Jedes Jahr gebe ich für verschiedene Seminaranbieter und Hochschulen rund zwei Dutzend Kurse und Lehrveranstaltungen oder halte entsprechende Vorlesungen. Meist geht es dabei um Rezepte für eine erfolgreiche Pressearbeit, um Pressemitteilungen mit Wirkung oder ums Redenschreiben. Kurzum: es geht um Kommunikation und (meist) ums Schreiben. Zwei der Veranstaltungen behandeln dabei auch eine besondere journalistische Form, nämlich das Interview.
Das Interview habe ich mit im Angebot, weil es nicht nur im Journalismus, sondern auch in der klassischen PR oder Unternehmenskommunikation eine Rolle spielt, zum Beispiel in einer Verbandsbroschüre, einem Kunden- oder Mandanten-Journal oder auf der Website. Ebenso in der internen Kommunikation wie im Intranet oder in einem Mitarbeiter-Magazin. Und trotzdem meinte vor Kurzem ein Teilnehmer bei einem PR-Workshop, das Interview könne man doch gut irgendwo bei einem anderen Thema streifen. Es sei nicht so wichtig, dass man ihm eine ganze Veranstaltung widme. Was für ein Irrtum!
Das Interview ist aus gleich mehreren Gründen über den Journalismus hinaus auch in der PR enorm wichtig. Wegen der beteiligten Personen, wegen der Inhalte und wegen der Art der Kommunikation.
Das Interview: eine Dreiecksbeziehung
Um Sinn und Chancen eines Interviews zu verstehen, ist es wichtig, sich dessen wörtliche Bedeutung anzusehen. Ein „Interview“ (engl.) ist ein „entrevue“ (frz.), ein Zusammentreffen: Man sieht (!) sich, man spricht kurz miteinander. Direkt, unmittelbar, in Echtzeit. Ein Interview ist eine Gesprächsform – hier zugespitzt dadurch, dass in der Regel ein Mensch Fragen stellt und der andere sie beantwortet. Und zwar unverfälscht. Schon der Journalismus-Lehrer Walther von La Roche betonte in den 1980er-Jahren: „Von einem Interview sprechen wir, wenn sich das Gespräch zwischen Journalisten und Auskunftsperson vom Leser, Hörer, Zuschauer als solches erkennen lässt.“
Bezeichnend ist dabei, dass er nicht nur Journalisten und Auskunftsperson erwähnte, sondern auch die Leser oder Zuschauer. Christian Arns und Conrad Giller betonen in ihrem Grundlagenwerk über das Interview diese Dreiecksbeziehung ebenfalls: „Ein Interview ist im besten Fall ein echter, lebendiger Dialog und hat drei Mitspieler: den Journalisten, den Interviewpartner und das Publikum.“
Dabei kann es sich um ein Personeninterview handeln, bei dem der Interviewpartner als Mensch mit seiner Vita im Mittelpunkt steht, zum Beispiel in der biografischen Arbeit, zu einem runden Geburtstag oder bei einer besonderen Auszeichnung oder – das hatte ich neulich bei einem Kunden – anlässlich eines Firmenjubiläums mit dem Gründer. Möglich sind auch Meinungsinterviews, bei denen logischerweise die Meinung im Mittelpunkt steht, oder ein Experteninterview, bei dem es vor allem um Fakten und Wissensvermittlung geht. Am häufigsten ist vermutlich die Mischung aus all dem.
Beim Ablauf lassen sich ebenfalls ein paar Unterarten des Interviews unterscheiden:
- ein strukturiertes Interview mit einem strikten Leitfaden und vielen geschlossenen Fragen („Ja“, „Nein“), wie wir es zum Beispiel bei einer Befragung oder einem wissenschaftlichen Interview im Rahmen einer Studie kennen;
- ein semistrukturiertes Interview, dem zwar ebenfalls ein klarer – vorbereiteter! – Leitfaden zugrunde liegt, die Fragen aber variabel in freier Reihenfolge gestellt werden können;
- ein unstrukturiertes Interview, das einfach frei und offen geführt wird. Wobei „unstrukturiert“ nicht mit „unvorbereitet“ verwechselt werden darf (siehe dazu weiter unten).
Diese Vielfalt von Inhalten und Formaten zeigt, dass ein Interview wahrlich kein verstaubtes Relikt aus der Anfangszeit des bundesdeutschen Journalismus ist, sondern auch heute noch eine der lebendigsten Formen der internen und externen Kommunikation. Als Text-Interview genauso wie als Podcast oder Video.
Wie führt man ein gutes Interview? Fragen stellen!
Was ein gutes Interview in jedem Fall auszeichnet, ist, dass beide Gesprächspartner sich vorbereiten. Und dass ihr Austausch am Ende für das Publikum einen Mehrwert an Nutzen, Unterhaltung oder eine andere Form von (Erkenntnis-)Gewinn bringt. Wie ich im vergangenen Monat an dieser Stelle geschrieben habe: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Schön, wenn die beiden Interview-Partner sich liebhaben, aber die Leser, Zuhörer oder Zuschauer sollen mindestens auch profitieren. Darum ist für ein erfolgreiches Interview die Wahl von Thema und Inhalten, ein aktueller Aufhänger, die Vorbereitung von Fragen und inhaltlichen Bezügen et cetera mindestens ebenso wichtig wie die Wahl der Gesprächspartner. Gemäß dem Grundsatz der guten alten Rhetorik: Der Beitrag soll prodesse et delectare: erfreuen und nützen!
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Und wie macht man nun ein gutes Interview? Man braucht, wie für alle journalistischen Textformate, vor allem zwei Zutaten: Vorbereitung (wer unvorbereitet in ein solches Gespräch geht – ob als Interviewer oder als Interviewter –, handelt fahrlässig) und Fragen. Gefragt werden dürfen Fakten ebenso wie Einschätzungen und Meinungen, Persönliches und Fachliches, Wissen ebenso wie Glauben.
Damit das Interview im Fluss bleibt, bieten sich vor allem offene Fragen an, die Raum für Antworten lassen. Natürlich wollen wir manchmal auch ein klares „Ja“ oder „Nein“ hören (mancher Interview-Partner möchte gerade das gerne vermeiden). Doch mehrere geschlossene Fragen hintereinander machen den Dialog sehr eintönig.
Alternativfragen („Sekt oder Selters?“ – „Lösung A oder B?“) sind natürlich auch angebracht; ab und an – aber bitte nur in geringen Dosen – auch Suggestivfragen („Finden Sie nicht auch, dass …?“). Geringe Dosen deshalb, weil eine solche durchaus auch provokante Frage schnell die Meinung des Fragenden in den Mittelpunkt stellen. Ich will aber die Meinung des Antwortenden hören.
Überhaupt Fragen: Der WDR-Moderater Ralph Caspers hat einmal in einem Interview (!) die Bedeutung von Fragen betont. „Lieber einen Moment für dumm gehalten werden, als sein ganzes Leben lang dumm bleiben.“ Dieses Frageverhalten sei ganz ähnlich dem seiner Kinder. „Wenn ich mit Experten rede, dann habe ich auch immer eine Frage nach der anderen gestellt. Ich habe immer wieder weitergefragt, wenn ich etwas noch nicht ganz verstanden hatte.“ So kommen dann am Ende wissenswerte Beiträge, mindestens aber klare Antworten zustande.
Um „richtig“ oder „falsch“ muss es dabei nicht immer gehen. „Um ins Gespräch zu kommen, sind die Fragen, auf die es keine richtige oder falsche Antwort gibt, meistens viel besser.“ Also: Fragen überlegen, Fragen stellen, nachfragen … Und Raum für Antworten lassen. Denn ein Interview lebt von Aktion und Reaktionen beider Seiten. Damit es richtig gut wird. Dafür lohnt sich dann auch eine eigene Lehrveranstaltung.