Schlechtes Agenturklima

Scholz & Friends und die Folgen

„Die Zeit“ hat in dieser Woche einen Artikel veröffentlicht, der darlegt, dass in der Agentur Scholz & Friends ein sexistisches Klima herrschen soll. Die Redakteurin Ann-Kathrin Nezik beruft sich dabei auf Gespräche mit mehr als 25 ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Agentur.

Für die Autorin ergibt sich ein klares Bild: Bei Scholz & Friends würden Frauen wie in der Serie Mad Men entweder als „fleißige Arbeitsbienen oder als attraktive Begleiterinnen“ vorkommen. Auch seien Kolleginnen von einer Führungskraft als „Barbara“ und „Uschi“ abqualifiziert worden. Schwer wiegt der Vorwurf, dass Frauen deutlich schlechtere Chancen hätten, in der Agentur aufzusteigen. Das bisherige Partnerboard besteht aus neun Männern und einer Frau. Ein leitender Kreativer soll auf der Weihnachtsfeier im Jahr 2017 auf einem Podest seinen Penis rausgeholt und auf ihm Luftgitarre gespielt haben. Der Mann sei wenig später in der Agentur zum Teamleiter befördert worden. Von Online-Stalking ist ebenfalls die Rede.

Bevor „Die Zeit“ am Mittwoch ihre Vorabmeldung versendete, verbreitete Scholz & Friends eine eigene Pressemitteilung, um einige Personalwechsel anzukündigen. Zwei Frauen sollen ins Board aufgenommen werden. Eine von ihnen, Catherine Gaudry, soll sich um „Diversity, Equity & Inclusion“ kümmern. Eine weitere Frau wird Geschäftsführerin des Berliner Standorts. Es ist der Versuch der Schadensbegrenzung und gleichzeitig das Eingeständnis, dass in Sachen Diversity und Chancengleichheit bei der auch für Ministerien der Bundesregierung arbeitenden Agentur die Uhren im vergangenen Jahrtausend stehengeblieben sind.

Der Fall „Scholz & Friends“ lässt sich nicht auf die gesamte Agenturbranche übertragen. Es ist bislang ein Einzelfall. Allerdings gibt es in Agenturen Strukturen, die sexistisches Fehlverhalten fördern.

Es beginnt damit, dass in Kommunikationsagenturen die CEO- und Vorstandspositionen überwiegend von Männern besetzt sind. Mit Susanne Marell, Christiane Schulz, Sabine Hückmann, Babette Kemper und Alexandra Groß gibt es zwar bekannte Frauen an der Spitze von führenden „PR“-Agenturen. Dann wird die Luft dünn. Im Kreativbereich der Werbeagenturen sieht es nicht besser aus. Zentrale Themen wie Karriere, Mitarbeiterförderung und Arbeitszeitgestaltung werden vorwiegend aus einer männlichen Perspektive gedacht. Die Unternehmenskultur ist männlich geprägt. Ebenso die Sprache.  

Insbesondere in von Männern dominierten Führungszirkeln entsteht schnell so etwas wie Korpsgeist. Es bilden sich Freundschaften und Abhängigkeiten. Offenkundige soziale Defizite und eindeutiges Fehlverhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen werden dann schon mal eher toleriert. Man hält zusammen, vor allem, wenn Personen gute Arbeitsleistungen abliefern, für Stimmung sorgen und der Firma Geld bringen. Schmieriger „Locker Room Talk“ zulasten von Frauen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen entwickelt sich am ehesten in sozialen Gebilden, in denen Männer meinen, unter ihresgleichen zu sein. Dumme Sprüche, blöde Witze, übergriffiges Verhalten. Sanktionen? Von wem denn?

Tolerierung von Fehlverhalten

Agenturen brauchen extrovertierte Charaktere. Kreative Köpfe, die auch mal mit ungewöhnlichen Ideen um die Ecke kommen. Sind diese erfolgreich und gewinnen sie mit ihren Ideen Kunden und Preise, werden ihnen häufig große Freiräume zugestanden. Das ist auch richtig so. Es entwickelt sich allerdings wie um prominente Agenturgründer schnell eine Art Starkult. Personen werden unangreifbar. Sie werden aufgrund ihrer Kreativität in Managementpositionen oder in die Geschäftsführung berufen, obwohl ihnen vielleicht soziale Fähigkeiten und Empathie abgehen. Gesellschaftliches Fehlverhalten, Arroganz und Narzissmus werden so lange toleriert, wie die Leistung stimmt – und sich niemand zu vehement beschwert. Die auf Fehlverhalten wie Sexismus hinweisenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sitzen am kürzeren Hebel. Sie sind für jede Agentur eher verzichtbar als ein Agenturstar, der regelmäßig Pitches gewinnt.  

Bei Scholz & Friends wussten Mitarbeiterinnen, die sich sexistischem Verhalten ausgesetzt fühlten, offenbar nicht, an wen sie sich mit ihren Beschwerden und Bedenken überhaupt wenden sollen. Teamleiterinnen und Teamleiter wären in diesem Fall eigentlich die erste Instanz. Häufig stehen diese allerdings selbst der Geschäftsleitung näher als den Teammitgliedern. Man kennt sich länger und besser. Eine einzelne Mitarbeiterin oder ein einzelner Mitarbeiter, der vielleicht diskriminiert oder schlecht behandelt wurde, steht schnell allein dar.

Große Unternehmen und Konzerne haben nicht umsonst Strukturen geschaffen, die der Vertretung von Interessen der Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen und der Führung dienen. Es gibt einen Betriebsrat, Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte, Angestellte, die sich um Inklusion und die Integration von behinderten Kolleginnen und Kollegen kümmern. Solche Kontrollinstanzen fehlen in Agenturen weitgehend, obwohl eine Reihe von ihnen mit mehreren hundert Mitarbeitenden groß genug wäre, um sie einzuführen. Das wäre ein erster Schritt. Das zumindest hat Scholz & Friends erkannt.

Agenturen müssen sich weiter professionalisieren

Spätestens nach dem „Zeit“-Artikel sollten bei allen Agenturen die Alarmglocken läuten. Sie sollten für sich analysieren, inwieweit sie Strukturen aufweisen, die sexistisches Verhalten fördern oder dulden. Hier lauert ein Reputationsschaden, der deutlich über den Ruf hinausgeht, schlecht zu bezahlen und lange Arbeitszeiten zu verlangen. Kunden dürften sich zweimal überlegen, ob sie ihre Aufträge an Dienstleiter vergeben, von denen es heißt, dass sie Sexismus fördern und frauenfeindlich sind. Auf Bewerberinnen und Bewerber dürfte ein solches Image hochgradig abschreckend wirken.

Die Berichterstattung über „Scholz & Friends“ sollte für jede namhafte Agentur Anlass genug sein, sich so aufzustellen, dass für Sexismus kein Platz und Chancengleichheit von Frauen garantiert ist. Dieses Thema wird sowieso größer werden. Die Politik macht Druck bis in Vorstandsetagen und Aufsichtsräte hinein. Bei Diversity sieht es ähnlich aus. Es wird höchste Zeit, sich hier als Agentur progressiv aufzustellen. Es bedarf nur gleichzeitig Kontroll- und Sanktionsmechanismen für Führungskräfte. Fehlverhalten muss Konsequenzen haben. Wer auf einer Weihnachtsfeier seinen Penis zeigt, gehört abgemahnt oder gleich entlassen.

Für die gesamte Agenturbranche geht es darum, sich als professioneller Arbeitgeber zu präsentieren. Das liegt in ihrem eigenen Interesse. Leaks sind ein reales Risiko für jedes Unternehmen, das eine gewisse Bekanntheit besitzt. Ehemalige oder aktuelle Mitarbeitende können sich mit Informationen an die Öffentlichkeit wenden – aus moralischen Gründen oder Wut. Die EU hat im vergangenen Jahr extra eine Richtlinie erlassen, die Whistleblower besser schützt, wenn sie Missstände aufdecken.

Um den Ball ins Rollen zu bringen, braucht es nicht 25 Personen, die wie bei Scholz & Friends mit einer Redakteurin sprechen, sondern eine einzige Person. Der Artikel in der „Zeit“ dürfte auch für andere Geschädigte wie ein Signal wirken, aktiv zu werden.   

 

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