Menschen sind Augentiere

Barack Obama oder Mitt Romney. Für wen hätten Sie sich entschieden? Viele hätten wohl für Obama gestimmt. Aber: Was hat der Präsident tatsächlich gesagt, so dass wir ihm voller Vertrauen das mächtigste Amt der Welt gönnen? Wenn wir ehrlich sind, wissen wir es nicht genau. Wir kennen zwar Wahlversprechen wie die Gesundheitsreform und die Schließung von Guantanamo, aber mehr ist den meisten nicht bekannt. Auch wenn Obama nicht alle Versprechen in seiner ersten Legislaturperiode gehalten hat, böse sind wir deshalb nicht. Denn wir haben uns schon vorher entschieden: Obama ist uns sympathisch. Wir haben ihn positiv im Gehirn abgespeichert und lassen deshalb Gegenteiliges nur sehr schwer zu. Wir sehen eine Person, nehmen deren Signale wahr und treffen blitzschnell eine Entscheidung: Wirkt dieser Mensch eher gefährlich oder trägt er zu meiner Sicherheit bei? Anders gesagt, fühle ich mich von ihm verstanden?

Diese Entscheidung wird extrem schnell getroffen. Wir erblicken eine Person, und schon nach 250 Millisekunden haben wir ein Urteil gefällt. Ab diesem Zeitpunkt sind wir bereit, abzuwehren oder offen zu sein. Das passiert vor-bewusst – noch bevor wir es bewusst überhaupt erklären können. Die Erklärung liefert unser Bewusstsein aber immer nach. Indem es von nun an bevorzugt jene Aussagen aufnimmt, die in die erstgetroffene Entscheidung passen. Deswegen fällt es Obama-Sympathisanten schwer, sich an negative Aussagen von ihm zu erinnern. Das heißt: Bevor es uns bewusst ist, haben wir eine Entscheidung getroffen. Und diese bestimmt, wie wir die Inhalte der Worte dieser Person wahrnehmen. Konrad Adenauer drückte es so aus:  „Meine Meinung steht fest. Irritieren Sie mich nicht durch Tatsachen!“ Bevor Sie also mit Ihren Worten punkten können, muss zunächst einmal Ihre Erscheinung überzeugen. Das Gegenüber sollte Sie schon positiv einordnen, bevor Sie anfangen zu reden. Frei nach Niccolò Machiavelli: „Bevor Sie gut sind, müssen Sie gut erscheinen.“ Wie kommen wir nun zu dieser ersten Grundsatzentscheidung?
 
Augen liefern Gehirn die meisten Daten
Dafür braucht unser Hirn Informationen. Diese bekommt es über die fünf Sinnesorgane: Augen, Haut, Ohren, Nase und Mund. Pausenlos werden über diese Kanäle Daten geliefert. Dabei ist die Datenmenge höchst ungleichmäßig auf diese Organe verteilt. Das heißt, nicht jeder Kanal liefert die gleiche Menge an Informationen. Über welches der Sinnesorgane gelangt die größte Informationsmenge ins Gehirn? Es sind die Augen. Pro Sekunde sind es circa 10.000.000 Bits. Das entspricht ungefähr einem Datenvolumen von 10.000 Buchseiten. Diese Menge beinhaltet das bewusst und das unbewusst Gesehene, wobei die unbewussten visuellen Eindrücke den weitaus größeren Teil ausmachen.

Das zweitauf­nahme­fähigste Organ ist die Haut. Die Datenmenge, die die Rezeptoren der Haut ans Hirn weiterleiten, liegt bei rund 1.000.000 Bits. Also nur ein Zehntel der Informationen, die über die Augen ankommen. Die Ohr­en kommen erst an dritter Stelle, mit bescheidenen 100.000 Bits. Ähnlich aufnahmefähig ist übrigens die Nase. Um es zu verdeutlichen: Der Inhalt Ihrer Worte ist dem Hirn ähnlich wichtig wie das Deo, das Sie benutzen.
Wir sind also tatsächlich „Augentiere“. Die unglaublich große Datenmenge, die wir visuell aufnehmen, trägt den größten Anteil dazu bei, wie wir unsere Umwelt einschätzen. Und auf die Augen wirkt nun mal die Körpersprache. Die erste Einschätzung ba­siert zum größten Teil auf visuellen Informationen. Daraus folgt eines der wichtigsten Prinzipien der Körpersprache: Territorialverhalten. Das Erste, was Menschen von einem anderen Lebewesen erblicken, ist die Silhouette. Das war für die Urmenschen wichtig. Denn vor einem Säbelzahntiger wegzulaufen war wichtiger als vor einem Marienkäfer. Je größer ein Lebewesen ist, desto mehr Bedrohung geht potenziell von ihm aus. Jetzt werden Sie sagen: „Ein Skorpion kann auch gefährlich sein.“ Stimmt, aber bis sie den gesehen haben, ist die Elefantenherde schon über Sie drübergelaufen.

Beim Menschen ist das ähnlich: Große Menschen können im ersten Moment bedrohlicher wirken. Aber Sie vermitteln im ersten Augenblick auch mehr Kompetenz und Sicherheit. Kann es Zufall sein, dass der weitaus größte Teil aller amerikanischen Präsidenten größer war als der na­tionale Durchschnitt? Frauen suchen weltweit bevorzugt Männer, die größer sind als sie selbst. Größe verspricht eben Kraft und Sicherheit. Wenn ein Säbelzahntiger daherläuft, erhoffen Sie sich von Vitali Klitschko einfach mehr Hilfe als von dem 1,54 Meter großen Sänger Prince. Nun können Menschen an ihrer Größe nicht viel ändern. Aber wir können den Raum definieren, den wir einnehmen. Je mehr Raum wir einnehmen, desto höher ist die Aufmerksamkeit, die wir bekommen. An zwei Extremen kann man das gut erkennen.

Ein sehr breitbeiniger Stand vermittelt allen anderen Anwesenden: „Ich nehme mehr Raum ein, als mir zusteht.“ Das ruft in den allermeisten Fällen sofort negative Gefühle hervor. Zudem muss man wissen, dass Menschen immer dann breitbeinig stehen, wenn sie drohen umzufallen. Zum Beispiel auf einem Boot bei Wellengang oder in einem wackligen Bus. Auch bei drohenden Angriffen stellen wir uns breitbeinig auf. So gibt es Berufsgruppen, die das bevorzugt machen, zum Beispiel Polizisten und Türsteher.  Wenn ein Mensch nun häufig in seinem Leben „um seinen Stand kämpfen muss“, kann es sein, dass diese Haltung zu seiner bevorzugten wird. Wenn jemand also sehr breitbeinig dasteht, vermittelt das immer auch, dass diese Person im Moment um den eigenen Stand kämpfen muss. In vielen Situationen, in denen es darum geht, Menschen für sich zu gewinnen, ist das eine nachteilige Haltung.

Das Gegenteil ist der Fall bei sehr engem Stand. Beine und Schuhspitzen eng beieinander zeigt an, dass sich diese Person nicht traut, Raum in Anspruch zu nehmen. Damit kann man vielleicht sympathisch rüberkommen, weil nicht gefährlich, aber Kompetenz und Sicherheit werden so nicht ausgestrahlt. Kein Stand ist also per se gut oder schlecht. Die zentrale Frage ist immer: Was will ich kommunizieren?  Halten Sie eine Pressekonferenz ab oder führen Sie ein Interview, sollten Sie daher versuchen, zwei Dinge zu vermitteln: Ich bin standfest und nehme gleichzeitig niemandem etwas weg. In den oben genannten Situationen wäre ein hüftbreiter Stand mit leicht  (!) nach außen gewendeten Fußspitzen eine gute Position.

Begeisterung ausstrahlen
Wenn ein Unternehmen tolle Ergebniszahlen präsentiert oder eine Firma ein Wahnsinnsprodukt auf den Markt bringt, ist es wichtig, Journalisten und Kunden zu überzeugen. Der Sender der Botschaft muss Begeisterung ausstrahlen, um Begeisterung zu ernten. Denken Sie an den Spruch des Heiligen Augustinus: „Wer nicht brennt, kann nicht entzünden.“

Das heißt nicht, dass Sie auf dem Tisch tanzen müssen. Aktivität sollten Sie aber schon signalisieren. Wichtig sind dabei die Hände. Je höher die Hände, desto mehr Aktivität strahlen Sie aus. Die Bandbreite reicht von herunterhängenden (Inaktivität) bis hoch über dem Kopf fuchtelnden Händen (übertriebene Aktivität = Hysterie). Wenn ein Fernsehmoderator etwas Weltbewegendes präsentiert, dabei aber seine Hände teilnahmslos an den Seiten hängen lässt, glauben wir seinen Worten weniger, als wenn er seine Hände etwas höher hält – ungefähr auf Gürtelhöhe. Achtung: Die Hände weiter oben (Brusthöhe) vermittelt  ein Schutzbedürfnis. Be­obachten Sie gute TV-Moderatoren – meist haben sie eine oder sogar beide Hände im „aktiven Bereich“.

Der zweite  Körperteil, der Aktivität versprechen sollte, sind die Augen. Achten Sie darauf, Ihre Augen, Augenbrauen und Stirn bei wichtigen Punkten Ihrer Rede oder Ihres Vortrags riesengroß zu öffnen. Mit dieser Offenheit öffnen Sie auch andere Menschen. Halten Sie die Hände im aktiven Bereich und setzen Sie Ihre Augen bewusst ein. Sie versprechen mehr Aktivität und wirken begeisternder.

Sichtbarkeit von Augen, Mund und Händen
Die Augen sollten nicht nur riesengroß, sondern, wie die Hände, auch „sichtbar“ sein. Das Hirn Ihres Gesprächspartners verlangt das. Das liegt daran, dass nicht alle Körperteile in unserem Gehirn gleich „prominent“ repräsentiert sind. Manche Körperteile aktivieren im motorischen und sensorischen Kortex ein größeres raumzeitliches Erregungsmuster als andere. Prinzipiell gilt: Je besser wir einen Körperteil bewegen können und je sensibler wir mit ihm umgehen, desto mehr ist er im Hirn präsent. Augen, Mundbereich und Hände sind besonders gut abgebildet. Für die Kommunikation gilt deswegen: Wir suchen diese Körperteile unbewusst auch bei unserem Gegenüber. Ein Beispiel: Ihr Gegenüber trägt eine Sonnenbrille. Wie wirkt diese Person auf Sie? Sie werden den Blick in die Augen missen, denn daraus zieht das Gehirn wichtige Informationen, um diese Person einzuschätzen. Achten Sie also darauf: Auch wenn breite Bügel bei Brillen im Allgemeinen hip sein mögen, von zu vielen Blickwinkeln kann man die Augen nicht sehen. Gönnen Sie Ihrem Gesprächspartner den Blick auf Stirn und Augen.

Die Mundpartie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Lippen sollten unbedingt sichtbar sein. Der freie Blick auf die Lippen erhöht die Verständlichkeit der Worte. Schließlich lesen wir viele Worte von den Lippen ab und unsere Augen wandern im Gespräch permanent zwischen Mund und Augen unseres Gegenübers hin und her. Halten Sie also die Hand beim Sprechen nicht vor den Mund. Auch bei Präsentationen im Sitzen sollten Sie aufpassen, dass der Laptop nicht das Gesicht verdeckt. Das Zuhören wird so unnötig erschwert. Achten Sie deshalb auf Sichtbarkeit von Augen, Mund und Händen. Sie wirken damit offener und vertrauenswürdiger.

Wann wir uns abwenden
Wollen Sie wissen, ob Ihr Gegenüber an Ihren Ausführungen interessiert ist? Achten Sie auf dessen Sinnesorgane. Wie eingangs erwähnt, hat unser Hirn fünf Zugangskanäle. An diesen Organen lässt sich ablesen, wie aufmerksam das Gegenüber ist. Ein Beispiel: Kinder schauen einen Film oft mit großen Augen und offenem Mund an. Sie sind ganz begeistert und wollen viele Informationen aufnehmen. Wenn der Bösewicht die Szene betritt, verdecken sie Mund und Augen blitzschnell. Ein Mehr an Informationen ist in diesem Moment nicht erwünscht. Auch Ohren und Nase wenden wir in unangenehmen Situationen ab. Diese Organe sind zwar nicht sehr beweglich. Aber wir können den Kopf wegdrehen oder halten uns die Ohren zu. Sogar die Haut kann Aufschluss über Interesse oder Desinteresse liefern. So verdecken wir bei einem Gefühl des Unbehagens sensible Hautpartien, zum Beispiel die Arm-Innenseiten oder den Hals. Wir drehen dann jene Hautareale nach außen, die unempfindlicher sind.

Bevor Sie jetzt jedoch in Ihrer Umgebung jede Geste tiefenpsychologisch analysieren: Körpersprache muss immer als Gesamtheit gesehen werden. Verschränkte Arme können natürlich ein Signal der Zurückhaltung sein. Es kann aber auch einfach bedeuten, dass das Gegenüber friert oder einen Fleck verstecken will. Um Körpersprache richtig zu deuten, müssen mindestens drei Signale in die gleiche Richtung deuten. 

Illustration: Stefan Verra

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.

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