Wenn eine Marke ihr Herz verliert

Air-Berlin-Insolvenz

Am Ende verabschiedete sich Air Berlin mit großem Herz: Der Pilot von Flug AB6210 drehte am 28. Oktober eine Ehrenrunde über Berlin und zeichnete ein Herz, das Markenzeichen der Airline, in den Nachthimmel über der Hauptstadt. Anschließend wurde der Flugverkehr der Airline eingestellt. 

Noch vor dem offiziellen Start des Prozesses war zu jenem Zeitpunkt klar: Air Berlin ist am Boden. Mitte August hatte das Unternehmen Insolvenz angemeldet, seit dem 1. November ist das Verfahren eröffnet. In den Wochen dazwischen überschlugen sich die Schlagzeilen um Investoren, Mitarbeiter und das Ende der Marke, angefangen beim Markenzeichen schlechthin: dem Schokoherz von Air Berlin.

Wenige Tage nach der Anmeldung der Insolvenz starteten die Verkaufsangebote auf Ebay. 100 Euro für 20 Gramm Schokolade: „Es könnten die letzten Herzen sein“, schreibt ein Anbieter, von einem „Kultgegenstand“ ein anderer. Air Berlin kämpfte derweil um den Fortbestand des Flugbetriebs, sprach von „Sanierung“ und „Restrukturierungskurs“, von einer Markenidentität, die es nicht hat – außer dem süßen Kennzeichen eben, das alle Fluggäste kennen.

Chief Executive Officer Thomas Winkelmann bekannte, Air Berlin habe den Fehler gemacht, die „eierlegende Wollmilchsau der Lüfte“ zu sein, ein Business- und Ferienflieger. Winkelmann hatte angekündigt, die Marke zu sanieren, die seit Jahren Verluste meldet, den neusten Rekord Ende April. Großaktionär Etihad war kritisch, aber an Bord – bis der Investor kurz vor der Bundestagswahl kein Geld mehr gab.

Vom Krisenflughafen zur Krisenairline

Ralf Kunkel ist erst im März als Leiter Kommunikation zu Air Berlin gewechselt. Er kam vom Berliner Krisenflughafen BER. „Ich bin zwar ein notorischer Optimist, aber dass Air Berlin keine leichte Mission werden würde, war mir von Anfang an klar“, sagt er. Die Insolvenz kam unerwartet. Doch Kunkel und sein Team seien „krisenerprobt“: „Also nehmen wir die neue Situation an und arbeiten entsprechend.“

Mit einer Insolvenz beginnt eine neue Zeitrechnung – auch in der Kommunikation. Die Aufgabe per Gesetz ist es, die Gläubigerinteressen zu befriedigen. Alles, was ein Unternehmen sagt, wird auf die Goldwaage gelegt. Eine nette Nachricht kann wie eine Zahlungszusage klingen, eine interne Mail arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Das weiß auch Thomas Schulz, Kommunikationsberater aus Köln. Er hat schon über 50 Insolvenzen begleitet, unter anderem die von Karstadt 2009/2010. „Sprachregelungen sind in der Insolvenz entscheidend“, sagt er. „Die dürfen auch nicht nach Belieben angepasst werden, sonst wird es juristisch schnell heikel.“

Emotional für alle Betroffenen – besonders die Mitarbeiter

Wie teuer ein einziges Interview sein kann, weiß Rolf Breuer: 2002 hatte der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank gegenüber dem Fernsehsender Bloomberg TV die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe angezweifelt. Kurze Zeit später rutschte sie in die Insolvenz. Leo Kirch machte Breuer verantwortlich. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, der die Deutsche Bank 900 Millionen Euro kostete.

So juristisch und sachlich die Auseinandersetzung mit einer Insolvenz ist, so emotional ist sie für alle, die davon betroffen sind – vor allem die Mitarbeiter. Von „Tränen und Wut“ schrieb die Bild-Zeitung 2009 zur Karstadt-Insolvenz. Diese habe ein „emotionales Erdbeben“ in der Belegschaft ausgelöst.

Dass die Karstadt-Mitarbeiter trotzdem bereit waren, durch Lohnverzicht 150 Millionen zur Sanierung des Unternehmens beizutragen, schreibt der damalige Sprecher der Insolvenzverwaltung Schulz auch der internen Kommunikation zu: „Wir hatten das Vertrauen, weil wir nur das kommuniziert haben, was Hand und Fuß hatte. Und wir hatten die Glaubwürdigkeit, weil Insolvenzverwalter persönlich haften.“

Kommunikative Querschläger aus dem Umfeld braucht niemand

Auch ein Sachwalter haftet bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung. Nur steht er nicht immer im Vordergrund. Dass bei Air Berlin die alte Führung mitbestimmt, ließ Kritiker schnell am Erfolg der Sanierung zweifeln. Die Sicherung der Arbeitsplätze war das wichtigste Argument. Doch Mitarbeiter misstrauten den Bedingungen. 200 Piloten meldeten sich kurz vor dem Ende der Bieterfrist krank, 100 Flüge wurden gestrichen. Die Airline machte zusätzlich fünf Millionen Euro Verlust.

In einem schlechteren Licht könne man nicht dastehen, hieß es in einem internen Schreiben, die Lage sei existenzbedrohend. Der Ausfall war berechtigt, entgegnete ein Pilot in einem offenen Brief, die Situation sei belastend, man halte die Mitarbeiter im Unklaren und schüre Existenzängste.

Air-Berlin-Sprecher Ralf Kunkel betont: „Wir kommunizieren transparent und für jeden nachvollziehbar.“ Schiefgelaufen sei intern nichts. Aber: „Kommunikation kann keine Konflikte zudecken.“ Die Piloten bei Air Berlin gelten branchenintern als sehr gut bezahlt, einen Streit um Tarife gibt es seit Jahren.

Der Ausfall von Mitarbeitern, der öffentliche Brief und der Appell von Ministern, die Piloten mögen zum Dienst zurückkehren − all das sorgte für Negativpresse, die in solch einer Lage niemand braucht. Thomas Schulz sagt: „Kommunikatoren müssen in der Insolvenz gewappnet sein für Krisen in der Krise.“

Ob ein plötzliches Unglück oder ein kommunikativer Querschläger aus dem Umfeld − man hat nicht alles im Griff. Bei der Karstadt-Insolvenz war es unter anderem ein Interview mit der Großaktionärin Madeleine Schickedanz, in dem sie sich vor der drohenden Armut fürchtete. Oder die Schlagzeilen um Ex-Vorstandschef Thomas Middelhoff. Oder Metro-Chef Eckhard Cordes, der im Gespräch mit Bild den Abgesang auf Konkurrent Karstadt startete: Die Mitarbeiter hätten genug unter falschen Versprechungen gelitten. „Wir glauben nicht, dass es für Karstadt als Ganzes eine wirtschaftliche Perspektive gibt.“

Großes Interesse am Drama

„Es ist ein bisschen wie im Kindergarten“, sagt Schulz. „Es werden Gerüchte verbreitet und verfälscht wie bei Stille Post, Schuldige gesucht wie beim Schwarzen Peter und Steine in den Weg gelegt wie bei Malefiz.“ Im Idealfall verlaufe die Berichterstattung sachlich. „Aber das klappt leider nicht immer, dafür ist das Interesse am Drama zu groß.“

Von einem „Wirtschaftskrimi“ und „Bieter-Poker“ sprachen Medien im Fall von Air Berlin. Zwar hielt sich die Lufthansa zurück, die letztlich Mitte Oktober einen Kaufvertrag für große Teile des Unternehmens unterzeichnete. Doch andere Bieter machten ihre Angebote publik, versendeten Pressemitteilungen und gaben Interviews. Auch Schulz vertritt so einen Bieter.

Ralf Kunkel sagt: „Die Begleitmusik war zu erwarten.“ Als Kommunikator dürfe man sich nicht beirren lassen. Es komme gerade in der Insolvenz darauf an, Komplexität zu reduzieren und klare Botschaften zu formulieren.

Air Berlin setzt auf volle Transparenz. Zumindest sagt das Unternehmen es von sich. Schulz meint, Transparenz sei „ein schillernder Begriff“: „Ich zucke zusammen, wenn ich höre, dass jemand absolut transparent kommunizieren will.“ Die Enttäuschung sei programmiert, wenn sich eine vermeintliche Lösung nicht halten lässt. 

Kunkel sagt, die Konsequenzen intern wie extern klar zu benennen, sei die einzige Chance, für Verständnis zu werben. Dass die Marke während des Prozesses leide, sei klar: „Insolvenz ist die schlechteste Werbung für ein Unternehmen, die Sie sich denken können.“

Die Frage ist, ob die Marke die Insolvenz übersteht. Dazu kann sich keiner klar äußern, schon juristisch nicht. Fest steht: Air Berlin hat den Flugbetrieb eingestellt. An eine Wiederaufnahme glaubt keiner. Das Markenzeichen ist längst im finalen Ausverkauf – als Schokoherz auf Ebay.

Insolvenz: Wer das Sagen hat …

Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, kann es das auf zwei Wegen tun: Es meldet ein reguläres Insolvenzverfahren an, oder es organisiert die Insolvenz in Eigenverwaltung. Bei der Regelinsolvenz, wie damals bei Karstadt, wird vom Gericht eine unabhängige Insolvenzverwaltung bestimmt. Sobald das Verfahren offiziell eröffnet ist, geht die Leitung der Geschäfte an sie über – und damit auch die Verantwortung, wer kommuniziert. Viele beauftragen externe Dienstleister, einige greifen auf die Sprecher im Unternehmen zurück, manche Kanzleien bieten Kommunikation mit an.

Das Vielfliegerprogramm von Air Berlin „Topbonus“ ist in der Regelinsolvenz, da es zu 70 Prozent Etihad gehört. Air Berlin selbst hat eine Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt. Bedeutet: Die Geschäftsführung wird nicht entmachtet, sondern ergänzt. Im Vorstand sitzt als Generalbevollmächtigter Frank Kebekus. Ihm zur Seite stellt das Gericht einen Sachwalter, Lucas Flöther. Er passt auf, dass die Absprachen im Sinne der Gläubiger sind.

Die Verantwortung für die Kommunikation bleibt in der Eigenverwaltung beim Unternehmen. Der Pressestelle steht es frei, Unterstützung zu holen. Air Berlin hat das für die Insolvenzanmeldung Mitte August mit Udo von Kampen von CNC gemacht.

… und welche Grundregel für die Kommunikation gilt

In der Insolvenz geht es um die Interessen der Gläubiger. Entsprechend juristisch und sachlich ist die Kommunikation. Um Mitarbeiter eines insolventen Konzerns bei der Stange zu halten, dürfen sie Informationen nicht erst über die Presse erfahren. Entsprechend lautet die Grundregel: Die interne Kommunikation hat Vorfahrt. Ob Intranet oder Schwarzes Brett − entscheidend ist es, auch die zu erreichen, die keinen Computer für ihre Arbeit nutzen. Regelmäßige Gesprächsrunden helfen. Am besten etablieren Sie die nötige Infrastruktur schon jetzt: „Man kann in einem Insolvenzverfahren schon alleine wegen der Finanzen nicht die interne Kommunikation revolutionieren“, sagt Kommunikationsberater Thomas Schulz.

Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist Ende Oktober im gedruckten pressesprecher erschienen und wurde einleitend leicht aktualisiert. Seit dem 1. November 2017 ist Air Berlins Insolvenzverfahren offiziell eröffnet. Die Gläubigerversammlung findet Ende Januar 2018 in Berlin statt.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe VORBILDER. Das Heft können Sie hier bestellen.

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