Wenn Medien Politik machen

Journalismus

Die Bundestagswahl ist nun schon eine Weile vorbei – endlich, mag man sagen, die zahlreichen Duelle, Quadrelle, Wahlkampf-Arenen, das Hochschaukeln, Zuspitzen und Provozieren war ja kaum noch zu ertragen. Im Vorfeld der Wahl war ich gebeten worden, einen Gastkommentar für die Vereinigung Europäischer Journalisten zu schreiben, in dem ich einmal mehr die Rolle der Medien in der politischen Diskussion kritisiert habe: dann nämlich, wenn die Medien nicht nur über Politik berichten oder sie einordnen, sondern durch ihre Form der Berichterstattung selbst – direkt oder indirekt – Politik machen.

Das geschieht immer dann, wenn Journalisten und Redaktionen einerseits durch ihre Themenwahl und Themendarstellung und andererseits durch die mangelnde Differenzierung von (Tatsachen-) Bericht und Meinung nicht zur Meinungsbildung beitragen, sondern vielmehr Nachrichten und Bilder verzerren.

Während ich diese Kolumne schreibe, berichtet zum Beispiel das ZDF in seinem Nachrichten-Ticker von „heute“, dass Herzogin Meghan „eine weitere Staffel ihrer neuen Lifestyleserie“ plane. Dort „gibt Meghan Tipps fürs Kochen, Backen, Gärtnern und Gastgeben.“ Warum bekommt eine solche Nicht-Meldung Nachrichten-Platz in einem deutschen Massenmedium? Was ist mit den vielen anderen Menschen, die ihrem Hobby beim Kochen, Backen und Gärtnern frönen?

Medien als Bühne für radikale Kräfte

Über eine solch überflüssige C-Promi-Meldung mag man sich noch amüsieren. Leider zeigen Themenauswahl und Themenbewertung auch ganz andere Blüten. Die „Zeit“ liefert dazu ein aktuelles Interview mit einem Forscher, der bei den – alle gleichsam schrecklichen – Angriffen und Attentaten der vergangenen Monate (Mannheim, München, Aschaffenburg, Magdeburg, Solingen) deutliche Unterschiede in der Berichterstattung feststellt. „Als feststand, dass der Tatverdächtige in Mannheim Deutscher ist, verloren Medien das Interesse“, heißt es da. Im Hinterkopf bleiben dann nur noch die Taten hängen, die Menschen mit Migrationshintergrund begangen haben.


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Verallgemeinernd gesagt, stellen Medien dadurch auch Extreme dar, wo vielleicht gar keine Extreme sind. Da wird – zum Beispiel in der Lokalpresse, die ich lese – mitunter schlecht geredet, was vielleicht gar nicht schlecht ist. Oder es wird verschwiegen, was angeblich nicht interessiert oder – das andere Extrem – als Elefant aufgemacht, was nur eine Mücke ist. Das bietet dann mitunter radikalen Kräften eine Bühne, die sie ohne die Massenmedien gar nicht hätten. Da kann dann auch etwas ganz groß aufgemacht werden, was kaum der Rede wert ist.

Der nordrhein-westfälische Europa- und Medienminister Nathanael Liminski hat das in einem Gespräch mit Journalisten neulich so formuliert: „Populisten machen Medien zu politischen Akteuren. Und es ist dumm, wenn Medien sich darauf einlassen.“ Als Beispiel nannte er das Gespräch von Alice Weidel und Elon Musk auf der Plattform X im frühen Wahlkampf, das in seinen Spitzenzeiten gerade einmal 200.000 Zuschauer anlockte, aber von den Medien tagelang als vorherrschendes und alles verdrängendes Thema aufgemacht wurde. Zum Vergleich: Das „Wort zum Sonntag“ erreicht mehr als das Fünffache der Reichweite. Diese Berichterstattung, so Liminski, sei „völlig überdimensioniert“ gewesen.

Mir fällt dazu der Satz des früheren australischen Politikers Bob Hawke ein: „Die Dinge, die am wichtigsten sind, sind nicht immer die, die am lautesten auf sich aufmerksam machen.“

Natürlich können Medien in einer Welt voller Geschehnisse und zahlreicher Kanäle nicht alles und jeden abbilden. Aber ich wünsche mir Redaktionen, die zumindest mal wieder versuchen, genauer und thematisch breiter hinzusehen, statt immer auf das „Lauteste“ zu reagieren, das die höchsten Einschaltquoten verspricht, aber die Wirklichkeit nicht abbildet.

Den Klickzahlen widerstehen

Leider wird solche Medienkritik von den Verantwortlichen in den Redaktionen selten aufgegriffen. Dabei bin ich ja nicht der Einzige, der hier deutliche Fehlentwicklungen sieht. Auf die Frage „Wie machen wir den Journalismus besser?“ zitierte das Magazin „Journalist“ des Deutschen Journalisten-Verbands Anfang des Jahres die Journalistin Brigitte Baetz mit der Aussage: „Indem wir genauer formulieren, auch wenn plakative Verkürzungen mehr Klicks generieren“.

Das würde ich sofort unterschreiben. Doch vielerorts – Online wie Print – hat sich der (vor allem Lokal-) Journalismus auf das Clickbaiting eingelassen oder auf Native Advertising, bei dem für den ungeschulten „Otto-Normal-User“ kaum noch erkennbar ist, was Bericht und was Irreführung ist. Das alles sind gefährliche Entwicklungen, die dringend einer Korrektur bedürfen.

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