Sind Dresscodes noch zeitgemäß?

Berufskleidung

Dunkelblauer Anzug mit Sakko oder Blazer, Weste mit Nadelstreifen, weißes Hemd, knallrote Krawatte oder Halstuch, Uniformmütze, rote Streifen, rotes DB-Logo: So kennen Bahn-Kunden ihre Zugbegleiter. 15 Jahre lang stattete die Deutsche Bahn ihre circa 43.000 Servicemitarbeiter in Zügen und an Bahnhöfen mit der weitgehend unveränderten blau-roten Uniform aus. 

Seit Sommer vergangenen Jahres tragen 250 Mitarbeiter testweise eine neue Uniform – eigentlich keine große Sache, könnte man meinen. Und doch berichteten deutschlandweit Medien von Tageszeitungen über Wirtschaftsmagazine bis hin zum Klatschblatt aufgeregt über die Details der neuen Dienstkleidung – entworfen vom Promi-Designer Guido Maria Kretschmer. Weinrot statt knallrot! Die Damen dürfen nun, man stelle sich das vor, im Dienst einen Rock tragen! Und es gibt sogar eine Jeans!

Kleidung als ein Mittel der Kommunikation 

Warum interessiert es so viele Menschen, welche Kleidung Angestellte eines Unternehmens bei ihrer täglichen Arbeit tragen? „So wie Menschen im Privatleben mit ihrer Kleidung bestimmte Botschaften vermitteln, ihren Status und ihre eigene Identität unterstreichen wollen, so nutzen auch Unternehmen die Kleidung ihrer Mitarbeiter als Kommunikationsmittel“, sagt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts in Köln. „Das Corporate Design soll sich auch in der Kleidung der Mitarbeiter ausdrücken, die damit für eine bestimmte Unternehmenskultur und das Image der Unternehmensmarke steht.“ 

Wenn ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn, dessen Mitarbeiter täglich rund sechs Millionen Fahrgästen und Kunden in Bahnhöfen, Zügen und Service-Centern begegnen, seine Mitarbeiter neu einkleidet, fragen sich also viele Menschen: Was will das Unternehmen uns damit sagen?

In einer Arbeitswelt und Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen und die Loyalität und Bindung von Arbeitnehmern zu ihren Arbeitgebern abnimmt, sind gemeinsame Dresscodes für Unternehmen jedoch nicht nur ein Signal nach außen. Sondern sie sind vor allem ein Mittel, im Innern ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen.

„Man weiß, dass Menschen ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe auch dadurch ausdrücken, dass sie ihren Kleidungsstil an die anderen Mitglieder einer Gruppe anpassen“, sagt Müller-Thomkins. „Mit einer einheitlichen Dienstkleidung signalisieren Unternehmen: Wir sind ein Team. Du gehörst dazu.“

Positive Reaktionen aus der Belegschaft 

Wenn ein Unternehmen, wie die Deutsche Bahn, in moderne Dienstkleidung investiert und dazu gar populäre Designer wie Kretschmer engagiert, ist das daher auch eine wichtige Botschaft nach innen. Es signalisiert den Mitarbeitern: Ihr seid uns wichtig. 

So sieht das jedenfalls Matthias Waha, bei der Deutschen Bahn verantwortlich für die interne und externe Kommunikation zur neuen Unternehmensbekleidung. „Die Verbesserungen kommen natürlich zuerst den Kolleginnen und Kollegen zugute, die jeden Tag im Kundenkontakt sind. Gleichzeitig macht die neue Unternehmensbekleidung den Außenauftritt des ganzen Unternehmens moderner und sympathischer. Wichtig bei der neuen Kollektion war auch, dass trotz einheitlicher Kleidung mehr Individualität möglich ist. Deswegen das sogenannte Kleiderschrankprinzip“, erklärt Waha. Heute ein Kleid, morgen die Jeans mit dem Strickcardigan? Solange Kunden die Mitarbeiter am Bahnhof und im Zug auf den ersten Blick als solche erkennen, sei das kein Problem. 

Die neue Uniform wird seit Sommer 2017 von einer gemeinsamen Projektgruppe aus rund 60 operativen Mitarbeitern wie Zugbegleitern und Kundenbetreuern, Experten aus dem Marketing und der HR sowie dem Unternehmen Guido Maria Kretschmer Corporate Fashion entwickelt. „Der Tragetest wird von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen begleitet“, sagt Waha. 

Im Social Intranet der Bahn gibt es zudem Berichte über die Testimonials der verschiedenen Geschäftsbereiche. Via Kommentarfunktion diskutieren auch andere Mitarbeiter über die neue Kollektion. „Mittlerweile haben wir sogar Anfragen aus anderen Unternehmensbereichen, wie etwa der Verwaltung, ob man einzelne Stücke nicht fürs Büro haben könnte“, berichtet Waha. „Aus steuerrechtlichen Gründen ist das nicht so einfach umsetzbar, auch wollen wir Verwechslungen vermeiden.“ Dennoch zeigten solche Reaktionen, dass die neue Unternehmenskleidung gut ankomme. 

Und auch die Bahn-Kunden haben etwas davon: „Wer seine Unternehmensbekleidung morgens gerne aus dem Schrank holt und mit Stolz trägt, der macht am Ende auch einen noch besseren Job“, ist Waha überzeugt. 

Für das Staatsunternehmen Deutsche Bahn, das pro Tag rund 7,4 Millionen Menschen in Bahnen und Bussen befördert, seien die Mitarbeiter im täglichen Kundenkontakt immer auch Botschafter des Unternehmens. Waha: „Zufriedene Mitarbeiter in einer zeitgemäßen Uniform: Das zahlt auf unser Image als sympathischer Dienstleister ebenso ein wie auf unsere Arbeitgeberattraktivität.“ 

Markenschuhe für die Mitarbeiter 

Moderne Kleidung und Accessoires als Motivationsschub für die Mitarbeiter – auf dieses Prinzip setzen auch Konzerne wie Telekom und Lufthansa. Der Luftfahrtkonzern etwa bestellte jüngst bei Adidas eigens produzierte Turnschuhe mit dem Firmenlogo, die exklusiv den Mitarbeitern des Unternehmens zur Verfügung stehen. Die Telekom ließ im Sommer ebenfalls für ihre Mitarbeiter Adidas-Sneaker in der Unternehmensfarbe Knallpink herstellen und verschenkte sie als „kleine Anerkennung“ für die Mitarbeiter – damit man die „Magenta-Familie in Zukunft sogar am Schuhwerk erkennt“. 

In einem speziellen „Lovemagenta-Shop“ können Telekom-Fans bereits seit Längerem ein Sortiment an Kleidung und Accessoires in Magenta bestellen. „Mit unseren Lifestyleprodukten tragen unsere Mitarbeiter ihren Stolz auf unsere Marke nach außen“, erklärt der Konzern auf der Shopwebsite, wo auch Kunden bestellen können. 

Die Grenzen zwischen privater Kleidung und Dienstkleidung werden hier gezielt verwischt: Mitarbeiter sollen die pinkfarbenen Treter nicht tragen, weil es im Dienst Vorschrift ist. Sondern sich über die Produkte freiwillig und stolz auch im Privatleben als Telekom-Mitarbeiter zu erkennen geben – und so zum Corporate Influencer und Markenbotschafter werden. 

Der Paketdienstleister der Deutschen Post, DHL, ist mit seiner Dienstkleidung derweil nicht ganz freiwillig in die Grauzone zwischen Lifestyle- und Unternehmensmode geraten. Im Sommer 2016 hatte das Pariser Kultlabel Vetements Models mit einem nur leicht verfremdeten DHL-T-Shirt auf die Laufstege geschickt. Designer Demna Gvasalia setzt auf das bekannte Prinzip der Pop-Art, Motive aus dem Alltag, die eher als uncool oder uninteressant gelten, aufzugreifen und sie selbstbewusst zum Kunstobjekt zu erklären. 

Die oft eher praktisch designten Uniformen und Dienstkleidungen von Behörden und Unternehmen dienen ihm als Inspiration: Eines der beliebtesten Stücke der Kollektion ist ein langer Uniform-Mantel mit der Aufschrift „Polizei“. Das DHL-T-Shirt für 250 Euro entwickelte sich zum Bestseller. 

Bei DHL wusste man zunächst nicht so recht, wie man mit der plötzlichen Bekanntheit in der High-Fashion-Welt umgehen sollte – ging aber schließlich auf Vetements zu. Im Frühjahr 2018 kam die Kollektion „Vetements x DHL“ raus, die mit den rot-gelben Firmenfarben und dem DHL-Logo der Dienstkleidung spielt, die von mehr als 200.000 Mitarbeitern weltweit getragen wird.

Im Firmenblog „Discover DHL“ freut man sich über den Coup: „Wer jetzt bei Instagram oder irgendeiner anderen sozialen Plattform ‚DHL‘ eingibt, findet eine Parade von Celebrities, die in Designerstücke in DHL-Farben gekleidet sind.“ Mit einem Stückpreis von 650 Euro ist der Spaß allerdings nicht billig.

Zwischen Vorschrift und Freiheit 

Modeexperte Müller-Thomkins findet es sinnvoll, wenn sich Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Dienstkleidung Einflüssen aus der Mode öffnen und wie die Bahn bekannte Designer engagieren oder wie die Telekom modische Kleidungsstücke anbieten und ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten bei der Auswahl der Arbeitskleidung gewähren: „Unternehmen zeigen sich damit offen und zeitgemäß, können sich auch einmal in einem ganz anderen Kontext präsentieren.“

Ganz einfach sei es für Unternehmen allerdings nicht, den richtigen Ton in Sachen Bekleidungsbotschaft zu treffen und die Balance zwischen Freiheit und Vorschrift zu finden: „In der Berufskleidung, wie in der Mode generell, spiegeln sich immer vielfältige gesellschaftliche Trends, die es zu berücksichtigen gilt“, gibt Müller-Thomkins zu bedenken. 

Frauen dürfen im Hochsommer Röcke im Büro tragen, Männer aber keine kurzen Hosen? Das wurde früher klaglos hingenommen. Heute protestieren männliche Mitarbeiter, indem sie im Sommerkleid ins Büro gehen und Bilder davon bei Twitter und Co. verbreiten.

Ein Unternehmen will Frauen High Heels und kurze Röcke als Arbeitskleidung vorschreiben? Der Shitstorm im Netz folgt prompt. „Im Grunde sind viele Menschen ganz froh, wenn sie in der Kleidungsfrage vom Arbeitgeber ein paar klare Regeln an die Hand bekommen, an die sie sich halten können“, sagt Müller-Thomkins. „Aber wenn diese Regeln nicht mehr zeitgemäß erscheinen, ihren persönlichen Werten widersprechen oder sie im Ausdruck ihrer eigenen Persönlichkeit allzu stark beschneiden, werden sie protestieren.“

Statt Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen Unternehmen dann unter den Mitarbeitern das Bedürfnis, sich abzugrenzen. „Dann lässt man es besser ganz.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONKURRENZ. Das Heft können Sie hier bestellen.

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