What’s Love Got to Do with it?

Konsum, Marken, PR-Job und die Frage:

Es ist Frühling! Unser Alltag ist luftig leicht, jeder Gang darin ein Tanz, jede Mahlzeit Eiscreme und jedes Satzende ein Ausrufezeichen! Und weil das schön ist und wir es gut können, lieben wir nun auch besonders gerne. Und zwar fast alles, was uns in die Quere kommt. Wenn Partner, Familie und Freundeskreis ausreichend bedacht wurden, haben wir oft noch Liebe übrig. Die können wir dann verteilen: auf den Lieblingsfußballverein, das favorisierte Automodell oder die begehrte Modemarke. Wäre da nicht …

1. Die Inflation

Noch sind alle Herzen
rasch zu Minnesscherzen
aber laulich kalt
treulos, o wie bald!
Mich ergreift Entsetzen
Menschen! Euch ergetzen
unstet von Natur
meine Flügel nur

Gehen wir mit dem höchsten aller Gefühle womöglich etwas beliebig um? Wir geben und entziehen, verwerfen und entflammen – und sind vielleicht wirklich laulich kalt und treulos, ganz wie der Dichter Johann Christoph Friedrich Haug es in der zitierten Passage aus dem Gedicht „Amors Klage“ einem ziemlich desillusionierten Bogenschützen in den Mund legte.
Kein Wunder, dass wir uns oft nicht entscheiden können, wem wir unser Herz schenken. Schließlich werden auch die Singles unter uns täglich mit Liebesversprechen von Unternehmen und Institutionen aller Art bombardiert. Oft steckt das Gefühl statt im Detail ganz simpel im Slogan. „Aus Liebe zum Automobil“, heißt es bei VW, „Liebe, die man schmeckt“, verspricht Pfanni. Das hat eine freundliche und nostalgische Note, lässt vielleicht an den begeisterten Schrauber in der Garage und eine knödelknetende Großmutter denken statt an sterile Massenanfertigung. Die englischen Versionen klingen bereits distanzierter, sind weiter weg von uns. Knapp vier Milliarden Treffer verzeichnet das – hierzulande oft mit Leichtfertigkeit verbundene – Wörtchen Love bei Google. Der Satz „We love to entertain you“, auf Pro- Sieben meist von Promis geflüstert, oder Nikons Aufruf „Share your Passion“ – in Sachen Kuschelfaktor hinkt man hier ein ­wenig hinterher.

In welcher Sprache auch immer man sie erklärt – Fakt ist: Die Liebe lauert an jeder Litfaßsäule. Aber was macht es mit uns, dass wir allerorten mit Gefühligkeit überhäuft werden? Und was hat diese überhaupt zu suchen im ökonomischen Bestreben? What’s love got to do with it?, könnte man Werbern – und auch Ihnen, liebe PRler – hin und wieder mit der Inbrunst einer Tina Turner entgegenschmettern, wenn uns die Qualitäten fettiger Burger und Pommes frites nähergebracht werden sollen.

Um eine Erklärung zu den Hintergründen der wundersamen Verquickung von Wirtschaft und Liebe bemüht ist die israelische Soziologin Eva Illouz. Diese sieht den Kapitalismus als Aufstieg des Homo Sentimentalis: Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung habe eine Kultur ausgebildet, in der auch ökonomische Beziehungen und verschiedenste Waren emotionalisiert werden. Für das Reich der Gefühle stellt Illouz gleichzeitig eine gegenläufige Tendenz fest; dieses sei von einer Ökonomisierung geprägt.

Mit der fortschreitenden Säkularisierung emanzipierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Liebe von der rein zweckmäßigen Ehe. In der Epoche der Romantik wird die Liebe laut Illouz sogar selbst zur Religion. Während der Markt und die Romantik sich bis dahin noch konträr gegenüberstanden, wird diese Zweiteilung im Kapitalismus aufgehoben. Im Zuge der Industrialisierung stehen durch den wirtschaftlichen Aufschwung schließlich mehr Freizeit und finanzielle Mittel zur Verfügung. Rendezvous finden im öffentlichen Raum statt und werden zunehmend durch den gemeinsamen Konsum gestützt. Die romantische Begegnung dringt hinein in die bunte Warenwelt, die auch heute unsere Standards prägt: „Wir gehen in Restaurants für ein romantisches Dinner, wir verabreden uns im Kino, wir gönnen uns exklusiven Champagner“, nannte die Soziologin einige Beispiele in einem Interview in der „taz“. Entzaubert werde die Liebe durch ihre Verknüpfung zum Konsum aber nicht, schließlich würden die Grenzen zwischen Freiheit und Konsum verschwimmen.

Doch auch wenn so manches Konsumgut das Ausleben der Liebe abrundet – um das Produkt und seinen Hersteller selbst zu lieben, erfordert es etwas mehr. Das führt uns zum nächsten Kapitel:

2. Die Investition

Süße Liebe
Mach’ mein Leben süß!
Stille nie die regen Triebe
Sonder Hindernis
Schmachten lassen
Sei der Schönen Pflicht!
Nur uns ewig schmachten lassen
Dieses sei sie nicht

Die Auswahl an Konsumgütern und Dienstleistungen hat sich seit der Epoche der Romantik noch um ein Vielfaches gesteigert – und mit der wachsenden Konkurrenz muss ein Angebot noch mehr mit Liebenswürdigkeit bestechen, behutsam eine Beziehung aufbauen und pflegen, um die Gunst und Loyalität der Kunden zu erlangen. Markenliebe – die amerikanischen Marketingexperten Barbara Carroll und Aaron Ahuvia definieren sie als die leidenschaftliche emotionale Verbundenheit, die ein zufriedener Konsument zu einer Marke empfindet. Das Leben versüßen – ohne die Triebe zu schnell zu stillen, darin sah Gotthold Ephraim Lessing im Gedicht „Die Liebe“ die Aufgabe dieses Gefühls.

Ein Rezept, um eine solche Liebe zu stiften, hat Kevin Roberts, Executive Chairman der Werbeagentur Saatchi & Saatchi, entworfen; das der Lovemarks. Um zu einer solchen zu werden, führt der Weg von einer einfachen Trademark über die vertrauenswürdige Trustmark bis hin zur dauerhaften Liebe. Die drei Dimensionen, über die emotionale Marken verfügen, sieht Roberts im Geheimnis (die Neugier der Kunden wecken, sie überraschen), der Sinnlichkeit (das Produkt oder Erlebnis sollte alle fünf Sinne ansprechen) und der Intimität (enge Bindung, auf den Wunsch des Kunden eingehen).

Was dem Konzept fehlt oder zumindest nur am Rande in einer von Roberts vielbeschworenen Forderung nach „Respekt“ enthalten ist, ist jedoch eine alles entscheidende vierte Dimension: die der Aufrichtigkeit. Wenn wir eine Beziehung mit einem Menschen eingehen, der anfangs geheimnisvoll und aufregend ist, all unsere Sinne in seinen Bann zieht und zu dem wir daraufhin Loyalität und Vertrautheit aufbauen, könnten diese Faktoren der Beginn einer Liebe sein. Um ihr Fortbestehen zu sichern, müssen wir aber spüren, dass die Versprechen ehrlich gemeint sind und dass – auch in schlechten Zeiten oder in Hinblick auf Fehler und Schwächen – nichts geschönt oder vertuscht wird.

Dem Unternehmen wird also einiges abverlangt, denn Liebe hat ihren Preis. Aber was bekommt es nach all diesen Investitionen eigentlich von seinen Stakeholdern zurück?

3. Der Mehrwert

Echte Liebe müht sich nicht
Mängel zu entdecken
Späht im goldnen Sonnenlicht
Nicht nach Nebelflecken

„Konzentrieren wir uns darauf, die Marke zum aktiven Freund werden zu lassen, der mich mit immer neuen Anregungen und Ideen in meinem Leben begleitet und von mir geliebt werden möchte. Denn nur die Liebe zahlt sich aus“, resümierte der strategische Berater für Marken, Michael Coenen, in einem Beitrag im „Marketing Journal“. Inwiefern ein lebloses Objekt ein „aktiver Freund“ sein kann, ist sicher diskutabel. An der Tatsache, dass der Mensch einer emotional positiv bewerteten Marke oder einem sympathischen Unternehmen immer den Vorzug geben wird, gibt es aber wenig zu rütteln.
Die Entscheidung für ein Produkt oder eine Marke lässt sich in den meisten Fällen weder vollständig dem Kopf noch dem Bauch zuteilen. Nehmen wir an, jemand ist kein großer Weinkenner. Er steht also vor dem Regal und soll unter Unmengen von Flaschen die eine für den Abend auswählen. Zwar gleicht er das Angebot vielleicht zunächst mit sachbezogenen Vorstellungen ab (gesucht wird ein mittelpreisiger trockener, deutscher Weißwein), folgt dann jedoch seinem Gefühl – sofern er sich nicht an Empfehlungen oder eigenen Erfahrungen orientieren kann. Welches Etikett ist ansprechend, welche Farbe, welcher Name? Das alles passiert, meistens jedenfalls, innerhalb von Sekunden. Bei der Auswahl des passenden Smartphones oder Autos wird unser Weg zur Entscheidung entsprechend den höheren Kosten wohl etwas länger dauern, wir vergleichen mehr, sammeln Tipps und wägen ab. Doch am Ende entscheidet auch hier die emotionale Komponente, welchem Produkt wir uns zuneigen.

„Der Kunde ist kein ökonomisch denkender Rationalist, kein Homo oeconomicus, der eine rein zweckrationale Kaufentscheidung trifft“, stellt auch Hermann H. Wala in „Meine Marke“ fest. „Kunden kaufen, was ihnen, aus welchen  Gründen auch immer, ein ‚gutes Gefühl‘ gibt.“ Jede erfolgreiche Markenwelt sei daher auch eine Gefühlswelt. Wer einen Porsche kauft, zitiert Wala Anton Hunger, den ehemaligen PR-Chef des Autobauers, erwerbe das einzigartige Identitätsbild eines Fahrzeugs, das weltweit als Sportwagen-Metapher gilt.

Und was ist mit dem Sprichwort „Liebe macht blind“? Ein Cola-Fan wird Vorträge über Zucker- und Phosphatgehalt, leere Kalorien und leidende Knochen nicht hören wollen, sie belächeln oder abwiegeln. Und selbst wenn ihm hässliche Realitäten aufgezwungen werden, wird er sich im Sinne Josef Mauthners wie in den oben zitierten Zeilen aus „Echte Liebe“ niemals von alleine mühen, Mängel zu entdecken. Schließlich macht es Spaß, zu lieben, es steigert den Genuss. Das ist der Grund, warum wir als Konsumenten lieben möchten: Mit Liebe lebt es sich intensiver. Zudem können wir mit der Verteilung unserer Präferenzen unsere Persönlichkeit weiter ausgestalten.

Die Unempfänglichkeit für Negatives ist vielleicht nicht der charmanteste Grund, eine Marke liebenswert machen zu wollen – aber ganz gewiss ist diese verdunkelnde Seite der Liebe ziemlich rentabel für Unternehmen. Hinzu kommt: Wer liebt, steckt andere an. 71 Prozent der Facebook-Nutzer mit einer hohen Bereitschaft, Markenbilder zu verbreiten, haben eine starke bis sehr starke Affinität zu den Marken, ergab jüngst eine Studie des GfK-Vereins und der Universität Michi­gan-Dearborn, für die 503 Facebook-User aus den USA und Deutschland befragt wurden.

Und was bedeutet das nun alles für Sie und Ihren Beruf als Kommunikator? Dazu mehr im letzten Kapitel unserer Lovestory.

4. Die Bilanz

Durch meine Seele ziehts mit Zauberweben
o! wie’s im Herzen glückverheißend brennt!
Die Pulse fliegen mir, die Lippen beben
ich fühls, das ist es, was sich ‚Liebe‘ nennt!
Und möge alles rings in nichts versinken
ich lebe und der Liebe Sterne winken!

Fragt man Liebespärchen danach, was sie am Partner am meisten lieben, antworten erschreckend viele inbrüns­tig: „Weil er mich liebt.“ Das enthüllt zunächst eine eher verstörende Eitelkeitsspirale. Aber dennoch: Liebe, die das Stadium des bloßen Verliebtseins überschreitet, erfordert eine Gegenseitigkeit, um über einen längeren Zeitraum stabil zu bleiben. Und diese kann eine Marke, ein Produkt aus sich heraus nicht bieten. Auch wenn ich ihn hege und pflege und seine Felgen mit der Zahnbürste reinige, wird mein Golf mich nicht zurücklieben.

Da eine Marke als solche nicht fühlen und verstehen, nicht auf mich eingehen kann, ist an diesem Punkt das Unternehmen in der Pflicht, genauer: dessen Mitarbeiter als fühlende und denkende Einzelpersonen. Ob ein Produkt hingebungsvoll geplant, detailverliebt umgesetzt und leidenschaftlich kommuniziert wurde, wird ein kluger – und eben nicht liebesblinder – Konsument schnell merken. Der Kommunikationsabteilung kommt die besondere Aufgabe zu, genau diesen Moment des Gefühls, das Liebevolle, das alle Beteiligten von der Geschäftsidee bis zu deren Umsetzung investieren, offenzulegen. Klingt nach Amors Job inklusive eines Köchers voller treffgenauer Worte und Kampagnen?

„Um ein guter Kommunikator zu sein, muss man das Verhalten und die Emotionen der anderen interpretieren können“, schreibt Eva Illouz in ihrer Abhandlung „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“. Darin stellt sie auch die These auf, Kommunikation definiere mittlerweile das Selbstverständnis der Unternehmen. Empathie und das Vermögen, zuzuhören, gehören daher zu den wichtigsten Fähigkeiten von Kommunikatoren. Nur wer seinen Job liebt, wird motiviert sein, mit Stakeholdern und Kollegen mitzufühlen, mitzudenken und letztlich liebevoll auf ihre Anliegen einzugehen. Gerade in der Kommunikation ist Halbherzigkeit leicht aufzuspüren und ein absoluter Liebestöter.

„This is why I love being Swiss“, erklärt Tina Turner seit dem Sommer vergangenen Jahres im Viralfilm der Swisscom-App IO in einem Zusammenschnitt der Liebesgeschichte mit ihrer Wahlheimat, inklusive Käsefondue und Jodeleinlage. Ihre einstige Liedzeile „Who needs a heart when a heart can be broken?” erübrigt sich, denn die Schweiz wird Tinas Herz nicht brechen. Das vermag nämlich kein Land, kein Job, kein Unternehmen und keine Marke. Ein wahrhaftiges Wagnis ist die Liebe nur zwischen Lebewesen. Von daher ist es doch eigentlich gar nicht allzu riskant, in Bezug auf Dinge und Tätigkeiten ein wenig mehr Liebe zu wagen. Zauberweben, glückverheißendes Brennen – Rainer Maria Rilke würde wie im Gedicht „Ich liebe!“ vermutlich auch heute jedem dazu raten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.

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