„Im Umgang mit Expats sind Firmen oft planlos“

Auslandsentsendungen

Frau Seelmann-Holzmann, in Ihrem Buch „Cultural Intelligence“ schreiben Sie, es herrsche allgemeine Konzeptlosigkeit, wenn es um die Entsendung von Mitarbeitern nach Asien geht. Das war 2011. Hat sich etwas geändert in den vergangenen Jahren?

Hanne Seelmann-Holzmann: Die Betreuung von Entsendungen ist ein Nischenthema. Ich denke, das liegt an der sogenannten Ähnlichkeitsfalle: Wir sehen in Asien die Hochhäuser, die westliche Musik und Kleidung – und schon denken wir: „Die sind ja wie wir. Wir leben in einem globalen Dorf.“ Das ist ein teurer Fehlschluss! Ich kenne viele, die meinen, ein dreiwöchiger China-Aufenthalt bewahre sie vor einem Kulturschock. Doch der kommt sicher spätestens dann, wenn sie dann im Firmenalltag arbeiten.

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Worin sehen Sie den Grund für den Kulturschock?

Die Deutschen sind häufig sehr direkt, kritisieren ihre chinesischen Mitarbeiter offen, erbitten deren Meinung und schätzen die politische Situation nicht richtig ein. Sie kennen Chefs in Deutschland als Primus inter Pares, als gleichrangige Führungskraft, die sich in flachen Hierarchien bewegt. Sie erwarten eigenständiges Arbeiten, obwohl man das in China nicht selbstverständlich erwarten kann.

Warum nicht?

In Asien ordnet der Chef an, er kontrolliert und ist dabei gleichzeitig der fürsorgliche Papa. Diese Rolle wollen die meisten Expats, die Personalverantwortung haben, nicht einnehmen. „Ich bin doch kein Kindergärtner“, sagen sie dann empört zu mir.

Was bedeutet die Rolle „fürsorglicher Papa“ konkret?

Die Expats sollten sich für die privaten Belange ihrer Mitarbeiter interessieren und zum Beispiel auch Freizeit mit ihnen verbringen. Es ist ein patriarchales System – so wie es hierzulande der Trigema-Chef Wolfgang Grupp vorgelebt hat. Er signalisierte: „Ich bin der Papa, ich bin eine Autorität, ich weiß, was gut für die Mitarbeiter ist, ich garantiere ihre Arbeitsplätze.“ Was der Papa sagt, wird gemacht. Der Papa weiß alles.

Eine riesengroße Verantwortung. Gibt es auch Expats, die die Rolle des fürsorglichen Papas gerne einnehmen?

Auf jeden Fall. Ich habe eine Kundin, die in Schanghai „Mama“ genannt wurde, weil all die jungen Frauen und Männer jederzeit ihr Herz bei ihr ausschütten konnten. Das Unternehmen agiert dort wie eine Familie. Ihre Firma hat eine Fluktuationsrate von drei Prozent. Normal sind dort 35 Prozent.

Einerseits verstehen sich Unternehmen als eine große Familie, andererseits ist die Fluktuation derart hoch. Wie passt das zusammen?

Wenn mein Arbeitgeber, mein Papa, nicht die Rolle erfüllt, die ich erwarte, gehe ich. Chinesen kündigen nicht allein, weil sie woanders mehr verdienen, sondern oft auch aufgrund eines als „schlecht“ empfundenen Betriebsklimas. Viele deutsche Firmen erhoffen sich weniger Führungsprobleme, wenn sie die Führungspositionen im Ausland mit Einheimischen besetzen. Wenn eine westliche Firma jedoch wirklich ihre Interessen in Asien schützen möchte, empfehle ich, eine gut vorbereitete deutsche Führungskraft zu entsenden.

Warum wären Einheimische keine ideale Besetzung, wenn sie doch die Gepflogenheiten besser verstehen?

Es besteht – vor allem in China – die Gefahr, dass sich dann das Tochterunternehmen verselbstständigt. Immer wieder gibt es Fälle, in denen die westlichen Firmen ihre chinesischen Investitionen verlieren. Man kontrolliert zu wenig, da man ja alles in besten Händen glaubt. Das kann jedoch auch zu Missbrauch der Freiheit und zu persönlicher Bereicherung führen.

Wenn deutsche Führungskräfte sich in Asien an das patriarchale System gewöhnt haben, haben sie dann bei ihrer Rückkehr Probleme mit den flachen Hierarchien?

Eigentlich kaum, denn es geht in China wirklich eher um Fürsorge als um Strenge. Viel mehr weiß ich dazu leider nicht, weil die meisten Expats kündigen und wir den Kontakt zu ihnen danach verlieren.

Erfahrungsgemäß kündigen 60 Prozent zwei Jahre nach der Rückkehr.

Ja, sie kommen zurück und schauen in ratlose Gesichter: „Ach, er ist wieder da. Was machen wir denn jetzt?“, fragen sich dann Chefs und HR. Die ursprüngliche Stelle ist schließlich besetzt. Und der Rückkehrer möchte ja meistens nicht in seinen alten Job zurück. Er war im Ausland vielleicht Geschäftsführer, dann möchte er hier natürlich auch eine Führungsposition übernehmen. Firmen sind dann oft planlos.

Sie haben ein Cultural-Competence-Modell entwickelt, das genau diese Probleme lösen könnte.

Mein Modell ist eine ganz einfache Handlungsanweisung: Fundierte Vorbereitung, Begleitung und Auswertung der Erfahrungen nach der Rückkehr. Das wäre normalerweise naheliegend, doch leider wird es nicht praktiziert. Mitunter sind in den großen Unternehmen sogar Konzepte vorhanden, aber diese werden nicht umgesetzt. Oft höre ich, da müsse sich der Mitarbeiter schon selbst darum kümmern.

Was sind die dringendsten Aufgaben für Unternehmen, vor allem auch für HR und Interne Kommunikation?

Die Firmen brauchen ein Gesamtkonzept. Was passiert mit den Rückkehrern? Sagen wir ihnen offen, dass wir ihnen nichts in Aussicht stellen können? In der Anfangsphase des Aufenthalts sollte jedem Expat ein Mentor zur Seite gestellt werden. Und man sollte schon vor Ende der Entsendungszeit einen Nachfolger aufbauen. Ich würde mir wünschen, dass man das vorhandene Wissen der Expats besser nutzt. Dass man sie nach ihren wichtigsten Erfahrungen befragt. Dass man sie eventuell als Mentor für zukünftige Expats einsetzt. Es bietet sich an, Porträts der Expats in der Mitarbeiterzeitung zu veröffentlichen oder entsprechende Tipps im Intranet zur Verfügung zu stellen. Das hilft vor allem denjenigen, die kurzfristig oder nur wenige Wochen entsandt werden.

Sollen allein HR und Interne Kommunikation diese Aufgaben stemmen?

Nicht nur. Verantwortlich sind hauptsächlich Geschäftsleitung und Abteilungsleiter. Und manchmal sind Personalverantwortliche machtlos: Ich habe auch schon erlebt, dass jemand, der entsendet werden sollte, eine Auslandsvorbereitung abgelehnt hat mit der Begründung, Singapur sei bereits sehr westlich. Er scheiterte nach einem Jahr, weil er unter anderem eine völlig falsche Mitarbeiterführung praktizierte.

Wie verbreitet ist eigentlich das Phänomen „Auslandsaufenthalt light“, wenn Expats im Ausland unter sich bleiben?

Bestimmt 80 Prozent bewegen sich nicht aus ihrer internationalen Community heraus. Das hängt auch mit den internationalen Schulen zusammen, auf die die Kinder meistens gehen. Dann wohnt man dort in der Nähe. Diese Mitarbeiter kommen zurück und haben von ihrem Gastland wenig mitbekommen. Sie geben im Unternehmen Dinge weiter, die mit der landesspezifischen Realität wenig zu tun haben.

Wie kann man überhaupt einschätzen, ob der Expat richtig über die Kultur berichtet und nicht vorurteilsbelastet ist?

Das kann man nur einschätzen, wenn man Fachleute im Unternehmen hat oder einen externen Berater. Ich erlebe oft, dass man einen Auslandsaufenthalt oder die Ehe mit einem Partner aus dem Gastland als Garantie für qualifiziertes Wissen nimmt. Das ist aber überhaupt nicht selbstverständlich.

Frau Seelmann-Holzmann, gehen wir zum Abschluss unseres Gesprächs in das Jahr 1986: Sie haben damals Ihre Dissertation über Astrologie und Realitätsmuster geschrieben. Gibt es eine Verbindung zu Ihrer heutigen Arbeit?

Oh ja! Mein erster Forschungsaufenthalt nach meinem Studium war Singapur. Wir führten dort Interviews durch, und oft hörte ich zum Beispiel im Rahmen einer Entscheidungsbegründung: „And then we went to the Astrologer.“ Astrologie ist für uns Aberglaube – in Asien jedoch selbstverständlicher Bestandteil von Wissenssystemen. Wenn ein Kind geboren wird, kommt zuallererst der Familienastrologe, erstellt das Kosmogramm und gibt den Eltern Empfehlungen. Meine asiatischen Kollegen gingen mit ihren kranken Kindern immer zuerst zum Astrologen, danach zum Arzt.

Und findet das auch in der Geschäftswelt Anwendung?

Selbstverständlich, die Firmenastrologen berechnen zum Beispiel, wann Verträge abgeschlossen werden sollten, damit sie erfolgreich sind. Und wenn die Sterne nicht günstig stehen, wird der Vertrag nicht gemacht. Wenn es Verzögerungen beim Vertragsabschluss gibt und mich meine Kunden verzweifelt fragen, weshalb das so ist, sage ich oft: „Es kann am Astrologen liegen.“ Zum Beispiel schließt man in China von Mitte Juli bis Mitte August ungern Verträge ab. Dieser Zeitraum gilt als Geistermonat. In ihm kehren die Geister der verstorbenen Familienangehörigen wieder auf die Erde zurück. Es heißt, dass es Unglück bringt, während dieser Zeit Häuser oder Autos zu kaufen, zu heiraten oder zu schwimmen.

Dieses Interview erschien zuerst in einer längeren Version im Magazin Human Resources Manager.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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