzen und dem Arbeitsstil eines Geschäftsführers abhängt. Tobias Just verantwortet als Director Corporate Media auch das Ghostwriting für den Vor­standsvorsitzenden bei Daimler. „Wenn man Vorstandskommunikation macht, leiht man der Person nicht nur die Hände, sondern auch den Verstand und ein Stück weit sein Herz“, sagt er. Das gilt auch für den Leiter der Kommunikation, Jörg Howe. Dass beide bleiben, liegt daran, dass Zetsches Nachfolger Ola Källenius aus dem eigenen Haus kommt und der Wechsel gut vorbereitet war.

Die Stabübergabe kündigte sich im September 2018 an. Källenius, bisher Entwicklungschef, wurde als Nachfolger nominiert. Wenig später saßen Kommu­nikation und Källenius zusammen. „Der erste Termin war ein Zuhörtermin“, sagt Just. Es habe keine fertige Strategie, son­dern Thesen gegeben, um vom (potenzi­ell) neuen CEO zu erfahren, wie er sich sieht, welche Themen er vertritt und welche Formate für ihn richtig sind.

Zum ersten Tag als Chef versendete Daimler eine interne Sprachnachricht von Källenius. Auch die Quartalszah­len kommentiert er für Mitarbeitende in Audio. „Audio ist das richtige Format, um den Führungswechsel zu kommu­nizieren“, erklärt Just. „Es ist nahbar, unkompliziert und kostet fast nichts.“ Bei Zetsche war es noch Video. Der verabschiedete sich mit einem GIF. Einen „geordneten Übergang“ nennt das Just.

Parallel nach Ersatz suchen

So viel Harmonie ist selten: Etwa jeder fünfte CEO räumte seinen Posten unfreiwillig, zeigt eine Statistik zu bör­sengeführten Unternehmen im deutsch­sprachigen Raum von 2015. Nie war die „Haltbarkeit“ von Vorstandsvorsitzen­den kürzer. Das zeigen Zahlen der 100 größten und umsatzstärksten Unter­nehmen an der Londoner Börse aus dem Jahr 2018.

Wenn die Leitung geht, müssen die Pressesprecher häufig ihren Posten räumen. „Oft sind Vorstandswechsel auch Strategiewechsel“, sagt Monika Schammas, Geschäftsführerin der Personalagentur Comtract. „Ein Pres­sesprecher, der die bisherige Strategie glaubhaft vertreten hat, kann Schwie­rigkeiten haben, die neue ebenso glaub­würdig zu kommunizieren.“

Wer heute einen Expansionskurs vertritt, könne morgen nicht für Konso­lidierung stehen, so Schammas. Zudem wolle sich ein neuer CEO profilieren. Meist kämen dabei Aspekte zu Tage, die der Vorgänger unter den Tisch gekehrt oder beschönigt dargestellt hat. Ob Pres­sesprecher den Wechsel überstehen, zeige sich oft erst nach einem halben Jahr: „Anfangs kann alles nach Kontinu­ität aussehen, aber im Hintergrund wird schon Ersatz gesucht“, sagt Schammas.

„Kämmerlein“ statt erste Reihe

Der Beruf des Pressesprechers hat viel mit Vertrauen zu tun. Das zeigt sich besonders in der Politik. Ursula von der Leyen zum Beispiel hat ihren Spre­cher und Vertrauten Jens Flosdorff in drei der von ihr geleiteten Ministe­rien geholt. Er begleitet sie auch nach Brüssel. Vollkommen anders lief es für Michael Schroeren: Er war 15 Jahre lang Sprecher des Bundesumweltministeri­ums (BMU) – unter drei Ministern und zwei Parteien. Das ist selten.

„Was ich gemacht habe, ist völlig unnormal und war auch nicht geplant“, so Schroeren. Jürgen Trittin von Bünd­nis 90/Die Grünen hatte ihn ins BMU geholt. Als die rot-grüne Bundesregie­rung zu Ende ging, hatte sich Schroeren darauf eingestellt, seinen Posten zu räu­men und in ein Fachreferat zu wechseln – die klassische Laufbahn eines Minis­teriumssprechers, der nicht das Haus verlässt. Doch es kam anders. An sei­nem ersten Tag bot Sigmar Gabriel (SPD) Michael Schroeren den Posten an. Der war völlig überrascht. Man traf sich und lotete aus, ob eine Zusammenarbeit funktionieren könnte. „Ich war immer auch der Sache verpflichtet, nicht nur der Person“, sagt er.

Für Schroeren war neben inhaltli­chen Punkten entscheidend, dass er wei­ter den direkten Zugang zum Minister hatte, statt nur als „Lautsprecher“ zu fun­gieren. „Ich muss in alle Entscheidungen eingebunden sein, auch die unangeneh­men, um sie gegenüber den Medien erklä­ren zu können und zu wissen, an welcher Stelle ich schweigen muss. Ich brauche aber auch den Mut, wenn es sein muss, freihändig zu sprechen, wo noch nicht jedes Wort abgestimmt ist. Beides funk­tioniert nur, wenn ich die Hintergründe kenne und weiß, wie der Minister tickt“, sagt er. „Essentials“ nennt er die Punkte, die er klärte, bevor er sich entschied, auch Gabriels Sprecher zu sein.

Geschmeidigkeit kennt Grenzen

Der Wechsel kam für Schroeren 2009, als Norbert Röttgen (CDU) das Amt des Ministers übernahm. Röttgen stand für die Abkehr vom Atomausstieg und brachte seine eigene Sprecherin mit. Auch Schroeren dachte „nicht eine ein­zige Sekunde“ daran, auf seinem Posten zu bleiben. „Bei aller Geschmeidigkeit, die man als Pressesprecher mitbrin­gen muss: An manchen Punkten hat sie auch Grenzen“, sagt er. Schroeren über­nahm ein Referat, bis er nach drei Mona­ten wechselte und die Pressestelle der Grünen im Bundestag leitete. Die poli­tischen Diskrepanzen zur schwarz-gelben Regierung waren zu groß. Die Unterschiede zu seiner vorherigen Posi­tion auch: „Ich saß im BMU in meinem kleinen Kämmerlein und wusste: So kann es nicht weitergehen“, sagt er.

Der Abschied aus der ersten Reihe ist für viele eine Zäsur. Es fühlt sich nach Abstellgleis an. Comtract bietet Coa­chings für Pressesprecher an, die durch einen Wechsel ihren Job verlieren. Viele seien erschüttert von einer Kündigung. Insbesondere Männer würden sich diese Tatsache oft nicht eingestehen, so Schammas: „Eine Kündigung wird immer auch als eine persönliche Krän­kung empfunden und sorgt für emotio­nale Unsicherheit. Jeder weiß zwar, dass es passieren kann. Aber wenn es so weit ist, ist es ein Schock, egal wie fair der Trennungsprozess gelaufen ist.“

Auf Wechsel einstellen

Wer nicht bereit zum Wechsel ist, sei in der Branche falsch, meint Schammas. „Flexibilität gehört dazu.“ Im Vorteil ist, wer den Wechsel kontrollieren und sich vorbereiten kann. Doch dafür fehle vielen die nötige Distanz: „PR-Manager konzentrieren sich ganz auf ihre Arbeit und vergessen dabei häufig, sich und das Machtgefüge zu reflektieren.“ Viele würden Anzeichen übersehen, wenn ihr Stuhl wackelt, und könnten entspre­chend weder Gegenmaßnahmen star­ten noch Alternativen suchen.

„Es muss einem klar sein, dass man als Pressesprecher an einem Theater keine Anstellung auf Lebenszeit hat“, sagt Johannes Ehmann, bis vor kurzem Sprecher der Volksbühne Berlin. Im Kul­turbereich sind viele Verträge befristet, gebunden an eine Intendanz.

Ehmann hat in seiner Karriere diverse Intendanzen erlebt, bei der Ruhrtriennale zwei, an der Staatsoper Unter den Linden drei. Jede Intendanz hat eine eigene Handschrift, ein künst­lerisches Ziel und einen Führungsstil, den man als Sprecher mittragen muss. Pressesprecher müssten „mit Feuer und Flamme für die Kunst und die Künstler einstehen“, so Ehmann.

Auch deswegen prüfen sich Inten­danz und Sprecher bei Wechseln genau. Genießt ein Sprecher zum Bei­spiel einen guten Ruf bei Journalisten? Ehmann war es wichtig, dass mit der Hausleitung künstlerisch etwas Neues anbricht. Die Staatsoper hat er verlas­sen, als die Kontinuität am größten war: Der Intendant blieb, die Staatsoper zog zurück ins sanierte Haus. Stattdessen begleitete Ehmann den radikalsten Umbruch, den es in der Szene gab: den Wechsel von Frank Castorf, 25 Jahre Intendant der Volksbühne Berlin, zu Chris Dercon, einem Quereinsteiger aus Belgien.

Schlammschlacht und Schwindel

„Es war mir bewusst, dass der Wechsel herausfordernd wird. Aber es kam doch heftiger, als ich es vorhergesehen hatte“, sagt Ehmann. Dercon stand von Anfang an in der Kritik. Castorf hatte den Wech­sel nicht freiwillig gesucht. Berlins Kultursenator Tim Renner hatte ihn forciert. Renner schied vor dem Antritt von Dercon aus. Der neue Kultursenator Klaus Lederer kritisierte die Entschei­dung des ehemaligen Senats. In der kul­turpolitischen Schlammschlacht drang Dercon nicht durch – und scheiterte. Als „glücklos“ (Süddeutsche Zeitung) und „ungeliebt“ (NZZ) beschrieben ihn Medien.

Dercon wurde noch vor dem Ende seiner ersten Spielzeit entlassen. Klaus Lederer hatte ihn in sein Büro zitiert, da hatte Dercon gerade die Morgen­runde mit der Pressestelle absolviert. Am Nachmittag saß ein neuer Inten­dant vor dem Team, zuerst kommissa­risch. „Uns war schwindelig. Wir haben erst einmal alle Telefone abgeschaltet, um in Ruhe überlegen zu können, wie man die Geschehnisse in Worte fas­sen kann.“ Das Ziel: sachlich informie­ren, keine Konflikte nach außen tragen, loyal bleiben gegenüber dem alten und dem neuen Chef – und möglichst schnell zurückkehren zur Kunst.

Es gelang. Mit Klaus Dörr kehrte Ruhe an der Volksbühne und in der Bericht­erstattung ein. Ehmann will trotzdem gehen, der Intendant ab 2021 wurde gerade ernannt, den Übergang will er nicht mehr begleiten. „Die Unschuld ist verloren, wenn man so einen Kampf mit­erlebt hat“, sagt er.

Pressesprecher, das sei kein Job, von dem aus man in Rente gehe, sagt auch Michael Schroeren. Man müsse offen sein für Wechsel. Schroeren musste die Bundestagsfraktion der Grünen verlas­sen, nachdem Jürgen Trittin als Vorsit­zender ging. Sein Vertrag war befristet, gebunden an die Wahlperiode. Die neue Spitze wollte zeigen, dass eine neue Zeit anbricht – Schroeren gehörte nicht dazu. Er kehrte ins Bundesumweltministerium zurück. Eingestellt hatte er sich auf sein „Kämmerlein“ im Referat. Doch dann rief Barbara Hendricks an, die neue Bundes­ministerin der SPD – und machte ihn zu ihrem Chef für Kommunikation. 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ZEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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