Frau Wülle, die „Deutsche Welle“ überschrieb im Sommer 2024 ein Porträt über Sie mit folgendem Satz: „Mittlerweile hat sich die frühere Journalistin im männlich geprägten Verband etabliert und das Bild nachhaltig verändert.“ Haben die Kollegen recht?
Wülle: Nach zwei Jahren würde ich schon davon sprechen, im Job angekommen zu sein. Dass mit dem Verband in der öffentlichen Wahrnehmung häufig noch ein männlich dominiertes Bild assoziiert wird, will ich gar nicht verneinen. Das ist zwar weniger ausgeprägt als früher, aber immer noch da. Wenn man hier arbeitet, stellt man fest, dass es im operativen Geschäft allerdings schon anders ist. Ich arbeite mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammen – im Verband auch mit vielen Frauen.
Sie moderieren die Pressekonferenzen der deutschen Männer-Nationalmannschaft, die überwiegend von männlichen Journalisten besucht werden. Es gibt im Profifußball inzwischen aber auch viele profilierte Moderatorinnen, Kommentatorinnen und Reporterinnen. Fühlen Sie sich als Sprecherin als Exotin?
Nein. Es hat sich schon etwas getan. Als ich vor zwei Jahren angefangen habe, war ich im gesamten Team der Männer-Nationalmannschaft die einzige Frau. Ich bin super aufgenommen worden. Inzwischen sind wir aber vier Frauen im Team. Uns ist es wichtig, im Verband insgesamt diverser zu werden. Es geht dabei nicht nur um Männer und Frauen, sondern allgemein darum, Meinungsvielfalt zu haben. Ich finde, dass es etwas mit dem Team macht, wenn neue Sichtweisen dazukommen.
Über Jahrzehnte galt es als ausgemacht, dass die deutsche Nationalmannschaft bei Turnieren mindestens ins Halbfinale kommt. Bei der Heim-EM im Sommer schied die Mannschaft im Viertelfinale gegen Spanien aus. Fußballdeutschland war enttäuscht, aber eigentlich doch begeistert vom Team. Wie nehmen Sie das Bild der Nationalmannschaft in der Gesellschaft wahr?
So, wie Sie es sagen. Wir sehen das auch auf unseren DFB-Kanälen. Die Resonanz der Fans ist sehr unterstützend. Es macht wieder Spaß, die Nationalmannschaft zu verfolgen. Wenn es um das Bild der Nationalmannschaft geht, dann ist dafür in erster Linie die sportliche Performance entscheidend. Das ist auch richtig so. Dafür sind wir alle hier. Es ist aber nicht nur das reine Ergebnis, sondern auch die Art und Weise, wie die Mannschaft auf dem Platz auftritt. Bei der EM hat ganz Deutschland gesehen, dass alle Spieler mit sehr viel Engagement ins Turnier gegangen sind. Alle wollten. Am Ende war es ein sehr unglückliches Aus gegen den späteren Europameister.
Der Sport ist das eine. Fans und Medien interessiert an der Nationalmannschaft auch das, was abseits des Platzes passiert. Inwieweit besitzen Sie als DFB einen Plan, wie sich das Team präsentieren soll?
Nach der WM in Katar waren wir ziemlich am Boden. Das lag nicht nur am Vorrunden-Aus, sondern auch am ganzen Drumherum. Mit der Heim-EM hatten wir eine große Chance, das zu drehen. Das war unser Ziel. Wir kamen in unserer Analyse zu dem Schluss, dass es kommunikativ überhaupt nicht das eine Bild der Mannschaft gibt. Es sind völlig verschiedene Typen, die eine Sache vereint: Der Fußball verbunden mit dem Wunsch, auf dem Platz sportlich erfolgreich zu sein. Deutschland und die Fans sollten merken, dass die Spieler Typen sind wie du und ich, auch wenn sie vielleicht mehr verdienen. Die Charaktere sollten wieder sichtbar werden und so das Bild der Mannschaft formen. Es sind 23 unterschiedliche Personen, die für den Fußball brennen.
Nach den verkorksten Länderspielen im November 2023 traute niemand der Mannschaft mehr irgendetwas zu. Ich hatte selbst in einem Kommentar zum Ausrüsterwechsel zu Nike geschrieben, Adidas könne froh sein, die Nationalmannschaft nicht mehr zu haben, weil die sowieso nichts reißt. Was sorgte neben den besseren Ergebnissen für den Umschwung?
Nach Katar war der November ein weiterer Tiefpunkt. Julian Nagelsmann hat dann die Zusammenstellung des Kaders verändert. Er hat neben der sportlichen Leistung nach Charakteren und Rollen aufgestellt. Jeder Spieler sollte zu seiner Rolle passen. Das spiegelte sich auch in unseren kommunikativen Überlegungen wider, ohne dass es vorab abgestimmt war. Jeder Spieler ist unterschiedlich, aber jeder ist auf seiner Position der richtige. Mit den März-Länderspielen und einer begeisternden EM haben es Julian und das Team geschafft, die Stimmung komplett zu drehen.
Bundestrainer Julian Nagelsmann ist es wichtig, dass die Charaktere in der Mannschaft gut zusammenpassen. In der Öffentlichkeitsarbeit der Nationalelf geht es darum, die Individualität der Spieler zu betonen. © picture alliance / GES / Markus Gilliar
Sie sagen, die Spieler sind unterschiedliche Charaktere. Sie haben aber auch ihre eigene Agenda und ihre eigenen Berater. Inwieweit können sie das Auftreten der Nationalmannschaft außerhalb des Platzes durch Ihre Kommunikation beeinflussen?
Die Heim-EM hat gezeigt, dass das dann möglich ist, wenn sich alle committen, es zu wollen. Im Tagesablauf steht der Sport immer im Mittelpunkt. Dem ordnen sich alle unter. Wenn die Nationalmannschaft zusammen ist, haben wir jeden Tag etwa 45 Minuten für die Medienarbeit. Während der EM wollten wir diese zur Verfügung stehende Zeit auch für unsere Fans nutzen. Rudi Völler (Anmerkung: Sportdirektor der Nationalmannschaft) hatte schon bei der Entscheidung, das Trainingslager in Weimar zu veranstalten, betont, dass es eine EM für ganz Deutschland sein soll. In Thüringen gab es keinen EM-Spielort, auch deswegen hatten wir uns für die Region entschieden. Wir haben dann im Trainingslager und während der EM jeden Tag eine Aktion für Fans gemacht: eine Autogrammstunde, einen Besuch bei der Tafel, ein öffentliches Training, ein Challenge-Format. Mit diesen Bildern kann man das Gesicht einer Mannschaft prägen.
Machen die Spieler bei solchen Aktionen gerne mit?
Generell steht die Medienstunde nicht ganz oben auf der Lieblingsliste. Die Spieler haben während der Heim-EM aber natürlich mitbekommen, was in Deutschland los ist und wie beeindruckend die Unterstützung der Fans ist. Dann gibt man bei einer Autogrammstunde auch gerne etwas zurück. Anderes Beispiel: Als wir nach Herzogenaurach kamen, hat es in Strömen geregnet. Da standen knapp 4.000 Menschen seit Stunden vor der Bühne, um die Mannschaft zu empfangen. Das macht schon etwas mit den Spielern.
Sehr viel Aufmerksamkeit erhielt die Bekanntgabe des EM-Kaders mit einer Meldung in der „Tagesschau“, im Döner-Laden oder bei einem Konzert. Inwiefern ging es dabei auch darum zu zeigen, wo die Spieler herkommen und wie unterschiedlich die Charaktere sind? Und darum, die Botschaft zu verbreiten, dass es ein anstrengender Weg bis zur Nationalmannschaft ist?
Ich würde gerne auf den Aspekt eingehen, wie die Spieler alle angefangen haben. Das haben wir kommunikativ mit einbezogen, weil es auch ein Schwerpunkt war, den das Trainerteam gesetzt hat. Wenn Sie in die Kabine schauen, hat jeder an seinem Platz einen Satz stehen wie „Aus Spandau für Deutschland“ oder „Aus Castrop-Rauxel für Deutschland“. Es geht darum, den Blick dahin zu richten: Wo habt ihr angefangen? Was ist eure Geschichte, bis ihr zur Nationalmannschaft gekommen seid? Zusätzlich wollten wir ganz Deutschland zur Heim-EM mitnehmen und die Fans aktiv an der Kaderbekanntgabe beteiligen. Die einzelnen Umsetzungen sollten dann auch möglichst zum Charakter und den Stärken des Spielers passen.
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Die Spieler kommen immer nur für wenige Tage zur Nationalmannschaft. Bei Turnieren für mehrere Wochen. Inwieweit sind sie während dieser Zeit ausschließlich für die Nationalelf da?
Sie sind nur für die Nationalmannschaft da. Wenn man die Medienarbeit betrachtet, sind die Spieler natürlich Angestellte ihrer Vereine und haben auch eigene Interessen. Sie spielen in der Nationalmannschaft aber für Deutschland, so dass die eigenen Interessen hintenanzustellen sind. Genauso wie es sportlich funktioniert, gelingt es in der Regel auch bei der Medienarbeit, das Ganze als Mannschaftssportart zu sehen.
Nehmen wir mal den Fall, ein Spieler spricht in einem Interview über die gute Stimmung in der Nationalmannschaft, die Taktik und das schöne Quartier. Der Spieler will aber auch andeuten, dass er gerne den Verein wechseln würde. Würde ein solches Gespräch über Sie laufen und auch von Ihnen autorisiert werden?
Es gibt die Regel, dass bei Interviews bei der Nationalmannschaft auch die Nationalmannschaft im Fokus stehen soll. Das wissen auch die Journalisten. Wenn in Gesprächen Vereinsthemen aufkommen, stimmen wir uns bei der Autorisierung natürlich mit den Vereinen ab.
Und wie ist es beim Trainerteam? Julian Nagelmann ist Angestellter des DFB, hat aber ebenfalls einen Berater.
Bei Julian Nagelsmann ist der direkte Austausch intensiver, weil er ein Angestellter des DFB ist. Zu allem, was außerhalb von Abstellungsperioden stattfindet, stehen wir außerdem mit seinem Beraterteam – medial mit Kai Psotta – im Austausch.
Wenn Sie mit der Nationalmannschaft unterwegs sind, wie sieht da der Tagesablauf aus? Was läuft in Sachen Medienarbeit?
Wir treffen uns morgens im Medienteam, um den Tagesablauf zu besprechen; wer welchen Termin begleitet und wie wir diese für die verschiedenen Kanäle aufbereiten. In der Regel besteht unser Team aus sieben Personen, darunter ein Team-Fotograf, ein Kameramann, ein Content-Creator und Redakteur*innen. Bei Turnieren ist das Medienteam größer. Dann gibt es vormittags eine Trainingseinheit, von der meist 15 Minuten für Medien zugänglich sind. Anschließend bereiten wir die Medienstunde vor. Ich mache die Pressekonferenz. Parallel und im Anschluss finden Print- und TV-Interviews sowie Content-Produktionen statt. Am Nachmittag ist es eine Mischung aus Aufbereitung des Contents und Beantworten von Anfragen.
Inwiefern sind Sie als Pressesprecherin in die Social-Media-Arbeit involviert?
Wir haben im Team eine Kollegin, Sabrina Dirks, die unsere Social-Media-Kanäle verantwortet und alles im Griff hat. Wir sind aber im gesamten Team im engen Austausch zur inhaltlichen Ausrichtung, um mit einer Sprache zu sprechen.
Besonders intensiv nutzen Sie Instagram. Was wollen Sie den Fans zeigen? Mein Eindruck ist, es geht viel um Teamgeist, um Spaß und Trainingseindrücke.
Uns geht es darum, einen authentischen Einblick in das Leben der Nationalmannschaft zu geben. Nach der WM in Katar haben wir für die Mannschaft eine kommunikative Leitidee entwickelt, an der sich alle Abteilungen im Haus wie Brand, Partnermanagement und Kommunikation orientieren. Die Idee ist: Wir wollen nicht inszenieren, sondern dokumentieren. Echt und authentisch sein. Wir wollen jeden Spieler so sein lassen, wie er ist. Jeder trägt zum Gelingen des Ganzen bei. Das wollen wir auch auf unseren Social-Media-Kanälen zeigen. Wie läuft es im Camp ab? Was machen die Spieler da? Was passiert neben dem Platz? Die Fans haben über unsere Kanäle die Möglichkeit, in diesen Bereich hineinzuschauen. Je näher es auf das jeweilige Spiel zugeht, desto mehr rückt natürlich der Sport in den Mittelpunkt.
Bereiten Sie Spieler auf Pressekonferenzen vor?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige Spieler fragen vorab nach einem schriftlichen Briefing: Welche Themen könnten auf mich zukommen? Mit einigen bespreche ich die aktuelle Themenlage auf dem Weg zur PK. Andere wollen abgesehen von schwierigen Themen gar nichts wissen und eher spontan reagieren.
Um die Nationalmannschaft gruppiert sich ein großer Medientross. Welche sind für Sie die wichtigsten Medien, wenn es darum geht, zu zeigen, wie die Nationalmannschaft funktioniert? Bei welchen sind Sie besonders „alert“?
Alert sind wir häufig beim Boulevard. Eine besondere Bedeutung haben für uns die TV-Sender. Zum einen, weil sie die Rechte eingekauft haben. Zum anderen, weil sie vor Millionen Zuschauenden die erste Einschätzung abgeben: Die TV-Kommentator*innen sind diejenigen, die die 90+x Minuten als Erstes bewerten. Ihr Kommentar ist die erste Einordnung, die die Zuschauenden mitbekommen. Das hat eine große Wirkung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Visuell. Das Heft können Sie hier bestellen.