Twitter-Abschied aus Angst vor Kritik

Politische Kommunikation

Am 8. November wurde Stephan Weil als niedersächsischer Ministerpräsident wiedergewählt. Der 63-jährige SPD-Politiker steht an der Spitze einer rot-grünen Koalition. Am 5. Dezember gaben Weil und die niedersächsische Landesregierung auf Twitter bekannt, dass sie ihre Accounts im Musk-Netzwerk löschen werden. „Tschüss, Twitter! Im Laufe des morgigen Tages wird dieser Account gelöscht. Fehlende Kontrollen & mangelnde Verifizierungen führen zunehmend zur Verbreitung von Hass & Hetze, Falschinformationen & Verschwörungserzählungen. Da muss ich nicht dabei sein“, heißt es auf Weils Account.

Twitter ist eine Extrem-Bubble. Selbst abwegigste Themen werden zu unsachlichen Pseudodebatten aufgepustet, in denen sich die politischen Lager mit Diffamierungen und Fake News überziehen. Parteisoldaten, Politik-Influencer und Journalisten reißen Zitate und TV-Sequenzen regelmäßig aus dem Kontext, um jemanden fertig zu machen.

Twitter ist aber auch ein Ort, an dem sich berechtigte Kritik in ungefilterter Form zeigt. Politikerinnen und Politikern, die von Kontrolle über die von ihnen gezeigten Bilder und veröffentlichten Worte träumen und ihre Entscheidungen nicht hinterfragen lassen und durchregieren wollen, kann das nicht gefallen. Twitter hat einen enormen Einfluss auf die mediale Berichterstattung. Was man kleinhalten will, kann plötzlich groß werden. Im Sinne eines kommunikativen Risikomanagements macht ein Twitter-Abschied deshalb durchaus Sinn.

Politik sollte aber auch transparent sein. Behörden haben die Pflicht, Bürgerinnen und Bürger über Entscheidungen in Kenntnis zu setzen, auch wenn die Reaktionen der Öffentlichkeit unbequem ausfallen. Social Media sind neben klassischen Medien wie TV, Radio, Print und Online längst ein etablierter Weg, um sich über Politik zu informieren. Ein Politiker wie Stephan Weil kann selbstverständlich selbst entscheiden, auf welchen Kanälen er vertreten sein will. Für die niedersächsische Landesregierung gelten andere Anforderungen. Sie zieht sich mit ihrem Twitter-Abschied von einem Kanal zurück, der für viele Menschen die Hauptquelle ist, um sich über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen auf dem Laufenden zu halten. Würden alle Behörden diesen Weg gehen, würde sich der Grad an politischer Informiertheit in Deutschland weiter verschlechtern.

Die von Weil und der Landesregierung angeführten Begründung, dass sich auf Twitter „Hass & Hetze, Falschinformationen & Verschwörungserzählungen“ verbreiten, ist zwar zutreffend, aber trotzdem nicht stichhaltig. Die Regierung will schließlich Facebook weiterhin nutzen, wo Fake News und Hate Speech mindestens genauso vorkommen wie auf Twitter. Mit der Hass-und-Hetze-Aussage geht es Weil und dem Ministerium wohl eher darum, sich von den verbleibenden Twitter-Usern abzugrenzen. Man gehört zu den Anständigen.

Dieses Selbstbild ist gewagt, sind SPD und Grüne doch stolz darauf, wie sie im letzten Bundestagswahlkampf den CDU-Kandidaten Armin Laschet maximal mit Schmutz beworfen haben. Wer einen Minister wie Karl Lauterbach (SPD) im Bundeskabinett akzeptiert, sollte über Falschinformationen sowieso besser nicht reden.

Der Originaltweet von Stephan Weil ist nicht mehr verfügbar. Hier der Wortlaut:

“Tschüss, Twitter! Im Laufe des morgigen Tages wird dieser Account gelöscht. Fehlende Kontrollen & mangelnde Verifizierungen führen zunehmend zur Verbreitung von Hass & Hetze, Falschinformationen & Verschwörungserzählungen. Da muss ich nicht dabei sein. MP Stephan Weil (@MpStephanWeil) December 5, 2022”.

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