Wie PR die Öffnung der Friseursalons forcierte

Kampagne „Friseure in Not“

Herr Mansfeld, am 1. März dürfen in ganz Deutschland Friseursalons wieder öffnen. Es ist die einzige Branche, der auf der letzten Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin eine konkrete Öffnungszusage gegeben wurde. Was haben Sie mit den Öffnungen zu tun?

Hasso Mansfeld: Ich betreue seit etwa 20 Jahren den Kunden Wild Beauty. Das ist der Generalimporteur von Paul-Mitchell-Haarprodukten nach Deutschland. Der jetzige Inhaber, Noah Wild, rief mich vor etwa drei Wochen an und sagte mir, dass sie gegen die Schließung der Friseursalons klagen wollen, weil den Friseuren das Wasser bis zum Hals steht. Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, für die Aktion Öffentlichkeit herzustellen. Mein Eindruck war sofort, dass das der Gamechanger sein könnte. Am Anfang klagten sieben Friseure aus sechs Bundesländern vor Oberverwaltungsgerichten gegen ihre Schließung. Aus publizistischen Gründen war es aus meiner Sicht notwendig, in allen Bundesländern Klagen einzureichen, damit das Thema bundesweite Aufmerksamkeit erhält.

Wie ging es weiter?

Mein Kunde hat sich entschieden, es bundesweit anzugehen. Wir haben dann den Kampagnennamen „Friseure in Not“ und ein Logo entwickelt. Noah Wild hat darauf hingewirkt, dass 17 Friseure aus 16 Bundesländern klagen. Es sind Kunden seines Unternehmens. Wir haben als nächstes eine Pressemitteilung aufgesetzt, dass die 80.000 Friseure in Deutschland in Not sind, und den Redaktionen die juristische Argumentation mitgeliefert, warum die Friseure klagen und wieder öffnen wollen. Dadurch dass es eine bundesweite Kampagne war, wurde es von den Medien wahrgenommen.

Sie sprachen davon, dass das Thema der Gamechanger sein könnte. Inwiefern?

Der Gamechanger für die gesamte Corona-Debatte. Bislang wurde hauptsächlich davon gesprochen, dass man den Lockdown weiter verschärfen muss. An Lockerungen war eigentlich nicht zu denken. Wer sich für Öffnungen ausspricht, über den bricht in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm rein. Auf der anderen Seite sieht man, dass die wirtschaftlichen Probleme zunehmen. Es geht nicht nur um die Friseurbetriebe, sondern auch um den Handel, Gastronomie, die Soloselbstständigen und Kulturschaffenden. Parallel gingen zuletzt die Infektionszahlen deutlich runter.

In der „Bild am Sonntag“ hatten Ende Januar die Friseure angeprangert, dass die Fußballprofis immer top frisiert sind. Das war, kurz bevor wir gestartet sind. Die öffentliche Wahrnehmung der Problematik war also gegeben. Hinzu kommt, dass im ersten Lockdown im vergangenen Jahr die Friseure von den Schließungen ausgenommen waren. Aus sich selbst heraus war es also logisch, dass man Friseure jetzt wieder aufmachen lässt.

Was war Ihre Argumentationslinie in der Öffentlichkeitsarbeit und bei den Klagen? Wie wollten Sie die politischen Entscheider überzeugen, dass Friseure genau jetzt wieder aufmachen müssen?

Wir haben argumentiert, dass es ein Dilemma gibt: Die Friseurschließungen führten nicht dazu, dass Leute sich nicht die Haare schneiden lassen, wie man am Beispiel der Fußballstars sehen konnte. Offenbar entstand ein effektiver Schwarzmarkt. Es ist ein Prohibitionsdilemma. Darauf muss man von Regierungsseite reagieren, weil die Politik nicht einfach ausblenden kann, dass es diesen Schwarzmarkt gibt. Unsere Argumentation war also, dass es besser ist, jetzt kontrolliert und unter klaren Bedingungen die Friseursalons zu öffnen, als dass sich Leute privat die Haare schneiden lassen. Der Argumentation konnten die Redaktionen folgen.

Sie erwähnten Noah Wild, der die Initiative gestartet hat. Was war seine Motivation?

Noahs Firma beliefert Friseursalons. Wenn die geschlossen sind, macht er keinen Umsatz. Er ist nicht direkt, sondern indirekt betroffen und konnte deshalb nicht selbst klagen. Sein Unternehmen ist nicht geschlossen. Er hat dann für seine Kunden – die Friseursalons – das ganze Prozedere für die Klagen organisiert und die Anwaltskosten übernommen. Friseure, denen das Wasser bis zum Hals steht, binden sich nicht die Kosten eines Gerichtsverfahrens ans Bein. Machen die Friseurläden wieder auf, steigen natürlich Noah Wilds Umsätze wieder.

Sie haben 44 Briefe an Politikerinnen und Politiker geschrieben. Was genau stand da drin?

Die 17 Friseure aus den 16 Bundesländern haben vor der Konferenz der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin am Mittwoch vergangener Woche ihren jeweiligen Ministerpräsidenten, stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministern einen Brief geschrieben. Einer ging an Angela Merkel. Die Friseure haben mit Fotos dokumentiert, wie sie die Briefe übergeben oder abgeschickt haben. Die Bilder haben wir den Redaktionen zusammen mit der Pressemitteilung und Zitaten der Friseure zukommen lassen.

Am Montag vor der Ministerpräsidentenkonferenz hat die dpa einen großen Vorbericht mit Vertretern verschiedener Branchen gemacht. Dort kamen auch wir und Noah Wild vor. Ab dem Zeitpunkt entwickelte sich ein großes Medieninteresse. Das „Heute Journal“, Tagesschau.de und „Bild Live-Talk“ berichteten. Über die Friseure gab es in regionalen Tageszeitungen Seite-3-Geschichten. Am Ende kamen etwa 400 Clippings und TV-Beiträge zusammen.

Diverse Politiker sprachen zuletzt über Friseure. Markus Söder argumentierte, Haare schneiden hätte etwas mit Würde zu tun. Horst Seehofer kritisierte den Schwarzmarkt. Olaf Scholz und Peter Altmaier, die beide nur noch wenig Haare haben, machten darüber Anspielungen in TV-Sendungen. Führen Sie das auf Ihre Kampagne zurück?

Das kann ich natürlich nicht sicher sagen. Ich weiß indes, dass viele Redakteure die Ministerpräsidenten und Minister auf die Friseure angesprochen haben.

Was hat aus Ihrer Sicht am Ende für die Politik den Ausschlag gegeben, die Friseursalons zu öffnen?

Die Politik musste darauf reagieren, dass ein Schwarzmarkt entstand. Die Situation war somit in allen Belangen schlechter als bei geöffneten Friseurläden. Die Leute treffen sich bei jemandem privat zu Hause. Es gibt Kontakte. Es besteht keine Möglichkeit zur Nachverfolgung, falls sich jemand infiziert. Plus: Der Staat, der aktuell auf Steuereinnahmen angewiesen ist, kann es sich nicht erlauben, wenn ihm diese Steuern entgehen.

In jedem Bundesland klagten Friseursalons gegen die Schließung aufgrund des Lockdowns. Wie ist der Status quo?

In der Mehrheit sind sie abgelehnt worden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in Niedersachsen hat allerdings argumentiert, dass die 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 weder mit dem Infektionsschutzgesetz übereinstimmt, noch der Wert der tatsächlichen Fähigkeit der Gesundheitsämter zur Nachverfolgung entspricht. Würde also beispielsweise ein Restaurant klagen, besteht die Möglichkeit, dass Restaurants in Niedersachsen bei Unterschreiten einer 7-Tages-Inzidenz von 50 wieder aufmachen dürfen.

Aus PR-Sicht ist „Friseure in Not“ ein Erfolg. Die Friseurläden dürfen aufmachen. Andererseits führen offene Salons trotz Hygienekonzepten zu mehr Kontakten und zumindest theoretisch zu Infektionen. Es liegt auch eine Ungleichbehandlung vor, weil andere Branchen mit ähnlichen Dienstleistungen wie Kosmetikstudios nicht öffnen dürfen. Inwieweit hat Sie solche Kritik erreicht?

Diese Kritik habe ich nicht wahrgenommen. Es gab auch keine Kommentare in den Medien, die in diese Richtung gingen, obwohl sie vorstellbar wären. Die Friseure konnten über ihre Innungen nachweisen, dass es im letzten Jahr in allen Läden nur sieben Infektionen gab. Es gibt hier wie beschrieben ein Dilemma: Wenn ein Schwarzmarkt entsteht, ist es aus meiner Sicht besser, die Friseurbetriebe unter kontrollierten Bedingungen laufen zu lassen als im Verborgenen. Einen Schwarzmarkt gibt es in anderen Bereichen eben nicht: Beim Handel oder in der Gastronomie weichen Kunden zu Amazon oder Lieferando aus.

Sie sprechen offen über die Kampagne. Haben Sie nicht die Sorge, dass die Friseure bei einem weiteren möglichen Lockdown die ersten sind, die schließen müssen, weil die Politik sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, dass sie einer PR- und Lobby-Kampagne nachgegeben hat?

Das Schwarzmarktproblem ist evident. Die Politik hat sich einer zutreffenden Argumentation gebeugt und nicht PR. Der Filter ist doch viel früher: Wir haben Pressemitteilungen geschrieben, Medien haben sich dem Schwarzmarktdilemma gewidmet und es journalistisch aufbereitet. Jede Organisation und jeder Mensch hat das Recht, seine Partikularinteressen in der Öffentlichkeit darzustellen. Der Status ist für alle besser als vorher. Die Regierung hat hier korrekt gehandelt.

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