Herr Wehrle, in Ihrem Vortrag haben Sie von Kommunikatoren mehr Mut zur Ehrlichkeit gefordert. Mut, Dinge auszusprechen, die für das Unternehmen, für den Sprecher selbst und für andere unbequem sind. Wir alle erinnern uns an den Fall des ehemaligen BER-Sprechers Daniel Abbou, der in einem Interview Wahrheiten unverblümt ausgesprochen hat. Er musste allerdings anschließend seinen Posten räumen …
Martin Wehrle: Interne und externe Kommunikation sollte man hier unterscheiden. Als Pressesprecher darf ich nicht einfach etwas nach außen verkünden, das vom Management nicht geteilt wird. Stattdessen sollte ich aber die Chance nutzen, intern zu erklären, welche Folgen eine bestimmte Art der Kommunikation haben würde. Der Flughafensprecher hätte dem Management beispielsweise vor Augen führen können, dass die Kommunikation immer neuer Eröffnungstermine problematisch ist, weil es ständig erneut Ärger mit den Medien geben und sich das Image weiter verschlechtern würde. Er hätte sagen können: „Ich schlage vor, dass wir uns in einer lockeren Form dazu äußern, um zu zeigen, dass wir uns der Probleme bewusst sind und dass wir niemandem etwas vormachen.“ Vielleicht hätte er für manche Aussagen auf diese Weise sogar grünes Licht bekommen. So hat er allerdings Hierarchien verletzt und nicht im Sinne der Sache gehandelt.
Was, wenn ich als Sprecher der Unternehmensführung gegenüber wertschätzend und loyal auftrete und meine Kritik und Vorschläge in der von Ihnen gerade beschriebenen Form teile – und dennoch immer wieder nur als „Sprachrohr“ abgestempelt werde? Muss ich dann den Job wechseln?
Ich würde in dieser Situation noch einen letzten Versuch wagen und der Geschäftsführung das Verhalten spiegeln. Zum Beispiel so: „Ich kann meine Rolle in zwei Weisen ausführen: In einer fühle ich mich wohl, in der anderen unwohl. Unwohl fühle ich mich, wenn ich passives Sprachrohr bin, wenn meine Ratschläge als Kommunikationsprofi nicht berücksichtigt werden. Die bessere Möglichkeit ist die loyale Variante, in der ich Ihnen ein Feedback gebe, bevor Sie das Feedback von außen bekommen. Mein Feedback mag in der Sekunde vielleicht etwas wehtun, aber das Feedback von außen richtet wirklichen Schaden an.“ Wenn auch ein solcher Versuch nichts nützt, muss ich Konsequenzen ziehen. Denn wer dauerhaft gegen die eigenen Werte arbeitet, verliert Identität und Motivation.
Gibt es in deutschen Unternehmen eine kommunikative Duckmäuserkultur?
Ja, das würde ich so unterschreiben. Es ist leider so, dass beim Topmanagement oft gar nicht mehr ankommt, wie die Wirklichkeit im Unternehmen aussieht. Nehmen wir die Abgasaffäre bei VW, da hat neulich erst ein Insider ausgepackt, die unteren Ebenen haben das Problem frühzeitig erkannt. Es wurde nach oben kommuniziert – aber dort wollte niemand etwas davon wissen. Das hat auch mit dem Druck der Börse zu tun, der Sucht danach, Gewinne zu steigern, und damit, dass Manager oft mehr anhand von Quartalszahlen beurteilt werden als an der Nachhaltigkeit ihrer Entscheidungen.
Thema Führung: Kann ich meine Mitarbeiter zu ehrlicher Kommunikation ermutigen?
Da gibt es ein einfaches Mittel: Statt zu predigen, sollte ich handeln. Wenn Sie ein Umfeld haben, in dem die Duckmäuser, die immer mit dem Kopf nicken und eine Schleimspur hinterlassen, befördert werden und Gehaltserhöhungen bekommen, dann können Sie in die Unternehmensgrundsätze schreiben, „wir wünschen uns kritische Mitarbeiter“ – die werden Sie nicht bekommen. Wenn Sie aber kritischen Kollegen den Aufstieg ermöglichen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen, ermutigen Sie damit auch alle anderen. Sie müssen diese Art der Kommunikation vorleben. Ist das der Fall, werden Sie aus den Ecken, in denen zuvor Stille herrschte, plötzlich Stimmen hören – von Menschen, die dicht am Kunden dran sind, die sehen, wie es auf den Baustellen läuft, von Pressesprechern, die wissen, wie Kommunikation funktioniert. Sie alle werden der Unternehmensführung vernünftige Impulse geben. Das kostet nichts und ist viel mehr wert, als einen externen Berater zu konsultieren.
In Ihrem Vortrag sind Sie auf das Thema Employer Branding und die Aufmachung von Stellenausschreibungen eingegangen. Sie haben kritisiert, dass selbst für die tristeste Position „Leidenschaft“ und Co. gefordert werden und der Arbeitgeber sich in den schillerndsten Farben präsentiert. Viele Unternehmen fühlen sich unter Zugzwang, Fachkräfte in dieser euphorischen Form zu adressieren. Ihr Rat?
Ich würde es im Unternehmen sogar zum Alleinstellungsmerkmal machen, dass ich in den Stellenausschreibungen ehrlich bin. Wer transportiert: „In unseren Inseraten lesen Sie nicht nur, was toll an unserer Arbeitgebermarke und den Jobs bei uns ist, sondern Sie erfahren auch, was die Herausforderungen sind. Vielleicht kommen Sie dann nicht zu uns. Wenn Sie sich aber darauf einlassen, haben wir diese positiven Aspekte für Sie: …“ Bewerber, die sich dann melden, werden selbst auch ehrlicher sein und ihre eigenen Schwachstellen bereitwillig zugeben. Und Sie werden, wenn sie eingestellt sind, vermutlich für längere Zeit bleiben, weil sie spüren, dass sie nicht reingelegt wurden. Andersherum habe ich den Eindruck: Je euphorischer sich Unternehmen darstellen, desto geschönter sind auch die Bewerbungen, die bei ihnen ankommen. Und all diesen geglätteten und abgeschliffenen Kommunikationsformen sind wir doch insgesamt alle überdrüssig.
Lesen Sie mehr Berichte und Interviews vom Kommunikationskongress 2018 in unserem Dossier (hier klicken).