Lust machen auf neue Technologien

PR für Flugautos, KI und Co.

Winston Smith ist eine Legende: Fast jeder kennt ihn. Kaum einer erinnert sich an ihn. Dabei hat er bis heute großen Einfluss darauf, wie wir über Zukunft diskutieren. Smith ist Hauptprotagonist von „1984“, dem Science-Fiction-Klassiker von George Orwell. Der Roman zeichnet das düstere Bild eines Überwachungsstaats, das oft auftaucht, wenn es um den potenziellen Missbrauch von Technik geht. Im US-Wahlkampf warnte Bernie Sanders davor, dass die Gesichtserkennung ermögliche, was Winston Smith erlitt: totale Kontrolle durch Technik. Und die EU-Kommission will zumindest zum Teil verhindern, dass die Dystopie Wirklichkeit wird, indem sie der Gesichtserkennung Grenzen setzt.

Wenn es um die Zukunft von Technologien geht, gibt es in der Regel schon einen Science-Fiction-Film oder -Roman, der diese Zukunft skizziert. Das wirkt sich auch auf die Kommunikation von Neuem aus, insbesondere bei künstlicher Intelligenz (KI). Science-Fiction-Geschichten über KI enden für Menschen oft schlecht: Entwickelt, um ihnen zu helfen, übertrumpfen oder eliminieren die Supercomputer am Ende ihre Schöpfer, wie HAL in Stanley Kubricks Weltraum-Odyssee. Für Unternehmen, die mit KI arbeiten, ist das eine Herausforderung: Während sie erklären, was sie machen, ist die Angst vor dem Neuen schon da. „Bei künstlicher Intelligenz gilt es noch mehr als bei anderen Technologien, ein grundsätzliches Vertrauen herzustellen“, sagt Jörg Kirchhoff, Leiter Strategie in der Konzernkommunikation von Bosch. Die Science-Fiction-Narrative will Bosch mit positiven Geschichten kontern, mit Fakten und einer Kommunikationsoffensive für KI.

Der Konzern hat angekündigt, innerhalb der nächsten fünf Jahre alle eigenen Produkte mit KI ausstatten oder produzieren zu wollen. Bosch will „das führende AIoT-Unternehmen“ sein, das „Artificial Intelligence“ und „Internet of Things“ zusammenbringt. „Das wird uns nur gelingen, wenn wir das Vertrauen in die Technologien herstellen und deutlich machen: Die letzte Entscheidung bleibt immer beim Menschen.“ Künstliche Intelligenz soll dem Menschen dienen, und nicht umgekehrt.

Vertrauen in künstliche Intelligenz herstellen

Garantieren soll das ein „KI-Kodex“, der der Technik ethische Grenzen setzt und sie kontrollierbar macht. Dass dennoch so viel Misstrauen mitschwingt, wenn es um KI geht, liegt auch daran, dass schwer zu verstehen ist, was KI ist: Der Begriff steht für alles und nichts. Bosch will es konkretisieren und verwendet die Formulierung „industrielle KI“, vor allem wenn es um die Produktion geht. Das deckt sich mit den Ergebnissen des „KI-Zukunftskompasses“, für den Bosch Menschen in Deutschland zu ihren Einstellungen befragt hat. 60 Prozent befürworten demnach den vermehrten Einsatz von KI in der Produktion, um etwa Fehler zu vermeiden und Qualität zu kontrollieren. Bei Themen wie Gesundheit und Personalentscheidungen ist das Vertrauen dagegen gering.

Zudem wird die Technik besser bewertet, je größer das Vorwissen ist: 81 Prozent derer, die sich als technologieaffin einschätzen, bewerten KI als grundsätzlich positiv. In der Gruppe mit geringem Vorwissen sind es nur 27 Prozent. „Wir wollen uns der Debatte nicht verschließen, sondern sie im Gegenteil anstoßen“, sagt Kirchhoff. Dazu gehören auch kritische Fragen wie Datenschutz und ethische Grenzen, damit eben nicht am Ende die Technik die Weltherrschaft gewinnt.

Um den Kampf Mensch gegen Maschine nicht erst anklingen zu lassen, empfehlen Organisationen wie AlgorithmWatch, den Begriff „Intelligenz“ zu vermeiden, der etwas originär Menschliches sei. Dass die Akzeptanz für Technik sinkt, wenn sie zu menschlich wirkt, ist in der Robotik als „Uncanny Valley“ bekannt: Roboter und Avatare verlieren an Zustimmung, wenn sie Lebewesen zu ähnlich sind. Das gilt auch für die Roboterhunde des Herstellers Boston Dynamics, die über den Boden kriechen, als seien sie beseelt – wahrhaft „gruselig“. Das mögen gute Bilder für Science-Fiction sein, aber nicht um zu zeigen, was das Ziel solcher Innovation ist: ein Instrument zu schaffen, das Menschen hilft.

Flugautos in der Luft

Wie sich Technik von Fiktion unterscheidet, kann man auch bei Flugtaxis sehen. Im Film „Das fünfte Element“ schweben die Flugautos quer durch die Luft. Der Himmel ist voll von Karosserien. Wer sich die Entwicklungen anschaut, erlebt ein anderes Bild: Daimler, Porsche, Airbus und andere Unternehmen investieren in Objekte, die aussehen wie Helikopter.

Das Start-up Volocopter aus Baden-Württemberg gehört zu den Marktführern. Es baut seit 2011 elektrische Senkrechtstarter, die als Taxis zum Einsatz kommen sollen. Es gehe nicht darum, etwas anzubieten, was Leute besitzen und was in Massen durch die Luft schwebt, sagt Volocopter-Sprecherin Helena Treeck. „Es geht um einen Service, der den Verkehr an Knotenpunkten entlasten soll. Wir ergänzen, wollen das Existierende nicht ersetzen.“

Genau darum können Vergleiche mit dem „fünften Element“ so irritieren: Im Film steht alles kopf, was wir kennen. Wenn Volocopter davon spricht, „Pionier“ zu sein und „urbane Mobilität zu revolutionieren“, zielt das laut Treeck eher auf potenzielle Partner, die Luftfahrtbranche und neue Talente. Umbrüche können die Öffentlichkeit verunsichern. „Unsere Herausforderung ist es, alle Zielgruppen zusammenzubringen. Und das, bevor wir ein erlebbares Produkt am Markt haben“, so Treeck.

Wie wenig die Allgemeinheit von dem mitbekommt, was sich in der Branche tut, zeigt der Spott, den Staatsministerin Dorothee Bär erntete, als sie sagte, nicht der Breitbandausbau sei das wichtigste Zukunftsthema für Deutschland, sondern die Flugtaxis. Für Treeck war die Debatte „die Chance, aufzuklären und zu zeigen, dass es kein Science-Fiction-Thema ist, sondern dass wir sehr konkret und in Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden mitten in Deutschland an dieser bahnbrechenden Technologie arbeiten“.

Das wichtigste Argument ist die Sicherheit. Der „Pionier“ muss beweisen, dass er nicht vom Himmel fällt und zum Risiko für Menschen in Städten wird. Für die Kommunikation ist es das Eindrucksvollste, Flugtaxis fliegen zu sehen. Studien haben gezeigt, dass dadurch die Akzeptanz deutlich steigt. Doch Corona-bedingt liegen Events auf Eis. Einige Pressefotos bedienen sich der Montage, andere wirken montiert. Der Anblick sei ungewohnt, sagt Treeck. Auch sie hatte anfangs ihren Augen nicht getraut. Das soll sich ändern: „Wir wollen, dass Menschen sich an die Bilder gewöhnen, und wollen zeigen, dass Flugtaxis bereits Wirklichkeit sind und keine Fiktion.“

5G als Ursprung des Aluhuts

Es mit eigenen Augen sehen: Bei manchen Entwicklungen ist das nicht möglich. Zum Beispiel bei der Mobilfunkgeneration 5G. Die Angst vor den Strahlen hat zu abstrusen Theorien geführt. Die Corona-Pandemie sei zum Beispiel nur entstanden, weil 5G das Immunsystem schwäche, obwohl es vielerorts keines gab. In einem Interview zeigt sich der Geschäftsführer von Telefónica Deutschland besorgt darüber, wie faktenfrei über die Technik gesprochen werde. Um die Debatte zu versachlichen, finanzieren alle Netzbetreiber gemeinsam das „Informationszentrum Mobilfunk“. Seit 2001, zum Start von 3G, bündelt es Informationen. Fragen zu Technik, Gesundheit und Umwelt beträfen alle gleich, sagt Margarete Steinhart, die die Plattform redaktionell betreut.

Dass Fragen zur Gesundheit aufkommen, war schon bei der Erfindung der Eisenbahn so. Ein Gutachten sagte damals voraus, die neue Geschwindigkeit schade dem Gehirn. Das „Delirium furiosum“ sei möglich. Bewahrheitet hat sich das nicht. „Immer wenn der Nutzen einer neuen Technologie nicht sofort erkennbar ist, muss man ihn erklären“, sagt Steinhart. Sobald klar sei, was die Innovation bringt, lege sich die Kritik. Die Plattform beschreibt den Nutzen – zum Beispiel auch für Feuerwehren und Rettungsdienste: „Wir wollen zeigen, dass die Anwendung nicht nur für die Industrie relevant ist, sondern dass die ganze Gesellschaft davon profitiert.“

Städten, Gemeinden, Politik und Arztpraxen stellt das Informationszentrum Fakten und Argumente zur Verfügung. „Fundierte und nachprüfbare Informationen für den Diskurs“, wie Steinhart es nennt. Nur dass das Informationszentrum inzwischen die Fakten erklären muss, wie zum Beispiel Grenzwerte entstehen, weil auch WHO und Bundesbehörden in der Kritik stehen. Steinhart erklärt. Ein eigenes Dialogangebot findet sich nicht: „Manche Menschen, die sich schon eine Meinung gebildet haben, haben kein Interesse mehr an einem Dialog“, so Steinhart.

Wie schnell der Protest die Debatte bestimmen kann, zeigt sich bei der Kampagne „Deutschland spricht über 5G“. Die Bundesregierung will mit ihrer Plattform aufklären. Doch in der Diskussion finden sich jede Menge Verschwörungstheorien und Hinweise, dass der Regierung nicht zu trauen sei. Die Kritik ist laut. Die Verschwörungstheorien sind simpel. Die einfache Erklärung bleibt so eine Domäne der Fiktion.

Wahn oder Wirklichkeit: Grenzen verschwimmen, wenn es um neue Technologien geht. Vieles, was einst im Fiktiven stand, ist heute Wirklichkeit. Auch das Symbol der Verschwörungstheorie hat seinen Ursprung in der Science-Fiction: Julian Huxley, Biologe und Bruder von Aldous Huxley („Brave New World“), erfand 1926 den Aluhut. In seiner Kurzgeschichte „The Tissue-Culture King“ gerät ein britischer Forschungsreisender in ein afrikanisches Land, dessen König mit Genen experimentiert und die Telepathie entdeckt, mit der er sein Volk kontrolliert. Um der Kontrolle zu entkommen, baut sich der Forschungsreisende einen Aluhut. Im Ursprung ist er ein Mittel, um Menschen vor Missbrauch zu schützen, wenn technischer Fortschritt nicht für, sondern gegen sie eingesetzt wird – eine Urangst, der sich Zukunftskommunikation noch heute stellen muss.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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