Da sitzen sie in ihrem Kinderzimmer, die beiden Steppkes, und schrauben und stapeln gemeinsam. Sie bauen und schieben Matchboxautos über den Teppich und sprechen nicht viel. Nur dann und wann ein Wort oder eine knappe Frage zum ausgestreckten Guck-mal-dort-Zeigefinger. Die zwei Jungen eint ein beinahe stummes Verständnis. Für ihre Kommunikation genügt die Reduktion auf das Wesentliche.
Spielen kann so einfach sein. Um zu gelingen, bedarf es für gewöhnlich keiner großen Worte (Rollenspiele einmal ausgenommen). Kinder machen es uns vor. Doch als Erwachsene vergessen wir den Wert des Spielens oft genug.
Oliver Wendell Holmes Sr. († 1894) hat dazu einen klugen Satz hinterlassen. „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden“, war der amerikanische Dichter und Arzt überzeugt, „sondern sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.“ Wohl dem also, der den Spieltrieb in sich erhält.
Glaubt man Statistiken, muss einem in dieser Hinsicht um die Deutschen nicht bange sein. Ob digital oder analog: 80 Prozent der Bundesbürger spielen regelmäßig. Und fast jeder Zweite spielt zumindest gelegentlich ein Brettspiel. Vor „Mensch ärgere Dich nicht“ ist „Monopoly“ am beliebtesten, hat das Marktforschungsunternehmen Ipsos herausgefunden.
Ein sehr natürliches Verhalten
Auch die Bilanzen der Brettspielhersteller und -vertreiber beeindrucken. Um 25 Prozent ist der Absatz von Brettspielen hierzulande in den vergangenen drei Jahren gewachsen, vermeldet der Branchenverband Spieleverlage. Die Zeit berichtete kürzlich, rund tausend neue Spiele kämen jedes Jahr hinzu. Das Wochenblatt rief drum die „Renaissance der Brettspiele“ aus.
Zu spielen ist ein zutiefst natürliches Verhalten. Für Heranwachsende gilt das umso mehr. Nach der Geburt umfasst ihre Spielevita verschiedene Stufen, von Funktionsspielen (zum Beispiel greifen als Baby) und Konstruktionsspielen (beispielsweise Bauklötze stapeln als Kleinkind) bis hin zu Rollenspielen. Unter Erwachsenen ist Spielen hingegen bisweilen als zweckfrei, sinnlos und obendrein als ineffizient verpönt.
Entwicklungspsychologen wie Rolf Oerter treten solch einer negativen Sichtweise entschieden entgegen. Gekennzeichnet sei ein Spiel demnach dadurch, dass es um seiner selbst willen und freiwillig betrieben wird. Auch wenn es wie ein Verhalten ohne Zweck erscheinen mag, so sei es nicht ohne Sinn.
Der (erwachsene) Mensch spielt unter anderem zur Zerstreuung, zur Entspannung, der Geselligkeit wegen oder um sich mit anderen zu messen. Wer seine Kräfte und seine Fähigkeiten spielerisch mit anderen erprobe, gewinne dadurch Flexibilität, um sich später in unterschiedlichen Situationen zurechtzufinden, zitiert der NDR den emeritierten Münchner Professor Oerter.
Daddeln im Büro ist weit verbreitet
Den Spieltrieb vermag selbst ein dröger Büroalltag nicht zu sedieren. Studien zeigen, dass mehr als 50 Prozent der Angestellten schon mindestens ein Mal während der Arbeit gedaddelt haben. Mehr als jeder Zehnte tut es sogar täglich im Job. Warum? Vor allem zur Entspannung und zur Aufbesserung der Stimmung, schlussfolgern die Studienleiter.
Kein Wunder, dass inzwischen immer mehr Unternehmen spielerische Elemente zur Motivation ihrer Mitarbeiter einsetzen. Das Zauberwort lautet „Gamification“. Nicht nur, dass mit ihrer Hilfe kreative Lösungen für Probleme gefunden werden können. Gamification – also das Einbeziehen spielerischer Elemente in den Arbeitsalltag – kann außerdem helfen, öde Abläufe, etwa in der Fertigung von Produkten am Fließband, attraktiver zu machen. Die Produktivität der Mitarbeiter wird gesteigert, Monotonie überdeckt.
„Motivation oder Manipulation?“, fragt da nicht zu Unrecht die Süddeutsche Zeitung. Und die taz warnt vor „unreflektiertem Enthusiasmus“: „Die subtilen psychologischen Strategien fördern vor allem den Wettbewerb unter Mitarbeitern.“
Während die Aufgabe, Mitarbeitern Gamification schmackhaft zu machen, der internen Kommunikation zukommt, haben Personaler längst den Segen des Spielerischen für Recruiting und Fortbildung erkannt. Studien bestärken den Ansatz. Forscher der Universität Stanford etwa fanden vor einigen Jahren heraus, dass Probanden besser lernten, wenn sie den Stoff in Form eines Videospiels erlebten und ihn anschließend kognitiv vertieften. Es sind solche Effekte, die aus vermeintlich nutzlosem Spiel ein Instrument werden lassen.
Gaming hat sich fest etabliert
Auf andere Art beeindruckend – oder, je nach Perspektive, bestürzend – sind Zahlen, die Studien über das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen verraten. 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter nutzen das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich, und zwar vor allem zum Spielen. Intensive Nutzung digitaler Medien von mehr als einer Stunde pro Tag führt in der Altersgruppe der bis 13-Jährigen jedoch vermehrt zu Konzentrationsschwierigkeiten und zu Hyperaktivität. Das ist im Kern das Ergebnis der sogenannten Blikk-Studie aus Berlin.
Der Digitalverband Bitkom hat vor knapp einem Jahr ermittelt, wie lange Zehn- bis 18-Jährige heute täglich im Durchschnitt am Computer, Smartphone, Tablet oder an der Spielekonsole spielen: 117 Minuten nämlich. Bitkom-Vizepräsident Achim Berg schlussfolgert: „Gaming ist fest etabliert und zählt – wenn man sich alleine die Mediennutzung anschaut – nach Fernsehen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen.“
Rettet die Wortspiele!
Welche Auswirkungen die frühe Nutzung von Whatsapp, Facebook Messenger und Co. dabei ganz allgemein auf das Kommunikationsverhalten von Kindern künftig haben wird, ist eine der spannenden Fragen der Zukunft. Die FAZ überschrieb einen Artikel zum Thema bereits vor drei Jahren mit der düsteren Zeile: „Die Generation, die nicht mehr spricht.“
Es wäre überaus schade, wenn sie es nicht mehr täte, sondern sich auf Messenger-Nachrichten mit maximaler Effizienz beschränkte. „Thx gglg CU & bm“ („Danke, ganz, ganz liebe Grüße, see you und bis morgen“)? Das ist eher „gs“ – geht so. Viel lohnenswerter ist es, zu beherzigen, was der deutsche Aphoristiker Michael Richter rät: „Man muss mit der Sprache spielen. Sie ist noch ein Kind.“
Darum: Baut mehr Wortspielplätze! Lieber Anna log am Spielbrett als einsilbig im Digi-Tal.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPIELEN. Das Heft können Sie hier bestellen.