Olympia, was nun?

Not & Spiele

Es war das Spiel ihres Lebens. Es war das Turnier ihres Lebens. Es war eine dieser sportlichen Ruhmestaten, an die Generationen sich lange noch erinnern. Erst mit 3:4 nach Verlängerung unterlagen die deutschen Eishockey-Nationalspieler im Februar im olympischen Finale Russland. 3,19 Millionen Deutsche hatten sich an einem Sonntag morgens um fünf aus dem Bett gequält, um mitzuerleben, wie ihre Kufenstars in Pyeongchang/Südkorea so gut abschnitten wie nie zuvor.

Nicht einmal der kleine Schönheitsfehler der Veranstaltung vermochte die Sensation zu schmälern. Wieder einmal hatte nämlich die beste Eishockey-Profiliga der Welt, die nordamerikanische NHL, sich geweigert, ihren Spielbetrieb während Olympia zu unterbrechen. Vertraglich dort verpflichtet, mussten die besten Spieler der Welt drum in Südkorea auf die Medaillenjagd verzichten. Die Botschaft: Im Zeitalter des kommer­ziellen Profisports stößt Olympia an klare Grenzen.

Die kleine Episode komplettiert längst das große Bild: Immer seltener gelingt es dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), Ideale zu leben in Zeiten institutionalisierter Korruption, staatlich koordinierten Massendopings und wirtschaftlich motivierter Wettkampftriumphe. Olympisch mag das alle zwei Jahre über Winter und Sommer durchgeführte Massensportspektakel noch sein. Aber selbst die geschliffene Rhetorik professioneller Menschenfänger vermag nicht mehr zu kaschieren, dass die Spiele ihrer ­Leichtigkeit beraubt sind.

Im Würgegriff der Weltpolitik

Das Komitee müht sich, das als medialen Wahrnehmungsirrtum zu verkaufen. „Die veröffentlichte Meinung stimmt nicht immer mit der öffentlichen Meinung überein. Die Kommunikation über Olympia in den sozialen Netzwerken etwa ist überwältigend positiv“, sagt Christian Klaue, bis nach den Spielen von Pyeongchang deutscher IOC-Sprecher. „Die Welt ändert sich: Wir polarisieren heute in unserem Leben mehr als früher. Und kritische Blickwinkel finden mehr Unterstützung.“

Zuerst hat die komplizierte Weltpolitik die Spiele in den Würgegriff genommen. Kaum eine Olympiaausgabe nach dem Zweiten Weltkrieg konnte in optimaler Besetzung über die Bühne gehen, weil Regierungen ihre Sportverbände in Geiselhaft nahmen. Die russische Intervention im Ungarn-Aufstand, der Umgang mit Südafrikas Apartheid-Regime oder mit Taiwan, der russische Einmarsch in Afghanistan samt Gegenboykott vier Jahre später degradierten Olympia zu einer Art Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln. Der spanische IOC-Präsident Juan Antonio ­Samaranch forcierte nach 1984 das große Geldverdienen. Fortan nahm die Gier die Spiele gefangen. Bei der Bewerbung Salt Lake Citys für die Winterspiele 2002 ließ sich das ungenierte Abkassieren der Funktionäre nicht mehr kaschieren. Ein gutes Dutzend Mitglieder wurde infolge des Schmiergeldskandals sanktioniert.

Vertrauen in intakte Ethik? Nun ja …

Seither haben die Mentalitäten sich nicht gebessert. Höchstens die Methoden. In Brasilien wurde der Organisationschef von Rio 2016, Carlos Nuzman, wegen Korruption in Haft genommen, ebenso wie eines der einflussreichsten Mitglieder, der Ire Patrick Hickey, wegen des Schwarzhandels mit Eintrittskarten. In Frankreich wartet der frühere IOC-Mann und Weltleichtathletik-Verbandsboss Lamine Diack aus dem Senegal auf seinen Korruptionsprozess. Und dass das notorisch bestechungsumwitterte Unternehmen Samsung als IOC-Großsponsor die Spiele ins auf Nachhaltigkeit pfeifende Pyeongchang lotste, stärkt das Vertrauen in intakte Ethik auch nicht gerade.

Damit die Geschäfte nur ja weiterlaufen wie geschmiert, legt das IOC in Krisen unfreiwillig sein wahres Ich offen: Wie eine Automobilfirma, die jahrelang ihre Kunden mit gefälschten Angaben über den Tisch gezogen hat, zieht es alle Register der PR eines multinationalen Unternehmens. Im Korruptions­skandal vor 2002 quartierte es die wenig zimperlichen Krisen-PR-Gurus von Hill & Knowlton sogar dauerhaft in der Zentrale in Lausanne ein. Keine Veranstaltung, keine Auftritte, über die Hill & Knowlton-Mann Michael Kontos nicht mit Argusaugen wachte.

 Parallel musste der Agenturriese TBWAChiat Day alles geben, um dem heftig ramponierten Image mit einer emotionalen Kampagne eilige Notfallkosmetik angedeihen zu lassen. Der Schauspieler Robin ­Williams sprach sechs Fernsehspots zum Slogan „Celebrate Humanity“ – für weniger macht das IOC es nicht.

Politur der Marke Olympia

Heerscharen von PR-Leuten und Agenturen kämpfen für immer neue Rekorde. In der vergangenen Olympiade bis 2016 sahnten die Herren der Ringe 5,7 Milliarden US-Dollar ab, etwa zehn Prozent mehr als zuvor. Gut 50 Mitarbeiter allein im IOC-Hauptquartier in Lausanne mühen sich in Medienarbeit und PR um die Politur der Marke. Sie sorgen etwa dafür, dass an den Presse­aussendungen immer ein kleiner Wortschwanz in kursiver Schrift hängt, der bei allen Fehlentwicklungen den Eindruck völliger Selbstlosigkeit erwecken soll: Das IOC sei nicht profitorientiert, 90 Prozent seiner Einnahmen verteile es an den Sport weltweit, täglich etwa 3,4 Millionen Dollar.

„Das wird sonst nicht wahrgenommen“, sagt der neulich erst zum Deutschen Olympischen Sportbund zurückgekehrte Sprecher Klaue. „Niemand hat die Zeit, sich zwei Stunden mit den 150 Seiten des Geschäftsberichts zu beschäftigen. Also müssen wir das reduzieren auf wenige klare Kernbotschaften. Das kostet Kraft, das kostet Zeit, das kostet Geld.“

Eine „perverse Marketingidee“

In Sotschi schaffte 2014 eine Marketing­agentur den größtanzunehmenden Coup: Sie sorgte dafür, dass in Tonga einst ein gewisser Fuahea Semi fürs Rodeln gecastet und ausgebildet wurde. Und dafür, dass er sich offiziell − mit Pass und allem Pipapo − umtaufen ließ, um beim Start in Russland schließlich optimale, vom IOC unverhinderbare Werbewirkung zu erzielen: Als er sich wacker als Bruno Banani − zufälligerweise auch der Name eines Unterwäscheherstellers − den Eiskanal hinunterstürzte, empfand IOC-Boss Thomas Bach das als „perverse Marketingidee“.

Dort, wo Teilnehmer den Spielen allerdings wieder Menschlichkeit einhauchen wollten, traf sie die volle Härte des unbarmherzigen Komitees. Als beispielsweise Norwegens Langläuferinnen in Sotschi im Gedenken an den verstorbenen Bruder einer Kollegin mit Trauerflor antraten, kassierten sie eine Rüge.
Nun ist die Not groß. In Demokratien lassen sich immer weniger Menschen davon überzeugen, Olympische Spiele auszurichten. Gleich dreimal in Folge muss die Bühne daher in Asien aufgestellt werden, weil für 2022 nach Pyeongchang und Tokio keine ordentlichen Kandidatenstädte mehr freiwillig antraten. Sondern lediglich Peking in China und Almaty in Kasachstan.

In seiner Panik schickt das IOC inzwischen Experten zur Kandidaturberatung in interessierte Städte. In Calgary, Sapporo, Sion und Stockholm sind sie für 2026 schon gewesen – wie eine olympische Drückerkolonne.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPIELEN. Das Heft können Sie hier bestellen.

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