Warum Redenschreiben Teamwork ist

Rhetorik

Derzeit geht in Washington die internationale Redenschreiber-Konferenz zu Ende, die „World Conference of the Professional Speechwriters Association“. Aus deutscher Sicht ist eine solche Veranstaltung noch immer ein kleines Phänomen. Denn hierzulande wird wenig darüber gesprochen, wer wessen Reden schreibt. Redenschreiberinnen und -schreiber agieren hier zwar insoweit öffentlich, dass sie sich über ihre Profession austauschen und – zum Beispiel in dieser Kolumne – Tipps für eine gute Rede geben. Aber Namen werden nur sehr selten genannt.

In den Vereinigten Staaten ist das anders. Wenn hier Redenschreiberinnen oder -schreiber wichtiger Persönlichkeiten ihren Job quittieren, ist das den Tageszeitungen schon mal eine Meldung wert. Zurückhaltung also bei den Deutschen – hier bleibt die Diskretion in Zusammenhang mit dem Ghostwriting ein hohes Gut –, eine Bühne hingegen für die Autoren hinter den Rednern in den USA.

Blick auf die Bühne und hinter die Kulissen

Beides hat seine Berechtigung, die Offenheit ebenso wie die Verschwiegenheit. Die Offenheit lenkt das Scheinwerferlicht ein bisschen mehr auf die, die hinter den Kulissen agieren. Die Diskretion lässt die Redner und Vortragenden stärker glänzen.

Möglicherweise werden in den USA und Europa die Leistungen von Redner und Redenschreiber auch unterschiedlich bewertet. Outet sich zum Beispiel in öffentlichen Veranstaltungen hierzulande ein Mitarbeiter eines Ministeriums als Redenschreiber, erntet er oft ungläubige Blicke: „Wie, die Ministerin schreibt ihre Reden nicht selbst?!“ – Nein, tut sie nicht. Der Kanzler auch nicht. Der Bundespräsident auch nicht, und bei den meisten CEOs von Konzernen ist es ebenso.

Das muss aber deren Leistung als Redner nicht schmälern. Es bedeutet ja nur, dass der Redetext nicht von dem Redner oder der Rednerin persönlich erstellt wurde. Die Arbeit, die mit einer Rede verbunden ist – von der Recherche über eine packende Rede-Idee und geeignete Bilder bis hin zu einer Manuskript-Fassung –, übernehmen andere. Es ist eine Dienstleistung, eine kreative noch dazu. Bei den vielen Reden, die ein politischer oder Branchen-Repräsentant innerhalb einer Woche oder auch nur innerhalb eines Tages halten soll, wäre das alles in Eigenarbeit auch gar nicht möglich.

Die finale Leistung liegt beim Redner

Der Job der Redenschreiber endet allerdings regelmäßig in dem Moment, wenn „ihre“ Redner mit dem Skript in der Hand auf die Bühne steigen. Dann nämlich liegt das Schicksal der Rede in der Hand der Redner. Die „taz“ schrieb vor vielen Jahren über den damaligen US-Präsidenten Barack Obama und seinen Redenschreiber Jon Favreau: „Barack Obama begeistert Massen mit dem, was Favreau ihm aufschreibt.“ Dieser kurze Satz bringt die optimale Arbeitsteilung zwischen dem Menschen auf der Bühne und dem hinter den Kulissen auf den Punkt. Der eine schreibt den Text (inklusive aller oben geschilderten Teilaufgaben, und die haben es in sich!), der andere muss damit begeistern.

Diese Arbeitsteilung kann im Extremfall auch dazu führen, dass ein eloquenter, erfahrener und rhetorisch fitter Bühnenprofi auch aus einer miserablen Rede-Vorlage einen wunderbaren Auftritt zaubern kann. Leider geht es auch umgekehrt: Das Skript ist gut, aber der Redner ist schwach. Doch wer will als Außenstehender auf Anhieb erkennen, wer hier jetzt welchen Anteil hatte?

Hatte zum Beispiel der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger bei seiner Gedenkrede zur Reichspogromnacht im November 1988 einfach nur einen schlechten Tag? Sicher nicht. In diesem lange zurückliegenden Fall, der mit dem Rücktritt Jenningers endete, war es eine Kombination aus handwerklich schlecht gemachtem Skript (viel zu komplex; viele Zitate, viele Anführungszeichen, die für die Zuhörer gar nicht alle erkennbar waren), mangelnder Ausrichtung auf die Erwartungen des Publikums (und die waren hoch in der damals ohnehin schon knisternden Stimmung) und dazu noch mangelhafter Rhetorik. Heute ein Beispiel dafür, wie man es auf keinen Fall machen sollte.

Redenschreiben als Gemeinschaftsaufgabe

Im Idealfall arbeiten Redner und Ghostwriter Hand in Hand. Die Vorlage ist toll, die Umsetzung auch. Redenschreiben als Teamwork, als Gemeinschaftsaufgabe. Die notwendige Kreativität liegt zunächst einmal bei dem, der den Text aufsetzt (nach einem gescheiten Briefing!), sich einen Einstieg und einen Spannungsbogen überlegt und klare Botschaften in Sätze kleidet, die beim Publikum hängenbleiben.

Die finale Leistung liegt bei dem, der am Ende die Rede hält. Ob der Redner nämlich authentisch rüberkommt, ob er glaubwürdig wirkt, die Worte zu ihm passen – das ist ein wichtiger Teil des Briefings, wird aber leider oft nur unzureichend beachtet – und er einen bleibenden, überzeugenden oder vielleicht auch sympathischen Eindruck hinterlässt – all das geschieht durch Komponenten (siehe Jenninger), auf die wir Ghostwriter nicht immer Einfluss haben: das Licht im Saal, die Stimmung im Publikum, das verschwitzte Hemd des Redners. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Sich über solche Einflüsse und über Erfahrungen auszutauschen und von der jeweiligen Expertise der Kolleginnen und Kollegen zu profitieren, ist ein wichtiger Grund für solche Speechwriter Conferences. Netzwerke, die einen solchen Austausch ermöglichen, gibt es auch auf nationaler ebenso wie auf europäischer Ebene. Daran darf auch die Öffentlichkeit teilhaben.

Denn dass auch hierzulande bedeutende Redner – übrigens auch in der Kultur – auf Rat und Hilfe von Ghostwritern setzen, ist nicht verwerflich. Ganz im Gegenteil: Es zeigt, welche Bedeutung die Rede als Kommunikationsmittel noch immer (oder gerade heute) hat.