Schlechte Nachrichten überbringen: Bitte ohne Zuckerguss!

Bei Osram brechen düstere Zeiten an. Der Münchener Leuchtmittelhersteller hat im Juli angekündigt, weltweit rund 7.800 Mitarbeiter zu entlassen. Interessant ist allerdings, wie er das auf der Presse-Webseite des Unternehmens kundgetan hat. Umrahmt von Meldungen über die Auszeichnung der LED Lampe „Superstar Classic A40“ mit dem Red Dot Award und die „bislang unerreichte optische Effizienz“ der neuen „Oslon Black“ findet man sie, unscheinbar und unbebildert: Die Pressemitteilung mit dem Titel „Osram treibt Umbau weiter voran“. Von dieser Überschrift bis zur Erwähnung der zu streichenden Stellen braucht es jedoch sage und schreibe 197 Wörter. Allein der erste Satz ist ein Ungetüm: „Osram hat im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2014 die hohen Rückgänge seines traditionellen Geschäfts in der Allgemeinbeleuchtung durch beträchtliche Zuwächse mit LED-basierten Produkten (SSL) auf vergleichbarer Basis nahezu kompensiert.“ Das klingt doch erst einmal nahezu erfreulich. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. In den folgenden Sätzen geht es um den „geringfügig“ gesunkenen Umsatz, die Verbesserung des EBITA durch „Opto-Halbleiter und Spezialbeleuchtung“, Sondereffekte und Push-Maßnahmen. Und dann, ja dann wird endlich gesagt, was mit all dem einhergehen wird: „Kapazitätsanpassungen“ – die „sozial verträglich“ erfolgen sollen, versteht sich.

Kurz und schmerzvoll, bitte …

Über eine solche Kommunikation schlechter Nachrichten kann Reiner Pogarell nur den Kopf schütteln. Der Leiter des Paderborner Instituts für Betriebslinguistik verfasst im Auftrag von Unternehmen Post mit Absagen oder Preiserhöhungen. Die Negativbotschaft in einem Meer aus Worthülsen zu versenken oder euphemistisch aufzuhübschen, ist ihm zufolge widersinnig: „Der Leser wird die schlechte Nachricht finden. Und je später er sie aufspürt, desto verärgerter wird er sein.“ Es soll sofort klar werden, worum es geht. Schließlich wird auch beim Arzt nicht lange um den heißen Brei geredet, wenn eine schlimme Diagnose überbracht werden muss.

Einmal sollte Pogarell für einen Autohersteller eine Kulanzablehnung schreiben. Im ursprünglichen Brief des Unternehmens beglückwünschte man den Kunden zunächst dazu, sich für das betroffene Modell entschieden zu haben und listete die Vorzüge der Marke auf. Erst im untersten Abschnitt wurde – im Anschluss an ein ausführliches Lob des eigenen Garantiesystems – mitgeteilt, dass der Wagen des Kunden zu alt sei und man daher die Reparaturkosten für den Schaden nicht erstatten könne. Pogarell ersetzte den langen und umständlichen Text durch eine knappe Botschaft: „Leider können wir Ihrem Wunsch nach einer Kulanzlösung für Ihr kaputtes Getriebe nicht nachkommen. Diese greift nur bis zum dritten Jahr nach Kauf des Fahrzeugs.“ Auf seinen Vorschlag reagierten die zuständigen Mitarbeiter mit blankem Entsetzen, erinnert sich Pogarell. Man habe extra ein Institut für Betriebslinguistik beauftragt, um es dem Kunden durch die Blume zu sagen und nicht so platt und direkt! „Aber der Leser wird ohnehin merken, dass er kein Geld bekommt. Man kann ihn doch nicht besoffen reden“, erwiderte Pogarell. Der Konzern ließ sich auf einen Test ein und verschickte 4.000 Briefe, die eine Hälfte nach dem alten Muster, die andere in Pogarells Stil. Danach wurden die Empfänger angerufen und dazu befragt. Der Linguist lacht. „Jetzt raten Sie mal, welche Version erheblich besser abgeschnitten hat?“

Nur Mut!

Auch Coach und PR-Expertin Daniela Puttenat bevorzugt die ungeschönte Variante: „Wenn Sie für die Stakeholder ein Stück Pappe in Tortenform mit Zuckerguss überziehen, werden diese immer noch auf ­Pappe beißen.“ Also lieber ehrlich und direkt kommunizieren und Kritikern damit ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen. Dafür fällt Puttenat ein Positivbeispiel ein: „Eine der kürzesten Meldungen, die ich je gelesen habe, lautete sinngemäß: ‚Die Deutsche Bahn hat entschieden, keinen Zuschlag für den personenbedingten Fahrkartenkauf einzuführen.’ Darüber hat sich mancher Journalist lustig gemacht, aber es gab nach der heftigen Kritik um einen so genannten Serviceaufschlag, den die Bahn damals erheben wollte, in der Tat dazu einfach nicht mehr zu sagen. Ich fand das ganz erfrischend.“

Warum in Geschäftsberichten Negatives häufig im letzten Absatz versteckt wird, ist Puttenat ein Rätsel. „Kein erfahrener Kommunikator darf im Hinblick auf Presse und Kunden naiv sein. Die Leser sind Journalisten und professionelle Scanner, sie entdecken die Botschaft auch auf der dritten Seite und heben sie in den Vordergrund. Das macht die Situation natürlich nur noch schlimmer.“ Oft sitze der Kommunika­tionsabteilung aber eine zögerliche Geschäftsführung im Nacken. Eine Meldung über Personalabbau im großen Stil, schlechte Zahlen oder fehlerhafte Produkte wird schließlich mit dem Vorstand und der Rechtsabteilung genau abgestimmt. „Diese obersten Bedenkenträger lassen die Kommunikatoren oft einknicken“, hat Puttenat beobachtet. Ihr Tipp: „Der Kommunikator sollte den Mut haben, der Geschäftsführung mögliche Szenarien zu beschreiben, die sich nach der Veröffentlichung abspielen könnten, und keine Angst vor negativer Presse oder kritischen Nachfragen haben. Das gehört zu seinem Job.“  Schließlich kann es auch nicht im Sinne des Unternehmens sein, wenn am nächsten Tag in der Zeitung steht, dass die Verantwortlichen „für ein Statement nicht zur Verfügung standen“.

Weder nüchtern noch sentimental

Ebenso sind O-Töne vom CEO oder Kommunikationschef in schwierigen Situationen unverzichtbar. Anders als im Mittelalter müssen die Überbringer von Hiobsbotschaften heute auch nicht mehr befürchten, ihren Kopf zu verlieren. „Gesichtslose Unternehmen, die schlechte Nachrichten per Pressemitteilung herausschicken und sich dann wegducken, fahren keine gute Strategie“, findet PR-Expertin Puttenat. Der Pressesprecher sollte keine Angst haben, sich an solchen Themen zu verbrennen. Auch der CEO werde schlichtweg dafür bezahlt, das Unternehmen in guten und in schlechten Zeiten zu lenken – Schuldzuweisungen à la „durch Managementfehler meines Vorgängers …“ kämen definitiv nicht gut an. Andererseits sollte der Überbringer auch nicht zu emotional agieren, findet Puttenat: „Mit schreckgeweiteten Augen und bebender Stimme zu sagen, warum das Unternehmen die Situation so bedauert, ist in der freien Marktwirtschaft einfach unangebracht.“ Zu äußern, dass es einem leid tue, hält Betriebslinguist Reiner Pogarell aber für angemessen: „Erfolgreich kommunizierende Menschen – ich zähle mal unsere Bundeskanzlerin dazu – lassen kein ‚Leider‘ aus.“

Rede und Antwort stehen sollte man dabei ausgewählten Medienvertretern. „Handelt es sich um eine Entlassungswelle bei einem Hamburger Unternehmen, würde ich beispielsweise der dpa und lokalen Medien wie dem NDR und dem ‚Abendblatt‘ den Vorzug geben“, sagt Puttenat. Zuvor hätten in einem solchen Fall aber die Mitarbeiter ein Anrecht, informiert zu werden. „Man sollte anschließend nicht zu viel Zeit verstreichen lassen, denn es sickert natürlich schnell etwas durch.“ Die Kommunikation muss also so synchron wie möglich erfolgen. Dafür hilft ein Aktionsplan zur internen, externen und Online-Kommunikation, den alle Zuständigen gemeinsam erarbeiten. Puttenats Tipp für die Verkündung in den sozialen Medien: „Je früher Sie die Nachricht selbst twittern, desto höher ist die Chance, dass sie in diesem Wortlaut verbreitet wird, beispielswese durch Retweets. Die Meinungsführerschaft sollte man sich in den entscheidenden ersten Stunden nicht aus der Hand nehmen lassen.“

Alles unter einem Hut

Auch PR-Berater Wolfgang Griepentrog plädiert für eine reflektierte und verantwortungsbewusste Wortwahl ohne Verschleierung. „Die richtigen Worte und Inhalte findet man dann, wenn man für die Kommunikation schwieriger Themen einen Plan mit abgestimmten Botschaften und klarer Rollenverteilung der Akteure hat.“ So ließen sich Diskrepanzen im Kommunikationsauftritt vermeiden, die gerade bei negativ assoziierten Themen rasch in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen. Die PR „außerhalb der Komfortzone“ erfordere eine gute Infrastruktur im Kommunikationsmanagement und persönliches Engagement des CEO.
Außerdem gilt es zu vermeiden, dass die Stakeholder mit einer Nachricht überrascht werden, die aus dem Nichts zu kommen scheint. „PR erfüllt dann ihren Auftrag am besten, wenn Negativkommunikation durch Aufklärung und Information im Vorfeld vermieden wird“, glaubt Griepentrog. Aber ist das überhaupt möglich? Zumindest solle man alle Betroffenen schon frühzeitig für mögliche Entwicklungen sensibilisieren. Für die erfolgreiche Kommunikation kritischer Sachverhalte besonders wichtig ist, dass sie den unterschiedlichen Blickwinkeln der verschiedenen Stakeholder auf die Situation gerecht wird. „Was für den einen schlecht ist, kann für den anderen eine positive Botschaft sein“, gibt Griepentrog zu bedenken. So könne ein Stellenabbau für die betroffenen Mitarbeiter zwar bitter, für die Investoren aber eine gute Nachricht sein – alles eine Frage der Anschauung. Aus diesem Grund spricht der Kommunikationsberater lieber von „unbequemen“ als von schlechten Nachrichten. Hier helfe nur die ehrliche und offene Darstellung von Gesamtzusammenhängen, wobei schwierige Entscheidungen erklärt und gut begründet werden sollten. „Das verhindert zwar nicht die negative Sichtweise von Betroffenen, beispielsweise von Mitarbeitern, deren Stelle gestrichen wurde, aber vermeidet Gerüchte, Spekulationen sowie mutwillige Fehlinterpretationen und ist die Basis für Akzeptanz.“

Über Ursachen aufklären

Wie genau man die Ursachen erklären sollte, die der Nachricht zugrunde liegen, ist jedoch gar nicht so einfach zu bestimmen. „Die Stakeholder haben ein Anrecht darauf, etwas über die Hintergründe zu erfahren. Komplexe Inhalte würde ich allerdings eher in einem zusätzlichen CEO-Hintergrundgespräch oder -Interview anbieten“, sagt Puttenat. Um auch bei komplizierten Themen nicht ganz weit ausschweifen zu müssen, empfiehlt sie, in Kernbotschaften zu denken: Welches sind die drei wichtigsten Ursachen, die den Status Quo bedingen? Als Übung könne man versuchen, diese in den 140 Zeichen, die bei Twitter zur Verfügung stehen, unterzubringen. So beispielsweise: „Gestiegene Energieimporte: Unternehmen xy meldet Rückgang von xy-Zahlen.“ Zudem solle man sich nicht scheuen, auch allgemein bekannte Tatsachen aufzulisten. „Wenn Sie die Gründe für gestiegene Stromkosten kommunizieren, erläutern Sie in diesem Zusammenhang kurz die Faktoren wie die EEG-Umlage oder gestiegene Rohstoffpreise. Die Stakeholder und Journalisten werden Ihnen dankbar dafür sein.“

Der Telekommunikationsanbieter Kabel Deutschland liefert auf seiner Webseite unter dem Schlagwort „Preisanpassung“ die FAQ mit knappen Antworten zu den gestiegenen Kosten sowie eine Gratishotline, um mehr darüber zu erfragen. Eine gute Idee? „Prinzipiell schon“, findet Daniela Puttenat. „Aber bitte nur, wenn die Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung sich auch tatsächlich mit dem Thema auskennen. Und: Eine Computerstimme möchten die ohnehin schon verärgerten Kunden auf keinen Fall hören.“ Generell könne man aber in solchen Situationen ruhig auch neue Wege und Kanäle ausprobieren. Reiner Pogarell rät dazu, in den Antworten ganz konkret zu werden: „Oft wird eine Preiserhöhung einfach mit ‚innovativen Leistungen‘ begründet. Das reicht natürlich nicht aus. Man sollte erklären, was genau das Unternehmen der Konkurrenz voraushat.“

Nicht alles ist eine „Herausforderung“

Manche Begriffe und Phrasen halten sich hartnäckig. Das weiß auch Pogarell. So sei es in der Wirtschaft verpönt, von „Problemen“ zu sprechen – dabei handelt es sich hierbei eben nicht zwangsläufig um „Herausforderungen“. Auch das gerne anstelle von „Entlassung“ verwendete Wort „Freisetzung“ findet Pogarell furchtbar. Ebenso wie die berühmte „Preisanpassung“. Pogarell seufzt. „Die kann ich den Leuten leider nicht austreiben. Obwohl auch der Dümmste weiß, dass eine Anpassung eine Erhöhung ist. Sobald der Preis um 0,03 Prozent vermindert wird, heißt es nämlich ganz sicher ‚Preissenkung‘.“ Unverblümt und geradeaus währt also am längsten. Das hat der Energieversorger Flexstrom 2011 auf schmerzhafte Art lernen müssen. Dieser hatte damals als Werbeflyer getarnte Preiserhöhungen an seine Kunden verschickt. Das Landgericht Berlin verdonnerte das Unternehmen anschließend dazu, den Betroffenen ein Berichtigungsschreiben zu senden.

Also: Weg mit den Verschleierungen, weg mit den Füllwörtern und Schönfärbereien! Im Fall von Osram hätte Betriebslinguist Reiner Pogarell übrigens folgenden schlichten Wortlaut vorgeschlagen: „Osram kommt aufgrund der veränderten Verkaufslage nicht umhin, den Personalbestand um 7.800 Stellen zu reduzieren“. Freuen wird sich über solch eine Nachricht wohl niemand. Aber einer direkten und ehrlichen Kommunikation kann man zumindest noch etwas Positives abgewinnen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Fehler. Das Heft können Sie hier bestellen.

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