Strategie nur in der Theorie

Wahlkampf

In der Politik kann man sich für eine gute Kommunikation und hohe Umfragewerte nichts kaufen, solange die Wahlergebnisse mies ausfallen. Diese Ehrlichkeit hat etwas Positives, weil es eben nicht so einfach gelingt, eine desaströse Regierungsbilanz mit Hilfe hoher Budgets für Werbung und Campaigning in eine Erfolgsgeschichte zu verwandeln. Die Politik versucht das immer wieder. Sie neigt dann zu populistischen Versprechen und versucht zu suggerieren, alles werde besser, wenn man nur sein Kreuz an der richtigen Stelle mache.

Verlief die Regierungszeit der Ampelkoalition desaströs? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Zumindest ihr Ende war ein Fiasko. Die Beteiligten von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben im Wahlkampf immer wieder Argumente gesucht, um zu zeigen, dass die Ampel-Zeit nicht nur schlecht war. Aber sie wissen auch: Das war nichts! Die drei Parteien erhielten bei der Bundestagswahl nun die Quittung.

Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen war es ein kurzer Wahlkampf, der zudem im Winter stattfand. Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) als Spitzenkandidaten ihrer Parteien dürfte von Beginn an klar gewesen sein, dass es für sie schwer werden würde, CDU/CSU und Friedrich Merz den Wahlsieg streitig zu machen.

Die Union erreichte beim Ampel-Ende im November in Umfragen Werte von mehr als 30 Prozent, während die SPD bei etwa 15 Prozent und die Grünen noch darunter lagen. Entscheidend verändert haben sich die Prozentzahlen während des Wahlkampfes nie. Merz kann das als Teilerfolg verbuchen. Für Scholz und Habeck ist das der denkbar schlechteste Ausgang.

Der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister hatten mit BrinkertLück beziehungsweise Jung von Matt ihren Wahlkampf stärker als Kampagne aufgezogen als die Union mit fischerAppelt. CDU/CSU wollten einen Wirtschaftswahlkampf führen. Merz durfte bloß keinen Fehler machen wie Armin Laschet mit seinem Lachen 2021.

Die Strategien von SPD und Grünen lassen sich am besten anhand der zentralen Begriffe auf den Plakaten erkennen: „Sicherheit“ bei Scholz, „Zuversicht“ bei Habeck.

„Sicherheit“ basierte auf dem Kanzlerbonus und war praktisch eine Fortsetzung von Angela Merkels „Sie kennen mich“. Scholz versuchte, sich zu Beginn des Wahlkampfs als Friedenskanzler zu inszenieren, der zurückhaltend bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine ist.

„Sicherheit“ sollte Wählerinnen und Wähler darin bestärken, dass alles in Ordnung kommen werde. Die Wirtschaft werde wieder Fahrt aufnehmen. Die Rente sei sicher. Ein paar Wahlgeschenke wie ein reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Grundnahrungsmittel oder ein höherer Mindestlohn sollten auf finanzielle Sicherheit einzahlen.

Viele schöne Worte

„Zuversicht“ war für Habeck ein passender Claim. Im Vergleich zu Scholz und Merz stand er am ehesten für Aufbruch. Eine optimistische Grundhaltung nimmt man ihm ab. Als Autor kann Habeck blumig die Vision einer schönen Zukunft skizzieren.

Das Problem für Habeck: „Zuversicht“ kann man auch als Naivität auslegen. Habeck ist Wirtschaftsminister. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist schlecht. Natürlich machen die Menschen in Deutschland ihn und Scholz für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich. Warum sollten die Wählerinnen und Wähler den beiden Politikern vertrauen, dass es in einer weiteren Legislaturperiode besser läuft?

Nach den Terroranschlägen in Magdeburg, Aschaffenburg und zuletzt in München wurde Scholz’ Strategie basierend auf „Sicherheit“ als zentralem Begriff obsolet. Auch Habecks „Zuversicht“ wirkte deplatziert. Die Migrationsfrage verdrängte alle anderen Themen von der Agenda. Sie nahm auch in den TV-Duellen viel Zeit ein. Sozial-, Wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungspolitik – fast bei jedem Thema lässt sich ein Bezug zu Migration herstellen.

Die Anschläge machen vielen Menschen Angst. Scholz’ Plakate mit „Sicherheit“ im Zentrum hatten fast etwas Zynisches. In Aschaffenburg wurde ein zweijähriges Kind erstochen. Migration ist kein positives Thema. Die Menschen verbinden es überwiegend nicht mit „Zuversicht“ im Sinne Habecks.

Es ist ein realpolitisches Thema, dessen Lösung kontroverse Auseinandersetzungen und harte Bilder produzieren wird: Abschiebehaft, Grenzkontrollen, Zurückweisungen, Einreiseversuche, weinende Kinder – es dürfte für die neue Bundesregierung eine Herausforderung werden, Menschen von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen. Für einen SPD- und Grünen-Politiker ist das doppelt schwierig.

Nach den Terrorakten war für Scholz und Habeck ihr zentrales Kampagnenversprechen nicht mehr vermittelbar. Alle Inszenierungsansätze, die vor allem Habeck mit Küchengesprächen und unzähligen Videos umzusetzen versuchte, verpufften. Der Wahlkampf fand überwiegend wieder in klassischen Medien und vor allem in Debattenformaten im TV statt, die ergänzt durch hitzige Rededuelle im Bundestag die Kommunikation in den sozialen Medien dominierten. Eine strategische Kampagnenführung war so kaum mehr möglich. Die Tagespolitik bestimmte das Handeln.

CDU-Chef Friedrich Merz ging ein hohes Risiko ein, als er bei Anträgen im Bundestag Stimmen der AfD in Kauf nahm. SPD und den Grünen gab er damit ein neues Wahlkampfthema, das den Verlust ihrer eigentlichen Kommunikationsstrategie theoretisch hätte kompensieren können. Sie konnten Merz einen Kuschelkurs mit der AfD unterstellen, egal wie oft er dementierte, mit der Rechtsaußenpartei zusammenarbeiten zu wollen. Am Ende ging die Strategie von SPD und Grünen nicht auf. Insgesamt war es ein recht schmutziger Wahlkampf.

Dieser Beitrag ist ein Artikel aus der KOM-Ausgabe zu Strategie, die in dieser Woche als E-Paper erscheinen wird.