Wie man mit Studien in die Medien kommt

Studien in der Unternehmenskommunikation haben mal wieder Konjunktur. Doch wie steht es mit ihrer Resonanz bei Journalisten und in den Medien? Das zeigen Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung.

„Mein Eindruck ist, dass es immer mehr Studien und Umfragen gibt. Es gibt Tage, da schwappt über die Nachrichtenagenturen regelrecht eine Studienwelle über uns herein.“ So äußerte sich Ursula Ernst, Mitglied des Deutschen Presserates, im Mai dieses Jahres im pressesprecher. Ein Mantra von Journalisten, dessen Gegenstück in der Öffentlichkeitsarbeit lautet: Studien sind ein gut geeignetes PR-Instrument, denn Journalisten „stehen einfach auf Zahlen“.

Tatsächlich erfreuen sich Studien hoher Beliebtheit in der Unternehmenskommunikation, was eine Befragung des F.A.Z.-Instituts im Januar bestätigt hat. Aber wie beliebt sind Studien bei Journalisten und in Redaktionen? Bislang fehlten empirisch gesicherte Erkenntnisse darüber, in welchem Umfang und in welchen Zusammenhängen Medien in Deutschland Studien aufgreifen. Diese liegen nun vor.

Die Untersuchung

Sie stützen sich auf die Analyse von 539 Artikeln, die Studien aufgreifen, erschienen 2010 in Die Welt/Welt am Sonntag, Handelsblatt, Spiegel Online und Süddeutscher Zeitung. Darunter fallen nicht nur Umfragen und wissenschaftliche Studien, sondern weitere systematisch-empirische Untersuchungen, zum Beispiel Rankings und Marktanalysen. Ergänzt wurde die Analyse mit Recherchen, welche PR-Aktionen der Berichterstattung zeitlich vorauslagen, und explorative Leitfadeninterviews mit Experten aus Journalismus und PR.

Studien in jedem elften Artikel

Im Durchschnitt thematisieren 8,8 Prozent der Artikel eine Studie. Das entspricht rund einem Viertel aller Artikel, die in den Ressorts Politik und Wirtschaft im Sample und Untersuchungszeitraum erschienen sind. Beim Großteil handelt es sich um Artikel, in deren Mittelpunkt eine Studie steht oder daran aufgehängt sind (5,7 Prozent). Studienartikel fehlen in keiner der untersuchten Ausgaben.

Ihr Löwenanteil entfällt auf vier Ressorts: Wirtschaft (28,4 Prozent), Politik (16,0 Prozent), Wissenschaft (12,1 Prozent) und Finanzen/Börse/Geld/Immobilien (10,2 Prozent). Wirtschaft ist in allen untersuchten Medien das Ressort mit den meisten Studienartikeln. Die Ressorts, innerhalb derer Studienartikel die höchsten Anteile haben, sind Wissenschaft (32,1 Prozent), Beruf/Karriere/Bildung (26,8 Prozent) und Wirtschaft (14,3 Prozent). In der Politik liegt der Anteil bei 9,2 Prozent.

Auf diese Ressorts verteilen sich Artikel über Studien (c) nach Derksen

Auf diese Ressorts verteilen sich Artikel über Studien (c) nach Derksen

 

Branchen und Menschen im Mittelpunkt

In 28,2 Prozent der Fälle, in denen die untersuchten Medien über Studien berichten, ziehen sie Branchen- und Marktstudien zurate, zum Beispiel, wie sich technische Entwicklungen auf das Geschäft in bestimmten Industrien auswirken. 22,4 Prozent der Studienberichterstattung thematisiert Ergebnisse verbrauchernaher Untersuchungen – rund um Ausbildung, Beruf, Bildung, Gesundheit und Ernährung, mit Schlagzeilen wie „Gehirnjogging verschlimmert Alzheimer“ und „Der Arbeitsmarkt für Banker in Deutschland erholt sich“. Analysen des Verhaltens und der Bedürfnisse von Verbrauchern sind ebenfalls regelmäßiger Bestandteil der Studienberichterstattung (14,5 Prozent).

Die dominierenden Nachrichtenwertfaktoren, die Journalisten in ihren Berichten mit Studienergebnissen bedienen, sind Schaden (66,0 Prozent), Nutzen (63,0 Prozent) sowie Kontroverse/Konflikthaftigkeit (50,7 Prozent).

Fehlende Informationen zur Methodik

Ein bekanntes Problem entpuppt sich als größer als erwartet: Redaktionen geizen in der Berichterstattung mit Angaben zur Methodik einer Studie. 66 Prozent der Berichte über Studien liefern den Lesern keine Angaben, die über den Absendernamen hinausgehen. Sehr negativ fallen Artikel über Umfragen auf – kein Artikel erfüllt vollständig die Anforderungen des Deutsche Pressekodex (Artikel 2.1) an die Wiedergabe von Umfrageergebnissen. 24 Prozent der Artikel nennen nicht einmal den Absender der zitierten Umfrage. Zum Vergleich: Nur acht Prozent der Pressetexte, die zu diesen Umfragen herausgegeben worden waren, erfüllen die Kodex-Kriterien.

Medienpartnerschaften und das Recht auf Erstveröffentlichung

Studienergebnisse gelangen am häufigsten per Pressemitteilung oder Newsletter in die Redaktionen, die für 68,6 Prozent der Studien im Sample nachgewiesen wurden. Ein wichtiger Gatekeeper sind die Nachrichtenagenturen: 27,3 Prozent aller hier untersuchten Studienartikel gehen ganz oder in Teilen auf Agenturmaterial zurück.

Bewährt hat sich die PR-Taktik, einer Redaktion das Recht auf Erstveröffentlichung einer Studie anzubieten – nachgewiesen für 5,8 Prozent der Studien im Sample. Die befragten Journalismusexperten stehen dieser Taktik jedoch misstrauisch gegenüber – aus der Erfahrung heraus, dass Pressesprecher mitunter versuchen, fragwürdige Untersuchungen mit dem Label „Exklusiv!“ aufzuwerten.

Eine wiederkehrende Routine ist außerdem die gemeinsame Veröffentlichung von Studienergebnissen, bei denen das Medium und etwa ein Verband als Absender auftreten. Jeder zehnte Artikel, der eine Studie als Hauptberichterstattungsgegenstand hat oder als Aufhänger nimmt, ist auf diese Weise zustande gekommen (10,3 Prozent).

Medien als größte Absendergruppe

Auch dieser Praxis ist wohl geschuldet, dass Medien die größte Absendergruppe von Studien sind, die thematisiert werden (16,6 Prozent), gefolgt von Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen (11,2 Prozent). 10,5 Prozent stammen von ausländischen Universitäten, 7,0 Prozent von Branchenverbänden, 3,9 Prozent von Markt- und Meinungsforschungsinstituten.

Motive von Journalisten

Nach bisherigem Stand der Forschung verwenden und initiieren Journalisten Studien aus den folgenden Gründen, die empirisch weiter fundiert werden müssen:

  • Studien liefern Expertenwissen, das Journalisten benötigen, um sich Sachverhalten zu erschließen und ihr Publikum angemessen informieren zu können.
  • Studien haben konkreten Nutzwert für Leser, indem sie etwa Orientierungshilfe in wirtschaftlichen und politischen Fragen leisten.
  • Studien vermitteln gesicherte Erkenntnisse bzw. den Eindruck gesicherter Erkenntnisse und machen die Berichterstattung glaubwürdig und objektiv.
  • Die Aufbereitung von Daten in Schaubildern und Grafiken ist zu einem wichtigen Bestandteil von Berichterstattung geworden.
  • Anhaltender Ressourcenmangel in vielen Redaktionen begünstigt Berichterstattung über Studien vor allem Dritter, da sie in der Regel rasch produziert ist.
  • Eigene Studien sichern dem Medium verhältnismäßig günstig relevanten und exklusiven Inhalt für die Berichterstattung.

Fazit

Pressesprecher und Journalisten setzen Studien als Partikel ein, um daran Storys kondensieren zu lassen – und damit Aufmerksamkeit für bestimmte Sachverhalte und deren Lesart. Studien können Journalisten außerdem praktische Unterstützung in ihrer redaktionellen Arbeit liefern. So hat sich ein Mechanismus etabliert, der vor allem in klassischen Nachrichtenmedienressorts zu einem hohen Output an Storys mit Studien führt. Doch gibt es tatsächlich eine Flut an Umfragen, Analysen, Rankings, sowohl in der PR als auch in den Medien? Droht gar eine Studieninflation? Zumindest Gespräche mit Journalisten weisen auf eine wachsende Studienmüdigkeit hin. Selbst erfahrene Pressesprecher klagen über zu viele, vor allem unsauber durchgeführte Untersuchungen. In diese Richtung muss nun geforscht werden. Die Unternehmenskommunikation muss sich der Frage stellen, wie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit Studien weiter funktionieren kann und vor allem soll.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kommunikations-Controlling, Evaluation und Eigen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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