Kürzlich überraschte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit der Meldung, es habe nun ein „Neuigkeitenzimmer“. Der findige Übersetzer mutmaßte sogleich: Es kann sich nur um einen Newsroom handeln. Was in vielen Unternehmen heute gang und gäbe ist, taugt in der Welt der Behörden tatsächlich noch zur echten Neuigkeit. Schließlich geht es hier nicht bloß um einen Raum, sondern um eine ganze Philosophie.
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Betritt man den BMVI-Newsroom, fühlt man sich angesichts der 14 Arbeitsplätze, der vielen Bildschirme, Kameras und Mikros sowie der umherlaufenden Menschen wie in einer Nachrichtenredaktion. Gemäß Konzept arbeiten hier Pressesprecher, Social-Media-Verantwortliche, Web-Redakteure sowie Video und Grafikproduktion eng zusammen. Medienhäuser leben dies seit Jahren vor. Derzeit kopieren es gleich mehrere Behörden. Warum?
Kommunikationswege intern hinterfragen
„Bürgerinnen und Bürger schalten sich selbstbewusst in die Kommunikation mit ein und erwarten schnellen und digitalen Dialog“, sagt Wolfgang Ainetter. Aus Sicht des früheren Journalisten und heutigen Sprechers von Minister Andreas Scheuer (CSU) und Leiters Presse und Kommunikation im BMVI folgt daraus: Informationen an Journalisten und an „Fans und Follower“ sollten heute Hand in Hand gehen und enger verzahnt werden.
„Alle Kanäle müssen zusammen gedacht werden. Man beantwortet einem Journalisten eine Frage und merkt: Oh, da steckt noch eine weitere Geschichte drin. Die können wir bebildern oder ein Video drehen und einen eigenen Beitrag machen. Im ‚Neuigkeitenzimmer‘“, sagt Ainetter, „entstehen Synergien.“
Ingo Strater, Ministeriumssprecher im BMVI, ist überzeugt: „Die Medienlandschaft hat sich radikal verändert – deshalb muss sich auch die Behördenkommunikation radikal verändern.“ Sich über digitale und soziale Medien zu informieren, ist längst Alltag. „Aus dem ‚Neuigkeiten-Zimmer‘ heraus kommunizieren wir direkt, modern und bürgerfreundlich. Das fördert die Transparenz und die Demokratie.“
Zwei Mentalitäten treffen aufeinander
In den meisten Behörden haben Pressesprecher sowie Social-Media- und Web-Redakteure derzeit noch voneinander getrennte Arbeitsbereiche. Zwar wird miteinander gesprochen, beispielsweise in gemeinsamen Morgenlagen. Und manchmal gehören die Mitarbeiter formell auch alle der gleichen Organisationseinheit an. Trotzdem wird in den meisten Häusern derzeit das Prinzip „Drei Redaktionen statt einer“ gelebt. Eine gemeinsame Strategie, eine Gesamtjahresplanung, ein gemeinsamer Redaktionsplan? Fehlanzeige.
Dies alles zu ändern, scheint zunächst nicht einfach. Pressesprecher fühlen sich mit der Trennung der Arbeitsbereiche häufig recht wohl. Manche von ihnen bewerten das Beantworten einer Journalistenanfrage oder das Formulieren einer Pressemitteilung höher als das Twittern oder das „Posten von bunten Bildern“ bei Facebook. Solche Kommunikatoren haben oftmals keine Ambitionen, sich in die Besonderheiten der Social-Media-Kommunikation einzuarbeiten und diese ihnen eher suspekte Kommunikationsform ständig mitzudenken.
In drei Schritten zum behördlichen Newsroom
1. Umdenken
Der erste und wichtigste Schritt liegt in einem neuen Denken: Presse- und Online-Kommunikation (Web und Social Media) müssen sich als ein Kommunikationsteam empfinden.
2. Nähe schaffen
Räumliche Nähe ist wichtiger als Aufbauorganisation: Im Organigramm des BMVI sind die Referate „Presse“ und „Neue Medien“ beispielsweise derzeit noch getrennt. Das spielt in der täglichen Arbeit im Großraumbüro aber keine Rolle.
3. Willen durchsetzen
Die Behördenleiter müssen das Konzept wollen, es durchsetzen und dabei alle Mitarbeiter mitnehmen. Ohne sichtbare Unterstützung der Hausleitung funktioniert es nicht. Die Widerstände aus dem Haus – auch bei der Freigabe etwaiger Kosten – sind dann erfahrungsgemäß zu groß.
Die Social-Media-Verantwortlichen in Behörden wiederum sind häufig jüngere Kollegen. Sie sprechen bei Facebook, Twitter und Co. tagtäglich ebenfalls für die Behörde – nur anders: nämlich digitaler, schneller, in einer anderen Tonalität. Diese Kommunikatoren wiederum empfinden die klassische Pressearbeit oft als bürgerfern und wünschen sich gleichzeitig mehr Kooperation.
Nicht selten bekommen sie Informationen zu spät, da nur die Sprecher in den wichtigen Meetings eingebunden sind – und das, obwohl gerade das Netz nach schneller Reaktion verlangt. Oder sie bekommen abgestimmte Zitate und „Sprachregelungen“ weitergereicht, die zwar Journalisten verstehen und verarbeiten können, die für die Kommunikation mit den Nutzern sozialer Medien aber ungeeignet sind – und die trotzdem nicht mehr verändert werden dürfen.
Lost in Translation
„Unsere älteren Kollegen haben lange nicht verstanden, dass Behördenkommunikation heute nicht immer präsidial ist, sondern auch locker oder lustig sein kann. Sie fragten, warum um alles in der Welt wir einen Smiley posten oder Feiertagsgrüße senden“, erzählt Thorsten Mohr, Social-Media-Manager bei der Polizei Mittelhessen.
Bei der dortigen Landesbehörde wird gerade ein Newsroom-Konzept umgesetzt: Presse, Social Media und Web-Redaktion werden in Kürze in einen gemeinsamen Raum in unmittelbarer Nähe zum Polizeipräsidenten ziehen. Die Pressesprecher twittern schon seit geraumer Zeit mit.
Zuvor waren die Bereiche auf zwei Städte verteilt gewesen. Zwei Jahre dauerte es, bis Mohrs Initiative für einen behördlichen Newsroom letztendlich umgesetzt wurde: „Es war ein schwieriger Kampf“, sagt er. Unermüdlich hatte er auf der Idee beharrt und die Zeit genutzt, um beispielsweise Redaktionen zu besichtigen.
Im Bundesverkehrsministerium ging es dank des Neustarts einer Legislatur schneller. „Man prophezeite uns intern ebenfalls zwei Jahre, als wir mit der Idee kamen“, erzählt Presse- und Kommunikationsleiter Ainetter: „Doch Minister Scheuer war Feuer und Flamme und ließ die üblichen Behörden-Bedenken nicht gelten.“ Ainetter weiß: „Ohne die Unterstützung der Behördenleitung funktioniert es nicht.“
Austausch von Ideen
Wichtig sei aber auch, alle Kollegen im Haus inhaltlich mitzunehmen. Es dürfe nicht der Eindruck eines Newsrooms als „elitärer Zirkel“ entstehen, der allen am Ende mehr Arbeit bereitet. Im BMVI-„Neuigkeitenzimmer“ sind Fachkollegen jederzeit willkommen – gerade zum Austausch von Ideen und Themen.
Das Fazit von Ministeriumssprecher Ingo Strater lautet: „Die Pressearbeit macht mehr Spaß als vorher.“ Seit dem Start des „Neuigkeitenzimmers“ seien schon mehrere Ministerien vorstellig geworden, um sich das Konzept erklären zu lassen.
Wie zu hören ist, arbeiten das Bundesministerium für Gesundheit und auch die Bundeszentrale für politische Bildung bereits an der Umsetzung der neuen Organisationsform.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONKURRENZ. Das Heft können Sie hier bestellen.