Linkedin bewegt sich

Social Media

Einmal zu weit gescrollt, und schon taucht Caroline von Kretschmann im quietschblauen Pyjama und mit Schlafmaske auf der Stirn im Linkedin-Feed auf. Die 56-jährige Kretschmann ist Chefin des 5-Sterne-Hotels „Europäischer Hof Heidelberg“ und gibt in dem fast zweiminütigen Video allerlei Tipps dazu, wie man es sich in Hotelbetten gemütlich machen kann – und liegt am Ende selbst in einem Berg voller Kuscheltiere.

Was viele nicht auf einer Business-Plattform wie Linkedin verorten würden, zeigt exemplarisch eine Entwicklung, die die Plattform in den kommenden Jahren vermutlich stark verändern wird. Denn Linkedin wird vom Karrierenetzwerk, das es einst war, immer stärker zu einer Videoplattform, wie es Tiktok und Instagram heute schon sind. Die Gründe dafür sind so simpel wie banal, sagt Juliane Krause-Akelbein, Head of Strategy bei der Kreativagentur Antoni: „Video erzeugt mehr Engagement. Mehr Engagement erzeugt mehr Zeit in der App und das bringt mehr Werbeumsätze.“

Um früh bei diesem Trend dabei zu sein, setzen Unternehmen und Führungskräfte immer stärker auf Bewegtbild statt auf possierliche Worte zu B2B-Sales und zur Führungskultur. Die 5-Sterne-Hotelierin Caroline von Kretschmann im Pyjama mischt hier genauso mit wie Wirtschaftsgrößen, Influencer und Expertinnen aus der ganzen Welt. Sie alle wollen mit Video und Ton ­überzeugen.

Mercedes-Boss Ola Källenius erreicht mit seinen hochwertigen Videos über sich selbst und das Unternehmen immer wieder ein Millionenpublikum. Tchibo-Chef Andreas von der Heydt postet regelmäßig lustige Ausschnitte aus viralen Videos, um auf Themen wie Innovation aufmerksam zu machen, und Personal Branding Influencerin Céline Flores Willers lässt mit eigens produzierten Videos für die Plattform den Like-Button glühen.

Mercedes-Benz nutzt die Videofunktion von Linkedin auf dem Account von CEO Ola Källenius. Das Netzwerk ist somit ein weiterer Marketingkanal.

Was kommt in den Feed?

Linkedin will dieses Engagement künftig noch mehr belohnen und testet derzeit seinen noch recht neuen Videofeed. In diesen auch „Shorts“ genannten Feed kann theoretisch jedes bisher gepostete Video aufgenommen werden. Praktisch wählen aber ein Linkedin-Algorithmus und die Redaktion aus, wer es in diesen elitären Kreis schafft und damit einen besonderen Bonus erhält. Denn anders als Videos, die Menschen einfach als „Beitrag“ posten, erreicht der Videofeed auch Menschen außerhalb des eigenen Netzwerks und damit potenziell Hunderttausende oder im besten Fall Millionen Follower und Kunden. Wer in den Feed kommt, ist völlig intransparent. Noch testet Linkedin das neue Feature. Doch Expertinnen wie Juliane Krause-Akelbein sind sich sicher: „Der Trend zum Video wird bleiben und Unternehmen sind gut beraten, sich dort schon jetzt aufzustellen.“

Der vielleicht beste Grund, diese Empfehlung ernst zu nehmen: Linkedin hat eine der spannendsten Zielgruppen für Entscheider. „Mit Videos bei Linkedin erreicht man keine 14-jährigen Teenies, sondern sofort eine relevante Zielgruppe“, sagt beispielsweise Robin Kiera, CEO der Agentur Digitalscouting.

Die Agentur betreut Social-Kanäle als ausgelagerte Social-Media-Abteilung und produziert Videos für Linkedin, Tiktok und andere Plattformen im Auftrag von mittelständischen Finanzkunden. Dazu gehören Versicherer, Immobilienfirmen ebenso wie Sparkassen oder Banken, von denen viele auf die Expertise und die Produktionen von Digitalscouting setzen und die auch Corporate-Themen über die Plattform spielen. Unternehmen und Firmenlenker, die hier eine starke Marke aufbauen, erreichen nicht nur Endkunden, sondern auch Fachkräfte aus der eigenen Branche, neue Geschäftspartner und Organisatoren von Events oder größeren Messen und Veranstaltungen.

Was für Linkedin-Videos wichtig ist

Doch wo anfangen? Wer auf anderen Videoplattformen wie Tiktok aktiv ist, kann es wie Caroline von Kretschmann machen. Sie postet seit dem ersten Lockdown eigentlich öfter bei Tiktok, doch übernimmt sie auch Videos für Linkedin. Wichtig ist bei solchen Übernahmen, dass das Thema für die neue Zielgruppe adaptiert wird. Kretschmann macht das beispielsweise über den zusätzlichen Text über dem Video, wo sie den Linkedin-üblichen Ton des Stolzes bestens ­verinnerlicht hat.

Der bessere Weg für große Reichweite dürften künftig aber eigens produzierte Videos sein, die speziell auf die Zielgruppe zugeschnitten sind, glaubt Robin Kiera. Seine Firma produziert bis zu 1.000 solcher Videos im Jahr und weiß deshalb gut, was auf den Plattformen funktioniert – und was sich versendet. Die Agentur bietet das Komplettpaket von Skript bis Produktion und Betreuung der Social-Media-Kanäle an. Kiera kalkuliert für so ein Outsourcing für einen Mittelständler mit Kosten von 90.000 bis 250.000 Euro im Jahr. „Dann spielt man aber schon Cham­pions League“, sagt er.

Nicht jeder kann und will das investieren. Doch auch ohne großes Budget kann es mit dem Videoerfolg funktionieren, wenn man einige Grundregeln beachtet. Nummer eins: „Man muss immer am Ball bleiben. Nur ein virales Video ist nicht genug, es braucht regelmäßige Erfolge“, sagt Kiera. Nur so würde man über die eigene Bubble hinaus neue Leute erreichen und damit neue Aufträge und Umsätze an Land ziehen. „Das ist der Return on Invest, den man rauskriegt“, sagt er.


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Schaffen kann man das mit guter Recherche zu aktuellen Trends, Skripten und auch einem Promifaktor. Das ist Regel Nummer zwei: „Die Leute wollen die Führungsebene sehen, auch in der Nische – und nicht den Azubi“, sagt der Digital-Experte. Bei Linkedin sei zudem wichtig, dass es in den professionellen Kontext passe, ohne zu langweilig zu sein. „Es ist ein schmaler Grat zwischen Klamauk und Langeweile, den man da gehen muss“, sagt Kiera. Das führt direkt zur Regel Nummer drei: Niemals langweilig sein. Sonst sind die Leute weg. „Wichtig ist deshalb eine gute Hook, also ein Aufhänger am Anfang des Videos, und dann muss im besten Fall alle 0,3 Sekunden etwas passieren“, erklärt Kiera.

Solange man diese Regeln beachtet, sind dem Ganzen inhaltlich keine Grenzen gesetzt: Videos über nischige Nerdthemen können genauso funktionieren wie Stellenausschreibungen, lustige Fakten, Image-Filmchen über Nachhaltigkeit und Interviews mit spannenden Persönlichkeiten aus dem Unternehmen. Dass man auf dem richtigen Weg ist, lässt sich bei Videos so leicht bewerten wie noch nie im Marketing. Schließlich sind die Zahlen der Aufrufe, Kommentare und generell der Impressions jederzeit im eigenen Profil einsehbar. Für gut hält Robin Kiera, der selbst oft hunderttausende Menschen mit seinen Videos erreicht, Aufrufzahlen von 50.000 je Video. „Ab 100.000 Aufrufen können Sie Ihren Mitarbeitern eine Gehaltserhöhung geben“, sagt er.

Eigenproduktionen können erfolgreich sein

Caroline von Kretschmanns Videos erreichen regelmäßig ein Publikum von mehreren hunderttausend Menschen. Mal lädt sie eine Tanz-Challenge von Tiktok auch bei Linkedin hoch. Teilweise sind die Videos extra produziert. Kretschmann im Pyjama: Das gehört beispielsweise zur zunächst eigens für Linkedin produzierten Serie „Hotel-Wiki“, die sie jeden Freitag postet und die sich bei der Community großer Beliebtheit erfreut. Ihre beliebtesten Videos haben eine Abspielzeit von insgesamt mehreren hundert Stunden. Heißt: Tausende Menschen haben sie oft mehrmals gesehen. „So viele Werbeminuten und dann noch quer über den Globus könnten wir uns als mittelständisches Unternehmen niemals leisten“, sagt Kretschmann. „Aber auf Tiktok, Linkedin oder den anderen sozialen Kanälen kann ich mit wenig Aufwand und viel Kreativität viel erreichen“, sagt die gelernte Hotelfachfrau, die das Hotel seit 2013 gemeinsam mit ihrer Mutter führt.

Caroline von Kretschmann hat den „Hotel-Wiki-Tag“ entwickelt. Hier gibt die Hotelchefin Tipps, wie man sich in einem Hotel verhält.

Diese zusätzlichen Werbeminuten sind gut für das Image des Hotels, vielleicht ziehen sie auch die eine oder andere Auszubildende an. Doch wichtiger ist, dass sie immer mehr Menschen in das 5-Sterne-Haus in Heidelberg locken. Schon unter einem der ersten Videos, das Caroline von Kretschmann vor zwei Jahren auf Linkedin postete, schrieb eine Benutzerin ganz begeistert: „Okay, jetzt hat sich gerade ein Weihnachtswunsch auf meiner Liste an Platz 1 gearbeitet: ein Aufenthalt in diesem supercoolen Hotel mit so grandiosen Menschen mit Herz, Humor, Humanity und Hüftschwung.“ Aus den Worten machen viele Menschen Taten, erzählt Kretschmann. „Viele unserer Gäste kommen, weil sie unsere Videos auf Linkedin oder Tiktok gesehen haben. Einige begegnen mir dann auch und wollen dann neue Videos mit uns drehen.“ Was nach netter Anekdote klingt, wandelt sich für die Hotelchefin in bare Münze um: Rund zehn Prozent aller Buchungen, so schätzt Kretschmann, kommen im Europäischen Hof Heidelberg an, weil sie die Video-Kanäle so eifrig bespielt.

Die Kosten halten sich dabei in Grenzen. Sie selbst investiert eigenen Angaben zufolge zwei Stunden jeden Tag in Recherche zu aktuellen Trends, für das Skripten der Videos und schließlich auch zum Drehen. Ihre Marketing-Managerin investiert ebenfalls ein wenig Zeit. Aber weder haben sie teures Videoequipment eingekauft, noch bezahlen sie einer Agentur viele tausend Euro.

Dass der Erfolg sich trotzdem eingestellt hat, hat viel damit zu tun, dass Kretschmann es aus dem Bauch heraus schafft, die Trends von Tiktok so für Linkedin zu adaptieren, dass auch die Redaktion der App schon auf sie aufmerksam geworden ist. Zweimal bereits hat Linkedin die Hotelchefin gefragt, ob sie nicht speziell für den neuen Videofeed einen Beitrag einreichen wolle, um so auch noch mehr Leute zu erreichen. Sie wollte und beide Beiträge erreichten Hunderttausende. „Das ist natürlich ein schöner Erfolg für uns“, erklärt Kretschmann.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Technologie. Das Heft können Sie hier bestellen.

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