Wie stiftet man Liebe zwischen Menschen und Marken?

Interview mit Agenturchefin

Frau Schneider, wie sind Sie auf den Namen „Große Liebe“ gekommen, als Sie die Agentur 2012 gegründet haben?

Ursula Schneider: Mir schwebte eine Agentur vor, die auf nachhaltige Beziehungen setzt statt auf kurz gedachte Aktionskampagnen. In der Kommunikation geht es so viel um Orientierung, da bringt ein kurzer Zuruf nichts, man muss investieren. Der Name ‚Große Liebe‘ ist mir dann beim Joggen eingefallen. Wobei wir hier am Hamburger Hafen sitzen und nun so mancher glaubt, es würde sich um ein Tattoo-Studio handeln (lacht).

Kommunikation und Liebe gehören also zusammen?

Auf jeden Fall! Es gibt diesen schönen Spruch von Tolstoi: „Man kann ohne Liebe Holz hacken, Ziegel formen, Eisen schmieden, aber man kann nicht ohne Liebe mit Menschen umgehen.“ Den zitiere ich auch gerne mal in Besprechungen mit meinen Mitarbeitern. Denn genau das muss erfolgreiche Markenkommunikation machen, und wir als Agentur sollten das auch.

Auf Ihrer Webseite gibt es eine reiche Bildsprache mit Herzen, Kussmündern, Turteltäubchen – wie erklären Sie sich, dass es so viel Spaß macht, mit diesen Symbolen zu spielen?

Ich glaube, dass gerade diese Symbolik so eine doppelpolige Spannung hat. Einerseits kommt sie natürlich schon aus der Klischeekiste, hat etwas von den Glanzbildern, die ich als Kind gesammelt habe. Das Tolle ist aber, dass wir diese Symbole nach Herzenslust neu aufladen durften. Sie sind teils schon seit Jahrhunderten in uns verankert und haben eine ganz besondere, beflügelnde Macht. Es ist schön, davon tagtäglich umgeben zu sein.

Dann sind auch die Agenturräume damit aufgeladen?

Ja, bei uns gibt es viel Rot und viele Herzen, Teller, Tassen und Stühle sind vom Flohmarkt zusammengesammelt. Es macht uns Spaß, einen Kontrast zu den oft cleanen und eher maskulinen Agenturmarken zu bilden.

Sprechen Sie damit eher Frauen an?

Nein, das hält sich die Waage. Ich glaube, Liebe versteht jeder, da ist das Geschlecht egal. Die letzten zwei, drei New-Business-Anfragen, die darüber zustande kamen, dass man uns gefragt hat, warum wir eigentlich ‚Große Liebe‘ heißen, kamen übrigens von Männern.

Es heißt doch immer, Liebe mache blind – zudem gilt sie als unsicheres und oft chaotisches Gut. Ist die Analogie zur beruflichen Beziehung daher nicht etwas unpassend?

Na ja, bei uns soll es ja nicht um irgendeine Liebelei gehen, sondern um eine ernsthafte Beziehung. Wenn Erfahrung, Expertise und Liebe zusammenkommen, ist man nicht blind, im Gegenteil: Erst dann hat man die Augen wirklich weit geöffnet. Umgekehrt könnte man der Wirtschaft zuweilen vorwerfen, sie sei auf dem Herzen blind – und das kann sich ziemlich nachteilig auswirken. Aber das ist, was auch unsere Kunden wissen wollen: ob wir die Fachkenntnis haben oder nur vom Gefühl getrieben sind … Deshalb fragen sie ganz konkret nach, wie wir das mit dem Herstellen von Beziehungen machen.

Und wie machen Sie das?

Indem wir eben nicht Produkte bewerben, sondern andersherum Menschen umwerben wollen. Herkömmliche Werbung und PR funktionieren immer noch häufig nach dem Muster: Ich habe zum einen ein Produkt und zum anderen eine Zielgruppe, die begreifen soll, wie großartig es ist. Das sind dann diese Ich-bin-die-tolle-Marke-Botschaften, die das Publikum berieseln. Kein Wunder also, dass die Menschen so eine Kommunikation einfach ausblenden. Wenn mir ein Mann den ganzen Abend erzählen würde, dass er der tollste Hecht auf Erden ist, würde ich mich auch ganz schnell gelangweilt abwenden. (lacht) Um zu umwerben, haben wir unsere Instrumente, wir schauen uns beispielsweise nicht zuerst das Produkt an. Wir schauen als Erstes auf das Anliegen der Zielgruppe. Da muss man zusammen mit dem Kunden schon mal etwas tiefere Tauchgänge machen. Oft wird man dann überrascht.

Ein Beispiel?

Man entdeckt, dass ein vermeintlich rein funktionales Produkt durchaus auf ein psychosoziales Anliegen trifft. Das funktioniert, wenn man sich mit den Wünschen der Menschen beschäftigt und sich nicht mit der offensichtlichsten Möglichkeit zufriedengibt. Nehmen wir ein Malerkrepp. Es liegt auf der Hand, was der Kunde davon erwartet, nämlich eine exakte Farbkante. Aber das ist nicht alles. An dieser Stelle fragen wir uns, was darüber hinaus dahintersteckt. Zum Beispiel ein Gefühl von Stolz, das Streichen selbst so professionell hinbekommen zu haben. Erst wenn man diese Ebene anspricht, entsteht Nähe.

Gibt es wirklich bei jedem Produkt eine emotionale Ebene zu erkunden?

Ja, so eine Beziehung lässt sich grundsätzlich herstellen. Es geht auch nicht immer darum, die große flammende Liebe zu entfachen, beim Malerkrepp ist es vielleicht eher eine dicke Freundschaft. In jedem Fall schauen wir uns an, was die intensivste Beziehung wäre, die man sinnvoll erreichen kann. Wir hatten schon mit einigen eher merkwürdigen Produkten zu tun – in dem Sinne, dass man nicht gleich vermutet hätte, dass Liebe darin wohnt. Einmal sollten wir uns eine Kampagne für eine Sterilisationswaschmaschine für Krankenhäuser ausdenken, ein nicht unbedingt hübsches Produkt. (lacht) Wir haben dann in Anlehnung an das alte Videospiel Pac-Man einen bakterienfressenden Bac-Man kreiert, mit dem die Leute auf Messen spielen konnten. So kann man Gefühle auslösen, eine Beziehung starten.

Die Marke ist in Ihrem Kommunikationsmodell also nicht selbstgenügsam.

Stimmt. Wir folgen dem Motto: It takes two to tango. Die Zielgruppe und die Marke stehen von Anfang an gleichberechtigt gegenüber und blicken sich an. Wenn wir die Werte der Marke betrachten, prüfen wir sofort, ob sie denen der Zielgruppe entsprechen. So machen wir es auch mit dem Nutzen und dem Anliegen – es muss überall Beziehungsäquivalente geben, einen gemeinsamen Herzschlag. Ist das nicht der Fall, werden wir zum Beziehungs-Coach. Letztendlich sind wir eine Partnervermittlung zwischen Verbrauchern und Marken. (lacht) Den Vorsprung versteht nicht gleich jeder, aber unsere Kunden lassen sich ganz bewusst darauf ein.

Und wie kann man am Ende die Liebe messen? Die Firmen möchten doch sicherlich wissen, ob sich diese Art der Kommunikation auszahlt.

Natürlich, dass wir einen Maßstab für Liebe brauchen, war bei der Namensgebung von vorneherein klar. Wir haben mit dem Marktforschungsunternehmen Mafo experimentiert und das Messinstrument ‚Lovescore’ entwickelt. Dieses besteht aus vier Komponenten. Zuerst bestimmen wir klassische Markenwerte, so etwas wie Markenpräferenz und Kaufbereitschaft, um unsere Ergebnisse vergleichbar zu machen. Dann messen wir den derzeitigen Stand der Beziehung. Da gibt es ganz verschiedene Beziehungsparameter, so etwas wie die Zweckgemeinschaft, der Kollege oder auch der Bruder. Es gibt ja ganz unterschiedliche Formen der Liebe. Liebe ich etwas eher wie meinen Opa? Dann ist das nicht so toll, wenn die Marke sich gerade verjüngen möchte. Oder ist die Marke ein geheimer Liebhaber, wie Hornbach beispielsweise als Seitensprung von Obi empfunden werden könnte? Im dritten Schritt skalieren wir diese Beziehung in ihrer Intensität. Und schließlich, da steckt ganz viel Psychoanalyse drin, untersuchen wir die Treiber, die dahinterstehen. Ist das Neugier, Vertrauen, Erregung? Diese Messungen machen wir über einen längeren Zeitraum. Kommt beispielsweise anfangs heraus, es geht um eine Zweckgemeinschaft, können wir nach einem halben Jahr feststellen, wie sich das Verhältnis mit Hilfe von neuen Treibern verändert hat.

Und was beobachten Sie an sich selbst? Gibt es Marken, die Sie lieben?

Ja, ganz klassisch: Vor mir steht gerade ein großes Glas Coca-Cola. Das ist eine vermutlich gar nicht so gesunde, aber ziemlich große Liebe. Der ich treu bleibe – obwohl ich beispielsweise die Kommunikation von Fritz-Kola sehr zu schätzen weiß. Darüber hinaus habe ich eine Schwäche für sämtliche Frosch-Produkte, Lavazza-Kaffee und Kosmetik von Chanel. Und die Hornbach-Kampagne hat mich tatsächlich dazu getrieben, mal in einen Baumarkt zu gehen.

Was bedeutet das denn, eine Marke zu lieben?

Bei Liebe geht es immer um Loyalität, in diesem Fall, dass ich zu einer Marke stehe. Das allein wäre aber zu kurz gesprungen. Wichtig ist, sich zu identifizieren, ein Lebensgefühl und Werte zu teilen. Wir alle kaufen letztlich nicht nur das, was wir wirklich brauchen, sondern konsumieren auch, was wir sein möchten. Liebe macht den Konsum intensiver – wenn ich die Marke Nutella liebe, schmeckt mir die Creme auf dem Brot noch besser. Zu einer glücklichen Liebe gehört aber auch, dass ich zurückgeliebt werde, wahrnehme, dass sich die Marke für mich als Verbraucher interessiert und mir zuhört. Das alles muss zusammenkommen.

Geht die Branche nicht ein wenig zu inflationär mit dem Begriff um? Ich habe das Gefühl, Liebe wird in der Produktkommunikation oft mit Begeisterung verwechselt.

Wir möchten mit dem Namen Große Liebe signalisieren, dass wir das Maximum aus einer Beziehung herausholen wollen. Der liebste Kollege kann natürlich auch eine Form großer Liebe sein. Aber ich befürchte, Sie haben Recht. Es ist ein Trend, mit dem Wort „Liebe“ zu werben. Coca-Cola darf das als etablierte Marke vielleicht, aber für viele ist so ein Liebes-Claim der komplett falsche Weg. Wenn ich sage: „Jetzt lieb mich doch, sei mein Fan!“, gebe ich einen Befehl, aber keinen Anlass. So würden wir unsere Kommunikation nicht übersetzen, wir möchten lieber einen Grund liefern, liebenswert zu sein. Das würde im normalen Leben in einer Beziehung ja auch nicht funktionieren. In der Agentur versuchen wir immer, in diesen Entsprechungen zu denken. Man findet die Antworten oft schneller, wenn man die Beziehung zwischen Marke und Verbraucher in einen Flirt zwischen zwei Menschen übersetzt.

Laut Ihrer Webseite geht es Ihnen aber nicht nur um die Liebe zwischen Marke und Konsumenten, sondern auch um die zwischen Ihren Kunden und Ihnen. Ist Ihre Vorbereitung für einen Pitch mit der eines Dates vergleichbar?

Ja, schon. Ein Funke ist immer da, wir haben schließlich Lust, uns mit Kommunikation und Kreation zu beschäftigen. Bei jedem neuen Kunden bietet sich dafür eine neue Chance, und das ist ziemlich aufregend. Kann der andere sich eine Beziehung mit uns als Agentur vorstellen? Wir möchten uns gerne darauf einlassen, ihn entsprechend umsorgen. Auf dem Tisch stehen daher bei uns auch Granatapfelsaft und kleine Snacks in Herzform …

Und was, wenn die Beziehung einzuschlafen droht?

Mit längjährigen Kunden machen wir von Zeit zu Zeit einen Beziehungs-Check; stimmt unsere Zusammenarbeit noch? Können wir uns weiterhin befruchten, tun wir uns gut? Wenn es nicht mehr so rund läuft wie am Anfang, heißt es auch schon mal: Wir müssen reden.

Hatten Sie schon einmal eine Anfrage von einem Kunden, bei dem der Funke nicht gleich übergesprungen ist?

Was gar nicht geht, ist, wenn ein Kunde uns deutlich macht, dass er überhaupt keine Beziehung haben möchte, sondern wir als bloßer Dienstleister das umsetzen sollen, was er sich vorstellt. Das haben wir einmal erlebt – und dem Kunden eine Absage erteilt.

Auch in Ihren Stellenausschreibungen fallen Worte wie Liebe und Leidenschaft. Muss wirklich jeder Praktikant Liebe für seinen Job empfinden?

Ja, und ich glaube, das gilt für jeden Beruf, sofern man ihn nicht nur als Broterwerb sehen möchte. Die viele Zeit, die man mit Arbeit verbringt, sollte man als erfüllend empfinden können. Wer seinen Beruf, seinen Job liebt, ist glücklicher und erfolgreicher. Kreativität setzt immer neue Welten frei, das erfordert unbedingt Liebe, auch zum Detail.

Und wie finden Sie im Vorstellungsgespräch heraus, ob ein potenzieller Mitarbeiter seinen Beruf liebt?

Bei den Kreativen ist das recht einfach. Man muss nur beobachten, wie jemand seine Mappe zeigt. Betreibt er Namedropping und blättert die Seiten schnell durch? Oder zeigt er ein Layout, strahlt – und erklärt vielleicht auch, was er entgegen dem Kundenwunsch gerne anders gemacht hätte – daran erkennt man Leidenschaft.

Zum Schluss noch eine ganz persönliche – und nur vermeintlich einfache – Frage: Was ist Liebe?

Für mich bedeutet Liebe, Vertrauen und Freiheit zu teilen. Wenn ich jemanden liebe, interessiere ich mich sehr für ihn, empfinde es als intensiv, mit ihm zusammen etwas zu unternehmen, er ist mir wichtig. _

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.

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