Vom Kriegsreporter zum Kommunikator

Interview mit Hugh Pope

Herr Pope, Ihre journalistische Karriere begann beim Wall Street Journal. Weshalb arbeiten Sie heute als Director of Communications für eine Nichtregierungsorganisation?

Hugh Pope: 2002 war ich der einzige Korrespondent des Wall Street Journal, der aus dem Irak berichtete. Damals versuchte ich, den Amerikanern zu erklären, dass ein Krieg gegen den Irak eine extrem schlechte Idee wäre – und das auf den Seiten einer Zeitung, die offen für den Krieg warb. Obwohl mir die Herausgeber stets die Möglichkeit gaben, meine Beobachtungen darzustellen und zu erläutern, hatte ich nicht den Eindruck, dass ich auch nur einen einzigen meiner Zeitungskollegen von den Fakten überzeugen konnte.   
Als es zum Krieg kam, war schnell klar, was als Nächstes passieren würde: nämlich genau das, was ich in meinen Artikeln prognostiziert hatte. Als mir bewusst wurde, dass all meine Bemühungen ins Leere gelaufen waren, konnte ich diesen Job einfach nicht mehr machen.
Außerdem habe ich einen britischen Pass, und da England tief in den Krieg verstrickt war, hatte ich als Nahost-Korrespondent meiner Ansicht nach nicht mehr das Recht, irgendwo aufzutauchen und Fragen zu stellen. Nach dem ­Irakkrieg hatte ich den Glauben an all das verloren. Zudem wurde mein Kollege und Freund Daniel Pearl in Pakistan getötet, während er das tat, was ich in anderen Ländern tat. Danach wollte ich nicht mehr arbeiten. Also entschied ich mich für die klassische Alternative: Ich baute mir ein Haus in den Bergen und schrieb mein drittes Buch Dining with al-Qaeda.

Wie wurden Sie auf die ICG ­aufmerksam?
Ich hatte eine Stellenanzeige entdeckt und bewarb mich, obwohl ich nicht wirklich wusste, was die ICG eigentlich macht. In den folgenden acht Jahren arbeitete ich dann für sie als Analyst in der Türkei. Ich sollte dazu beitragen, die Türken und Kurden zur Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen, eine Lösung für die geteilte Insel Zypern zu finden und die Türkei und Europa näher zusammenzubringen. Das Verfassen der Berichte bereitete mir große Freude, da ich Situationen genau so beschreiben konnte, wie es meiner Ansicht nach erforderlich war.

Obwohl die ICG bereits 1995 gegründet wurde, hat man den Eindruck, dass sie bis vor kurzem kaum in ihre Öffentlichkeitsarbeit investiert hat.
Die ICG wurde mit dem Ziel gegründet, führende Entscheidungsträger direkt aus den Konfliktländern mit Informationen zu versorgen. Damit sollte das Problem behoben werden, dass es oft nahezu unmöglich war, aktuelle Informationen aus den betroffenen Regionen zu bekommen. Unsere Auftraggeber waren Politiker, die Konflikte verhindern, managen oder lösen wollten. Dazu sollten wir sie als Analysten aus dem Feld mit Informationen versorgen, die sie dann an westliche Regierungsmitglieder – also oftmals Personen, die sie persönlich kannten – weitergeben konnten.
Wie Sie sich vorstellen können, spielte bei diesem Modell Öffentlichkeitsarbeit keine große Rolle. Einige unserer ersten Berichte waren so lang wie Bücher und basierten auf der Annahme, dass unsere Auftraggeber schon das Richtige tun und die Konflikte lösen würden, nachdem sie unsere Informationen und Analysen gelesen hatten. Bis 2008 bestand unsere Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie darin, Berichte per Post an politische Entscheidungsträger zu schicken. Das ist kein Witz. Unsere Führungsebene war außerdem bis vor ein paar Jahren skeptisch ob des Werts sozialer Medien.

Was hat sich verändert?
Die Organisation hat endlich verstanden, dass man nicht gehört wird, wenn man die Öffentlichkeit nicht intensiv mit einbezieht. Selbst wenn man es schafft, einen Entscheidungsträger zu überzeugen, dann wird er trotzdem nichts tun, wenn er die Öffentlichkeit gegen sich hat. Mittlerweile haben wir einen detaillierten Fragenkatalog, den wir mit den Verantwortlichen für die jeweilige Region durchgehen, bevor wir einen Bericht veröffentlichen. Dazu gehören Fragen wie: Was sind unsere zentralen Botschaften? Welches Ziel verfolgen wir? Wen möchten wir vor allem erreichen? Wer schreibt am Veröffentlichungstag ein paar gute Tweets? Welche Aspekte des Berichts sollen in den sozialen Medien erscheinen? Wer schreibt einen Kommentar und wo soll er erscheinen? Wo ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass er gesehen wird?
Außerdem haben wir im vergangenen Juli mit dem Launch unserer neuen Webseite einen großen Schritt nach vorne gemacht. Davor war es eine ziemliche Zumutung, unsere Berichte online zu lesen. Heute verweilen die Leser auf unseren langen und recht anspruchsvollen Artikel durchschnittlich vier Minuten. Auf der alten Webseite blieben sie nur halb so lang.     

Ergeben sich aus den ­Eigenschaften verschiedener ­Konfliktregionen unterschiedliche Anforderungen an die ­Öffentlichkeitsarbeit?
Ja. Es gibt immer noch Länder, in denen gedruckte Berichte bevorzugt werden und kaum online gelesen wird. In anderen Ländern wird dagegen nur auf dem Smartphone gelesen, wie in Venezuela: Obwohl wir dort einen hervorragenden Analysten haben, waren wir kaum bekannt, bis wir über Facebook viele Menschen auf uns aufmerksam machen konnten. Ich mag es nicht, mir auf diese Art und Weise sozusagen Zuneigung zu kaufen, aber wenn man einem Publikum unbekannt ist, sollte man diese Möglichkeit meiner Meinung nach nutzen, um die Leute zumindest auf einen aufmerksam zu machen. Das kann für eine internationale Organisation, die vor Ort niemand kennt, schwierig sein. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich nicht nur die Kommunikationskanäle, sondern auch die Empfehlungen an die Politik von Fall zu Fall sind. In manchen Fällen befürworten wir sogar den maßvollen Einsatz von Gewalt – und das als Organisation, die Konflikte verhindern will! Das kommt allerdings nur sehr selten vor. Insgesamt ist unser Ansatz sehr pragmatisch. In erster Linie geht es um die Frage: „Was kann auf politischer Ebene getan werden, um den Konflikt zu beenden und möglichst viele Leben zu retten?“

Gibt es irgendwelche Aspekte ­Ihrer früheren Tätigkeit als ­Journalist, die Sie vermissen?
Der Zugang zu Informationen, den ich als Korrespondent des Wall Street Journal hatte, war fantastisch. Tatsächlich fehlt mir in der Zeit, als ich Berichte für die ICG schrieb, dass ich nicht mehr einfach verlangen konnte, mit dem Kapitän des Schiffs, dem Präsidenten oder dem König zu sprechen. Ich hatte nicht mehr die Möglichkeit, militärische Operationen zu begleiten oder irgendwelchen Menschen in Paläs­ten oder Bunkern alle Fragen zu stellen, die mir in den Sinn kamen. Das war nicht mehr meine Aufgabe. Mir fehlte das Gefühl, an vorderster Front zu sein. Ich treffe immer noch gerne Journalisten, um mich mit ihnen über ihre Erfahrungen zu unterhalten. Ebenso gerne treffe ich mich mit unseren Analysten bei der ICG, deren Geschichten ich auf unserer Webseite hervorzuheben versuche. Heute ist mir bewusst, wie einzigartig und wertvoll der Beruf des Journalisten ist. Nachdem ich diesen Job mein ganzes Leben lang gemacht hatte, war mir gar nicht mehr bewusst, was für ein ungewöhnliches Leben Journalisten führen.

Inwiefern ungewöhnlich?
Ungewöhnlich in dem Sinn, dass du nachts in Teheran einen Anruf bekommst und morgens bereits in einem Helikopter zur Front unterwegs bist und beobachtest, wie unten etwas explodiert, das wie eine chemische Waffe aussieht. Vor zwölf Stunden lagst du noch zu Hause bei deiner Familie in deinem mollig warmen Bett, und auf einmal befindest du dich mitten in einem Krieg. All das habe ich erlebt. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich kaum glauben, dass ich es damals als normal empfunden habe. Allerdings hat das Journalistendasein auch Nachteile; das wurde mir bewusst, als ich bei der ICG anfing.  

Welche?
Ich glaube, die Leute haben Angst vor Journalisten. Wenn ich früher als Journalist Diplomaten um ein Gespräch bat, waren sie oft ziemlich reserviert. Nachdem ich das Lager gewechselt hatte und Berichterstatter für eine NGO geworden war, sagte ein Herr mit Botschafterfunktion auf einmal zu mir: „Hugh, endlich kann ich mich mit Ihnen unterhalten. Begleiten Sie mich zum Mittagessen!“ Der Gesprächs­inhalt war derselbe, aber die Atmosphäre war viel freundlicher. Sicherlich gibt es ein paar Journalisten, bei denen man auf der Hut sein muss. Insgesamt denke ich aber, dass die meis­ten versuchen, das Richtige zu tun. Man kann ihnen viel mehr anvertrauen, als die Leute denken. Das Ergebnis wäre für alle sehr viel befriedigender. Nun bin ich in einer Position, bei der es darum geht, Journalisten auf Material aufmerksam zu machen. Wir versuchen, so offen wie nur irgend möglich zu sein – denn wir glauben, dass sich diejenigen, die sich an uns wenden, weil sie Ideen brauchen, gerne von guten Argumenten überzeugen lassen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe EHRLICHKEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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