Projekte managen statt Kaffee kochen

Vor fast neun Jahren erschien in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Artikel mit der Überschrift „Generation Praktikum“. Daraus ist ein vielzitiertes Schlagwort entstanden, das es 2006 sogar auf Platz 2 der Abstimmung zum „Wort des Jahres“ gebracht hat und unter dem lebhaft diskutiert wurde, wie die Situation der Praktikanten in Deutschland ist. Gibt es wirklich eine ganze Kohorte von Hochschulabsolventen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen verheizt wird und keine Chance auf eine feste Anstellung bekommt?

Nach der Studie zur „neuen Generation Praktikum“, die die Online-Jobbörse Absolventa zusammen mit dem Beratungsunternehmen Clevis veröffentlicht hat, sind Studenten die überwiegende Mehrheit der Praktikanten (77 Prozent), 9 Prozent Absolventen und 6 Prozent Young Professionals. 82 Prozent der Befragten sind mit ihrem Praktikum zufrieden, 94 Prozent werden für ihre Arbeit auch bezahlt. Im Schnitt liegt die Vergütung demnach bei 736 Euro im Monat.

Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), hält dagegen. Er zitiert eine hauseigene Studie von 2011, die gezeigt habe, dass 40 Prozent der Praktika unbezahlt sind. „Dabei gaben 81 Prozent der Befragten an, vollwertige Arbeit geleistet zu haben.“ Das durchschnittliche Bruttogehalt beziffert er auf 551 Euro. Und nach Zahlen von 2007 haben 41 Prozent der befragten Absolventen ein Praktikum nach dem Studium gemacht. Vom Tisch ist das Thema also nicht.

 

Mangelnde Vergütung bei Pflichtpraktika

Eine Branche, die häufig für ihren Umgang mit Mitarbeitern und Praktikanten am Pranger steht, ist die Werbe- und Kommunikationsbranche, darunter vor allem die Agenturen. Laut der Studie von Absolventa und Clevis sind Praktikanten hier am unzufriedensten. Oft ist die Rede von schlechter Bezahlung und massenhaft Überstunden. Die Branche sieht inzwischen Handlungsbedarf: „Wir wollen das Bild, das in der Öffentlichkeit von uns herrscht, ändern. Dazu gehört auch, Praktikanten und deren Arbeit zu honorieren“, sagt Julia von Winterfeldt, die im Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA Vorstandsmitglied für das Ressort Nachwuchs ist. Man hat dort Standards für Praktika festgelegt. Dazu zählt die Betreuung und Einbindung in die Projekte, ein Feedbackgespräch und ein Praktikumszeugnis. Praktika dauern zwischen zehn Wochen und sechs Monaten und sollen mit mindestens 350 Euro monatlich vergütet werden. Viel ist das nicht. Die Höhe sei zu diskutieren, meint auch von Winterfeldt. „Das ist durchaus ein Thema für uns in diesem Jahr, welchen Standard wir bei der Vergütung vorlegen wollen.“

Julia von Winterfeldt vom GWA (c) AKQA

Julia von Winterfeldt vom GWA (c) AKQA

 

Viele Agenturen geben offen zu, ein Imageproblem zu haben und nicht mehr so sexy zu sein wie noch in den 90er Jahren. Bei MetaDesign hat man sich für dieses Jahr vorgenommen, das Praktikantenprogramm „marktgerechter zu gestalten und an die Bedürfnisse der jungen Leute anzupassen“, erklärt Cordula Schindler, Human Resources Manager der Markenagentur. Dazu zählt auch, die bisherige Vergütung von pauschal 600 Euro – was man für die Branche und den Standort als gut ansieht – in zwei Stufen zu splitten, je nachdem, welche Vorerfahrungen die Praktikanten mitbringen. Zukünftig wird die Spannbreite zwischen 500 und 800 Euro liegen. Außerdem fragt man die eigenen Praktikanten regelmäßig danach, was ihnen wichtig ist. Dazu zählt auch Inhaltliches: Sie wünschen sich Arbeit in verschiedenen Bereichen und mit mehreren Kunden. Das versucht man so gut es geht zu erfüllen.

Cordula Schindler von MetaDesign (c) MetaDesign/Alex Otto

Cordula Schindler von MetaDesign (c) MetaDesign/Alex Otto

 

Der Nachwuchs will lernen

Bei achtung! in Hamburg betreuen Praktikanten kleinere Projekte eigenständig. Man will zeigen, wie reizvoll es sein kann, in einer Agentur zu arbeiten. „Kein Tag gleicht dem anderen“, sagt Sybille Gast, HR Director bei achtung! Die Praktikanten bekämen eine richtige Ausbildung, man versuche, ihnen etwas zu bieten. Und es bringe ja auch nichts, die Praktikanten künstlich klein zu halten, schließlich würden die Leute lernen wollen.

Die Zugangswege für einen Job in der Agenturwelt sind vielfältig. Praktika sind für beide Seiten auch eine Möglichkeit, auszutesten, ob man dorthin passt. Die Agenturen sehen dieses Angebot daher auch als Kanal, um Nachwuchskräfte kennen zu lernen und zu gewinnen.

Sybille Gast von achtung! (c) Jans-Hendrik Munzert (achtung!)

Jans-Hendrik Munzert (achtung!)

 

Laut einer Studie des GWA haben 80 Prozent der Agenturen in Deutschland Probleme, geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren. Andere Untersuchungen zeigen, dass Absolventen kommunikationswissenschaftlicher Studienfächer deutlich lieber in Unternehmen arbeiten. Aufsehen erregte auch ein offener Brief der studentischen Kommunikationsagentur Werbeliebe, der mangelnde Wertschätzung und Perspektiven innerhalb der Branche anprangerte. Für Sybille Gast macht sich außerdem der demografische Wandel bemerkbar: „Es wird immer schwieriger, gute junge Leute zu finden. Da ist es hilfreich, diese durch Praktika kennenzulernen und aufs Unternehmen aufmerksam zu machen.“

„Praktikanten sind für uns der Nachwuchs, aus dem wir unsere Mitarbeiter rekrutieren“, sagt auch Cordula Schindler. Daher investiere man bei MetaDesign viel, um sie zum Bleiben zu motivieren. Dort kommuniziert man vor allem die eigene Unternehmenskultur: „Wir sind eine Agentur, die sich um ihre Mitarbeiter kümmert und sorgt.“ Da spielt die Hoffnung mit, dass bei einer guten Kultur Überstunden, die in jeder Agentur anfallen und die auch keiner pauschal abstreitet, nicht so sehr ins Gewicht fallen. Und viele Praktikanten seien von sich aus so motiviert, dass sie gerne länger blieben, um ein Projekt voranzubringen, heißt es oftmals. Sybille Gast beschreibt es so: „Praktikanten gehören mit dazu. Es wird aber nicht erwartet, dass sie bis in die Nacht hier sitzen.“

Das Beispiel zeigt, was auch für andere Branchen gilt: Die Themen Gehalt und Arbeitszeit dominieren die Debatte. Klagen über Inhalte und Aufgaben hört man selten, Kaffeekochen und Kopieren scheinen nicht mehr das Problem heutiger Praktikanten zu sein. Eher noch geht es um Grundsätzliches, wie darum, dass Leute mit abgeschlossener Ausbildung in mancher Branche mit Praktika abgespeist werden.

 

Initiative für europaweite Leitlinien

Die Politik in Deutschland hält sich mit klaren gesetzlichen Regelungen bisher zurück. Aber die EU hat das Thema auf ihrer Agenda: Zum einen will sie Leitlinien entwickeln, um die Qualität von Praktika zu steigern. Und zum anderem sind Praktika ein Teil der Strategie gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Was für Florian Haggenmiller, der eine gesetzliche Definition von Praktika als Lernverhältnis anstrebt, kaum aufgeht. Denn nicht der Ausbildungsstand der Jugendlichen sei schuld an ihrer Arbeitslosigkeit, sondern das Fehlen von Jobs als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise.

In jedem Fall gehören Praktika heute zu einer universitären Ausbildung dazu. Im Hinblick auf eine frühzeitige Berufsorientierung, gerade in Studiengängen, die nicht auf einen spezifischen Beruf hin ausbilden, ist das zu begrüßen. Solange die Konditionen stimmen natürlich.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Aus- und Weiterbildung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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