So gelingt ein fairer Umgang mit Journalisten

Journalisten und Unternehmen

Das Handy klingelt, das Display zeigt eine fremde Mobilfunknummer an. Ich nehme ab. Am anderen Ende ist der Chef einer Restaurantkette, über die ich seit ein paar Wochen Informationen sammele: Vapiano. Den Anlass für die Recherche haben Hinweise gegeben, dass im Unternehmen einiges schieflaufe: Die Kette wachse zu schnell, finde dadurch nur schwer fähiges Personal, in den Läden gehe es teils drunter und drüber.

Wie wir Journalisten es häufig tun – wir lernen dies auf Journalistenschulen oder in unseren Volontariaten –, spreche ich damals, vor rund vier Jahren, zunächst mit Mitarbeitern: mit Pastaköchen an den Stationen, Restaurantleitern, außerdem mit Kunden und Branchenexperten. Wenn Redaktionen auf diese Weise recherchieren, erscheint dies den betroffenen Unternehmen zuweilen als unfaire Methode. Wir Journalisten sehen es aber so: Erst wenn wir uns einen Überblick darüber verschafft haben, was wir die Manager einer Firma überhaupt sinnvollerweise fragen sollten, gehen wir auf die Unternehmen zu und bitten sie um ein Interview, um ihre Sicht der Dinge zu schildern.

Im Fall Vapiano hatte der Firmenchef von meiner Recherche erfahren – wohl durch einen loyalen Restaurantmanager, den ich um seine Einschätzung zur Geschäftsentwicklung gebeten hatte. Er besorgte sich meine Handynummer und rief mich an. „Ich wollte mal hören, was das für eine wilde Geschichte ist, die Sie da planen“, sagte er im Plauderton. Ich antwortete, geplant sei ein Firmenporträt für den Wirtschaftsteil der Welt am Sonntag, und sagte ihm zu, mich in den nächsten Tagen mit einer offiziellen Interviewanfrage ans Unternehmen zu wenden. Das Gespräch kann nicht länger als drei Minuten gedauert haben, doch schnell verlegte er sich aufs Drohen: „Dann passen Sie mal gut auf, dass Sie sich mit Ihrer Recherche nicht angreifbar machen“, sagte er, bevor er auflegte.

Ein paar Tage später erhielt unser Verlag Post von einer von Vapiano beauftragten Anwaltskanzlei. Der Brief war an unsere Rechtsabteilung adressiert. Darin stand, man habe von der geplanten Geschichte erfahren und wolle vorsichtshalber daran erinnern, dass die Regeln sauberer Recherche einzuhalten seien – eine wenig verklausulierte Drohung, die anzeigen sollte, dass uns bei einer unliebsamen Veröffentlichung ein Rechtsstreit mit dem Unternehmen drohen dürfte.

Aufrüsten gegen Recherchen

Vapiano ist nur ein Fall von vielen, in denen die Recherchen von uns kritisch berichtenden Journalisten von der anderen Seite begleitet werden: den Unternehmen, Politikern, Vereinen oder Prominenten, über die wir schreiben. Für uns in den Redaktionen wirkt es, als rüsteten die Objekte unserer Berichterstattung auf.

Häufig reichen ihnen nicht mehr ihre eigenen Pressestellen, um sich mit uns auseinanderzusetzen. Zusätzlich beauftragen viele von ihnen externe Krisen-PR-Agenturen oder Presseanwälte, und diese nehmen uns ebenso kritisch ins Visier wie wir unsere Berichtsobjekte.

Sie tun dies auf zweierlei Weise. Zum einen indem sie nach der Veröffentlichung gegen einen Beitrag vorgehen. Medienrechtler beobachten, dass mittlerweile immer schneller Presseanwälte beauftragt werden. „Früher haben Personen, die Berichterstattung beanstandet haben, die Redaktion direkt kontaktiert und auf diesem Weg eine Lösung gefunden. Heute gehen viele gleich zum Anwalt“, sagte etwa der renommierte Hamburger Medienrechtler Oliver Stegmann kürzlich in einem Interview mit der Magdeburger Volksstimme. Die Zeitung bestätigte, immer häufiger von den Firmen oder Personen, über die ihre Redakteure schreiben, presserechtlich angegangen zu werden.

Ein Phänomen, das sich derzeit auszubreiten scheint, sind dabei die zuletzt in Mode gekommenen „presserechtlichen Informationsschreiben“ (siehe Infokasten). Sie sollen Redaktionen davon abhalten, die Berichterstattung von Kollegen in anderen Redaktionen zu übernehmen.

Zum anderen versuchen Unternehmen seit ein paar Jahren häufiger schon vor dem Erscheinen eines Zeitungsartikels oder der Ausstrahlung eines Beitrags auf uns einzuwirken – etwa indem sie, wie Vapiano, schon während der Recherche durchblicken lassen, dass bei einer Veröffentlichung rechtlicher Ärger drohen wird.

Zu viel Konfrontation kann mehr schaden als nutzen

Wenn Firmen oder andere Objekte unserer Berichterstattung zu konfrontativ agieren, kann ihnen das aber mehr schaden als nutzen. Auch das zeigt das Beispiel Vapiano.

Kurz nachdem der Firmenchef und seine Anwälte damals angekündigt hatten, unsere Recherche kritisch zu begleiten – und ich ihn zu einem Interview getroffen hatte –, erschien der besagte Text in der Welt am Sonntag. Die Veröffentlichung zog weitere Kreise: Es meldeten sich nun ehemalige Restaurantleiter, die sagten, Vapiano betrüge seine Restaurantangestellten um Lohn. Die Betriebsleiter würden regelmäßig die elektronisch erfassten Stempelzeiten kontrollieren und den Pastaköchen nachträglich Arbeitsstunden streichen.

Ich recherchierte also weiter, ob dieser Vorwurf stimmte. Erneut „begleitete“ Vapiano die Recherche. Diesmal allerdings ohne Anwälte, sondern indem interne Warnungen in Whatsapp-Gruppen ausgesprochen wurden. Ein Regionalleiter schickte Fotos von mir, die aus dem Internet gezogen worden waren, an Mitarbeiter und versah sie mit der Notiz: „Wenn diese Frau in die Filiale kommt – auf keinen Fall mit ihr reden!“ Eine Reihe von Mitarbeitern ignorierte die Warnungen aber und leitete mir sogar Screenshots davon weiter.

Aus Sicht unserer Redaktion warf das Vorgehen die Frage auf: Hat das Unternehmen etwas zu verbergen, wenn es erst Presserechtsanwälte schickt und dann so vehement davor warnt, mit einer Reporterin zu sprechen? Wir veröffentlichten die Screenshots deshalb gemeinsam mit der Recherche.

Für Vapiano entwickelte sich das Vorgehen zum PR-Desaster. Im Mediendienst Meedia sagte der Chef der von Vapiano beauftragten Kommunikationsagentur „Achtung“, die Warnung per Foto sei zwar lediglich das Werk eines übereifrigen Bezirksmanagers gewesen und der Geschäftsleitung nicht bekannt, aber dennoch „ein Fehler“.

Fairness in der Recherche, Fairness auf beiden Seiten

Ohne Fairness auf beiden Seiten kann keine gute Geschichte im Sinne des Lesers entstehen. Wir Journalisten müssen jenen, über die wir berichten, die Chance geben, ihre Perspektive in ausreichender Weise im Text darzustellen. Nicht nur weil das Presserecht uns vorschreibt, die angegriffene Seite vor einer Veröffentlichung anzuhören. Sondern auch weil jede Geschichte besser wird, wenn man sich aufrichtig darum bemüht, die Perspektive aller Betroffenen einzufangen.

Für uns Journalisten ist schwer nachvollziehbar, warum viele Unternehmen diese Chance nicht ergreifen. Zum Beispiel Maredo. Im Herbst 2018 recherchierte ich zur Frage, warum die Umsätze der Kette seit Jahren stark zurückgegangen waren und ob Managementfehler für den Abstieg verantwortlich sind. Ich versuchte schon Wochen vor dem Erscheinen, Kontakt zum Unternehmen aufzunehmen. Dazu stellte ich ein halbes Dutzend Interviewanfragen per E-Mail, Telefon und Post an Maredos Firmenzentrale und die beauftragte PR-Agentur. Reaktion: null.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als schließlich einen schriftlichen Fragenkatalog einzureichen. Auch Maredo entschied sich für den teuren Gang zum Presseanwalt, der uns anstatt einer Antwort auf die gestellten Fragen ein langes Drohschreiben schickte. Aus unserer Sicht war das Ergebnis, dass unsere Berichterstattung deutlich einseitiger zugunsten der Maredo-Kritiker ausfallen musste, als es nötig gewesen wäre.

Wie könnte es besser gehen?

Erfährt ein Unternehmen schon vor der offiziellen Kontaktaufnahme davon, dass ein kritischer Journalist über die Firma recherchiert, erscheint uns aus redaktioneller Sicht das folgende Vorgehen am nachvollziehbarsten: Die Pressestelle dieses Unternehmens geht freundlich und offen auf uns zu, bietet uns zum Beispiel ein Interview an und erklärt möglichst transparent Hintergründe zu seiner Sichtweise des Themas. So signalisiert ein Unternehmen, dass es die Vorwürfe unserer Informanten ernst nimmt, die wir nachrecherchieren.

Kommt man auf diese Weise ins Gespräch, profitieren davon alle: das Unternehmen, das dem Journalisten seine Sicht der Dinge nahebringen kann, der Journalist, der eine weitere Perspektive gewinnt – und der Leser, dem wir auf diese Weise eine runde Geschichte bieten können.

 

„Presserechtliche Informationsschreiben“

Ein relativ neues, sich derzeit stark ausbreitendes Phänomen in rechtlichen Auseinandersetzungen über redaktionelle Berichterstattung sind die sogenannten „presserechtlichen Informationsschreiben“. Medienrechtskanzleien verfassen diese Schreiben im Auftrag von Unternehmen oder Einzelpersonen, wenn sie sich durch eine Berichterstattung falsch dargestellt fühlen. Anders als bei anderen, bisher gängigen Auseinandersetzungen zwischen Firmen und Journalisten geht es hier nicht darum, sich über bereits veröffentlichte Berichte auseinanderzusetzen, etwa in Form von Unterlassungs- oder Gegendarstellungsansprüchen. Stattdessen gehen diese Informationsschreiben an andere Medien.

Die von den Firmen beauftragten Rechtsanwälte warnen diese Medien, eine exklusive Berichterstattung einer Redaktion aufzugreifen. Sie weisen darauf hin, dass sie gegen diese Berichterstattung vorzugehen planen – und sprechen damit implizit die Warnung aus, dass sie auch gegen andere Redaktionen vorgehen würden, wenn diese den Bericht zitieren.

Journalisten kritisieren die Ausbreitung dieser Informationsschreiben, weil deren Zahl zugenommen hat und weil sie unabhängig davon verschickt werden, ob die Anwälte überhaupt eine rechtliche Handhabe besitzen, gegen die ursprüngliche Berichterstattung vorzugehen.

 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe PROTEST. Das Heft können Sie hier bestellen.

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