Michael Opozynski hat es eilig: Nach 34 Jahren beim ZDF wurde er vor kurzem in den Ruhestand verabschiedet – und ist trotzdem weiterhin im Stress. An diesem Tag in Berlin ist sein Stundenplan durchgetaktet. Er kommt direkt aus Wiesbaden, erscheint auf die Sekunde pünktlich und freut sich über frischen Kaffee.
Einst begeisterte Opoczynski sich in der väterlichen Druckerei an schönen Schriften, aber fand die Texte der lokalen Kirche schlecht, die er in Handarbeit mit Bleilettern setzte. Später beschrieb er als Werbetexter für Reisebüros Orte, an denen er nie gewesen war. Und Moderator wollte er eigentlich nie werden. Dank seiner Karrierestationen als Journalist, PRler und Pressesprecher kennt sich der Hobby-Marathonläufer mit den Untiefen der Kommunikation aus – und war oft genug beteiligt, wenn Unternehmen ihren guten Ruf aufs Spiel setzten.
„Ich bin nicht ‚lanzig‘.“
Er findet sich nicht telegen, sagt von sich „ich bin nicht lanzig.“ Auf dem Schirm nimmt sich Michael Opoczynski zurück. Bis heute leidet er vor jedem Auftritt unter Lampenfieber. Vielleicht gerade deshalb traut man ihm alles zu – im Guten: Einst schickte eine Zuschauerin ihm ihr Sparbuch, um es vor der „gierigen Verwandtschaft“ in Sicherheit zu bringen. Er schickte es zurück, per Einschreiben und mit einem langen Brief. „Ich kriege dauernd Steuererklärungen zum Drübergucken“, sagt Opoczynski. „Das ist eine heikle Gratwanderung, schließlich ich bin kein Berater oder Anwalt.“
Aber oft genug ist er berührt von den Zuschauergeschichten: In gestochen scharfer Handschrift schilderte ein Zuschauer seinen Fall. Der 79-Jährige wollte sein Geld sicher anlegen und bald in eine Wohnung in einer Altenwohnanlage investieren. „Sein Bankberater hörte nicht zu, sondern drehte ihm einen geschlossenen Fonds an mit dem Risiko eines Totalausfalls. Bei der Auszahlung wäre der Kunde 101 Jahre alt“, sagt Opoczynski. „Das war zwar legal – aber ganz sicher nicht legitim.“
Interview-Vorbereitung für Unternehmen
Doch ähnlich wie Bankberater sei auch nicht jeder Journalist vertrauenswürdig. So gehöre zum Handwerk des Unternehmenssprechers im Umgang mit den Medien unbedingt eine gute Vorbereitung. Geht es um ein Servicestück oder wird der Sprecher live mit Vorwürfen konfrontiert? Michael Opoczynski rät: „Klären Sie im Vorwege, wer für welches Format angefragt wird, für welches Thema – und in welcher Rolle. Auch Vorlieben in Bezug auf die Kameraposition für die Schokoladenseite zu äußern oder die eigene Maskenbildnerin mitzubringen ist völlig in Ordnung“, so Opoczynski. Am besten kommen Sprecher rüber, die sich zuvor ihre Zielsätze überlegt haben und die dann auch abliefern. Das ist gut für alle Beteiligten.
Die schweigende Sprecherin
Mangelnde Vorbereitung auf Seiten der Unternehmen rächt sich. Wie beim Geschäftsführer eines Unternehmens zur Bonitätsprüfung: Der fühlte sich in der Vergangenheit falsch dargestellt. Opoczynski: „Als wir ihn einluden, passte er vor lauter Selbstbewusstsein kaum durch die Tür. Wir fragten nach der Seriosität seiner Zahlen. Mehrfach. Er bestand darauf, dass die Prüfungen seiner Firma immer stimmen.“ Als der Moderator den Auszug seiner eigenen Daten aus der Tasche zog, wurde sein Gesprächspartner blass. Opoczynski zeigte ihm die Fehler in seinen eigenen Daten. Das Gespräch war schnell vorbei, der Firmenboss verließ schimpfend das Studio. Seine schweigende Sprecherin tat Opoczynski Leid.
Der richtige Umgang mit O-Tönen
O-Töne lassen sich im Nachhinein nicht mehr zurückziehen. „Sprecher sollten zunächst einmal einvernehmlich klären, was aufgezeichnet wird und dass sie ein Entscheidungsrecht über ihre Version haben. Dann sollten sie ihre Statements fürs Fernsehen so lange wiederholen, bis sie sitzen. Eine nachträgliche Freigabe zur Veröffentlichung wird nicht erfolgreich sein“, sagt der Fernsehjournalist.
Allerdings kann die dauernde Wiederholung von O-Tönen auch Reportertaktik bei investigativen Recherchen sein: „Als ein Kommunikationsunternehmen die Geheimnummer eines Frauenhauses im Telefonbuch veröffentlichte, antwortete der Sprecher zunächst angemessen zerknirscht und entschuldigte sich.“ Doch der Redakteur ließ ihn die Frage noch vier Mal hintereinander beantworten. Am Ende sei der Sprecher so genervt gewesen, dass er den Fehler der eigenen Firma herunterspielte und als Bagatelle darzustellen versuchte. Und er vergaß zu sagen, dass er diese Aufnahme nicht freigibt. Opoczynski: „Natürlich wurde der letzte Take gesendet – das war eine Imagekatastrophe für das Unternehmen und den Sprecher.“
Interviewabbruch? Kann schlau sein
Dabei wäre der Abbruch eines Interviews legitim – und kann sogar strategisch schlau sein: „Man sollte sich vor einem Interview überlegen, was man als Gesprächspartner maximal aushalten will“, so der WISO-Mann. „Auch in Talkshows gibt es Moderatoren, die Gäste bedrängen oder provozieren.“
Ist die Grenze der persönlichen Duldsamkeit erreicht, könne man das als Sprecher auch vor laufender Kamera direkt ansprechen. Nach der Auswertung von Sendeprotokollen, in denen auch die empörten Zuschaueranrufe während der Sendung aufgezeichnet werden, plädiert Michael Opoczynski für Klartext: „Man darf sich als Pressesprecher nicht auf jeden Kampf einlassen. Der Moderator einer Sendung ist nicht wichtig – ihm muss man nicht gefallen, sondern dem Publikum. Selbst wer im Kampf mit dem Gastgeber scheinbar verliert, sollte das aushalten in dem Wissen, bei den Zuschauern möglicherweise Sympathiepunkte zu sammeln.“ Und bei Fehlern sollten Sprecher sich im Zweifelsfall entschuldigen. Das sei sehr tapfer und komme gut an.
Die richtige Kleidung und Haltung
Nicht nur in der Krise steht das Außen für das Innen. Wer auch bei der Kleidung und Haltung professionell agiert, gewinnt an Glaubwürdigkeit: „Der Alptraum aller Kameraleute sind Gäste mit kleingemustertem Sakko und geblümter Krawatte“, sagt Opoczynski. Bitte keine Karos – das flimmert auf dem Bildschirm und lenkt ab. Und die Damen nicht in Knallrot kleiden – das kann die Kamera nicht scharf stellen. Moderne virtuelle Studios sind komplett grün gestrichen. Wer da ebenso gekleidet erscheint, betreibt menschliche Mimikry: Man sieht nur noch das Gesicht und die Hände. „Am liebsten hätten wir aus technischer Sicht Hemd, Jacke und Krawatte in grau, Ton in Ton. Da lenkt optisch nichts ab vom Gesicht“, schmunzelt Opoczynski.
Achtung, Mimikfalle
Vorsicht ist auch geboten bei einer typisch weiblichen Mimikfalle: Das Dauerlächeln. „Bei Attacken immer ernst gucken“, rät Opoczynski. „Sonst wirkt man eiskalt und unberührt.“ Dabei könne man trotzdem mit den Geschlechterrollen spielen. Opoczynski: „Wir trainieren nicht nur mit dem Nachwuchs im Ausbildungsstudio Moderationen für alle Formate. Sind beide Gesprächspartner Männer, wird es schnell zum Wettbewerb. Zwei Frauen können auch schwierig sein. Doch die Kombination Mann-Frau hat eine natürliche Spannung, die gerade Frauen durchaus bewusst für sich nutzen können.“
Ein „Wettbewerb unter Männern“ war für Opoczynski das Interview mit dem Geschäftsführer eines großen Chemiekonzerns, der darauf bestand, in der WISO-Livesendung sein Statement vom Blatt abzulesen. „Wir versuchten noch, ihn zu überreden, frei zu sprechen, doch der Mann blieb dabei“, so Michael Opoczynski. „Die Wirkung war fatal, denn Zuschauer erwarten von einem Unternehmensleiter, dass er frei reden kann.“
Sprechende Körper
Dass der ganze Körper „mit spricht“, musste auch der Vorstand einer süddeutschen Krankenkasse lernen, bei dem das Team mit zwei Kameras erschien: Eine war auf das Gesicht des Mannes gerichtet, die andere auf seine Füße. Der Vorstand wollte eine Bonuscard promoten. Leider kannte er sich nicht gut genug mit seinem eigenen Produkt aus. Als der Reporter ihn damit konfrontierte, dass man mit der Karte der Krankenkasse auch Rabatte auf Alkohol und in Tattoo-Studios erhielte, „hatte der Vorstand Schweißperlen auf der Stirn“, erinnert sich Opoczynski. „Der Pressesprecher im Hintergrund wurde immer nervöser, aber brach das Gespräch nicht ab. Sein Chef wippte zunehmend mit den Füßen und verstrickte sich immer tiefer in unsere Vorhaltungen.“ Opoczynski wundert sich: „Nach dem Gespräch wirkte der Vorstand erleichtert. Für ihn war der Stress vorbei. Dass der erst nach der Ausstrahlung des Beitrags richtig beginnen würde, hatte er nicht verstanden.“
Lügen verboten
Ebenso schlecht schlug sich der Vorstand einer Möbelkette. Wochenlang hatten WISO-Reporter über die vermeintlichen Sonderangebote der Firma recherchiert, mit einem Informanten unter den Mitarbeitern gesprochen. „Als wir ihn nach den Scheinangeboten fragten, leugnete er beharrlich“, erinnert sich Opoczynski. „Dabei hatten wir wochenlang mit versteckter Kamera die falschen Rabatte in seinen Läden dokumentiert. Er schlug sich tapfer, aber es half nichts. In der direkten Konfrontation log der Chef. Ich habe ihn nicht beneidet.“
Krisen kann man trainieren
In der Krise erkenne man die wahre Qualität von Sprechern. Und auf die könne man sich vorbereiten. „Ein großes Chemieunternehmen trainiert alle zwei Jahre den Notfall, inklusive Werksfeuerwehr und echter Presse. Und kann so mögliche Optimierungsbedarfe auch in der Kommunikation offen legen“, sagt Opoczynski.
Anders dagegen ein weiteres Chemiewerk: Dort wurden zwar die Medien aktiv über einen echten Brand informiert. Doch während die auf der Anfahrt waren, änderte die Geschäftsleitung den Plan. Opoczynski: „Wir standen trotz Einladung vor verschlossenem Werkstor. Die Sprecherin musste uns wieder weg schicken. Die Berichte waren am Ende dramatischer, als es der kleine Brand eigentlich Wert war, inklusive Nahaufnahme der verschlossenen Tore und dem Hinweis, dass sich vom Unternehmen niemand äußern wollte.“ Die Sprecherin war beruflich so durch die eigene Leitung gedemütigt, dass sie wenig später kündigte.
Der gute Sprecher
Und gute Sprecher? Nach einigem Überlegen fällt dem Fernsehjournalist doch noch ein positives Beispiel ein: Die Zusammenarbeit mit Richard Gaul, Ex-Sprecher von BMW. Opoczynski hat ein Faible für schöne Wagen und wollte eine Langzeitreportage über die Entwicklung eines neuen Modells machen. Opoczynski: „Der Sprecher des ersten Autobauers sagte direkt Nein. Der zweite fragte, ob ich spinne – die Entwicklung eines neuen Automodells sei schließlich hochgeheim. Richard Gaul sagte nach drei Wochen Bedenkzeit zu.“
Und stellte klare Bedingungen: Nur ein Redakteur. Immer derselbe Kamera- und Tonmann. Und die Aufzeichnungen blieben bis kurz vorm Schnitt im Firmentresor verwahrt. Dafür durften Opoczynski und sein Team vom ersten Zeichenstrich der Designer über die handgehämmerten Blechmodelle und die Testfahrten (bei denen ein Ingenieur vor laufender Kamera sogar das Modell der Konkurrenz lobte) bis zur Auslieferung dabei sein. Am Ende wurde die Reportage an 16 internationale Sender verkauft.
Der ZDF-Journalist ist immer noch beeindruckt von der Professionalität des Automanns, der ihm alle Türen öffnete: „Vertrauen aufzubauen und über eine lange Strecke zu halten – das zeigt Größe.“ Und noch heute wundert sich Opoczysnki über den Anruf eines Kollegen des zweiten Unternehmenssprechers, der ihn am Anfang seiner Recherchen für verrückt gehalten hatte: Ob er nicht eine solche Reportage auch mal bei ihnen drehen wolle…
Michael Opoczynski studierte in den 70-ern Politik in Frankfurt, war später u.a. Werbetexter und Sprecher der hessischen SPD. Danach war er 34 Jahre beim ZDF, davon 28 Jahre beim Wirtschaftsmagazin WISO, dessen Redaktion er seit 1992 leitete.Nach seiner Pensionierung wird Opoczynski künftig freiberuflich moderieren und Vorträge halten, ein Buch über Alsterdiskriminierung und Wirtschaftskrimis schreiben und als Berater für die Medien- und Kommunikationsagentur Macondo PR arbeiten.
Sehen Sie auch unser Video-Interview mit dem Medienmann: Darin spricht er über seine Abschiedsfeier, warum Juristen neuerdings die besten Freunde von Journalisten sind – und für welche Figur ein Pressesprecher in seinem geplanten Wirtschaftskrimi passen würde.