Kreativität im Hierarchie-Gerangel

Schreiben

Im August feierte der frühere Moderator und Fernsehmacher Max Schautzer („Pleiten, Pech und Pannen“) seinen 84. Geburtstag. Schon vor vier Jahren, zu seinem Achtzigsten, gab er Interviews, in denen er die Bedeutung von Freiheit in kreativen Berufen hervorhob. Ich musste neulich wieder daran denken, als Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem meiner Schreibwerkstatt-Seminare wunderbare, knackige, ansprechende und originelle Headlines aufs Papier brachten – eine Teilnehmerin aber etwas frustriert anmerkte, dass sie das bei sich im Haus niemals genehmigt bekäme. Diese Freiheit habe sie nicht. Immer wieder gebe es Hierarchie-Ebenen, die ohne Rücksicht auf Autoren und Empfänger die Texte nach ihrem eigenen Geschmack durchsetzen.

Es war nicht die erste Anmerkung dieser Art. Immer wieder berichten mir Seminarteilnehmer davon, dass ihre Textentwürfe im Hierarchie-Gerangel nach dem Motto „Ober sticht Unter“ ohne Diskussion oder Klärung verändert, gestrichen, auf das Altbekannte („Haben wir schon immer so gemacht“) reduziert oder jedenfalls zunichte gemacht werden. Solche Stimmen höre ich nicht nur von Teilnehmern aus Ministerien und Behörden, denen oft das Image von starrer Hierarchie und Besoldungsklassen-Denken anhängt – auch aus Konzernen, Unternehmen und selbst aus Verbänden und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege kommen entsprechende Klagen.

Hierarchien schaffen keine Kreativität

Beim Fernsehen ist es vielleicht ähnlich. Jedenfalls ließ Max Schautzer in seinem Gespräch mit der dpa im Jahr 2020 durchblicken, dass er nicht bereit war, sich bei Radio und Fernsehen dem Ober-sticht-Unter-Spiel zu beugen, er war ein Berufsleben lang freiberuflich tätig. Der dpa-Beitrag zitierte ihn mit der Aussage: „Hierarchien schaffen keine Kreativität, Kreativität muss hierarchiefrei sein. Das hat sich immer bestätigt.“ Vieles sei ihm heute (zum Zeitpunkt des Interviews) „zu formatiert“.

Natürlich schließen sich Kreativität und Hierarchie nicht grundsätzlich aus. Aber viele Rückmeldungen, die ich bei Seminaren und Vorträgen und auch bei der PR-Arbeit für meine eigenen Kunden erhalte, haben oft diesen Kern: Das bekomme ich bei der Geschäftsleitung, beim Chef, bei der Chefin nicht durch. Oder auf dem Weg vom Ministeriumsreferenten bis ins Ministerbüro streichen und kritzelt jede Hierarchie-Ebene (bis zu zehn!) mehr oder weniger viel und oft in den Textentwürfen herum.


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Kreation braucht auch Beratung

In solchen Situationen zeigt sich dann, dass Kommunikationsarbeit immer auch Beratung ist. Wer einen Text schreibt (Pressemitteilung, Grußwort, Statement, Gastbeitrag et cetera), darf und soll kreativ sein und seiner Kreativität zunächst keine Grenzen setzen. Wer zum Beispiel Überschriften formuliert oder die passende Bildersprache für eine Rede sucht, soll ruhig mehrere Varianten durchspielen, testen verwerfen, noch etwas anderes versuchen. Immer aber ist es wichtig, dass ich als Kreativer den im wahrsten Wortsinn entscheidenden Menschen erklären kann, warum ich diese oder jene Formulierung vorschlage.

Das auch darum – zumindest ist das ein Credo meiner Arbeit –, weil der Köder immer dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler. Wie erreiche ich Menschen mit meinen Texten? Wie gelingt eine erfolgreiche Pressearbeit? Wann greifen Redaktionen meine Pressemitteilungen auf? Doch nur, wenn sie selbst sich angesprochen fühlen oder den Text gut finden. Ich muss also meine Texte, meine Kreation auf den Empfänger ausrichten. Und daher vermeide ich langweilige Formulierungen oder solche, die nur einem „Inner Circle“ klar sind oder die selbstdarstellerisch, werblich, abstrakt oder auf sonstige Weise nichtssagend oder unverständlich sind. Vielen Vorgesetzten muss man das erklären und sie beraten und die Vorschläge gegebenenfalls diskutieren.

Unser Sohn hat neulich im Gespräch mit einem Mitschüler diesen wunderbaren und zitierwürdigen Satz gesagt: „Das ist Kreativarbeit, da kannst du nicht wirklich Fehler machen.“ Herrlich! Genau so ist es. Es gibt in der Kreation kein „richtig“ oder „falsch“, wie wir es aus mathematischen Formeln, Orthografie oder Grammatik kennen. Kreativ sein heißt zunächst einmal nur gestalten, und zwar frei gestalten und ausprobieren. Der Kopf ist bekanntermaßen rund, damit unser Denken die Richtung ändern kann. Wer aber in der Kreativphase schon Hierarchieängste hat, kann nicht frei denken. Potenziale bleiben dann ungenutzt. Das ist nicht nur schade, es beeinflusst auch die Qualität unserer Kommunikation und den Erfolg von PR- und Pressearbeit.

Bei der Gestaltung von Überschriften (Headline, Schlagzeile) lässt sich das besonders gut anwenden – übrigens auch mit Hilfe von KI, wenn man mag. KI selbst ist dabei nicht kreativ, allerdings auch nicht hierarchisch. Im Grunde genommen ein guter Sparringspartner. Aber darauf gehe ich beim nächsten Mal ein.

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