Eine Vertrauensfrage

Den 28. Mai 2012 wird Elke Wößner in ihrem Leben nicht vergessen. Ihr Arbeitgeber, die IT-Sicherheitsfirma Kaspersky Lab, hat die Schadsoftware „Flame“ entdeckt. Hierbei handelt es sich um die umfassendste Cyber-Waffe, die bis heute gefunden wurde.Flame ist ein Schadprogramm, das große Mengen an Daten und viele andere Informationen stehlen kann. Aktiv war es vor allem auf Rechnern von Unternehmen und Organisationen im Iran und im Nahen Osten. Nach den Trojanern „Stuxnet“ und „Duqu“ ist Flame die dritte vergleichbare Malware, die innerhalb von zwei Jahren entlarvt wird. Wodurch deutlich wird: Es werden Cyberwaffen entwickelt und eingesetzt. Dabei geht es um gezielte Spionageangriffe – wahrscheinlich von staatlichen Organisationen gelenkt.

Ziel: Regulierung

Auch wenn er sich an solchen Spekulationen nicht beteiligen möchte, so treibt das Thema Cyberkrieg und -spionage den Firmengründer Eugene Kaspersky weltweit um. Seine Mission: Er will wegen ihrer Gefährlichkeit eine gesetzliche Regulierung solcher Internetwaffen erreichen. Seine ersten Warnungen ab dem Jahr 2006 stießen noch auf Häme. Doch heute findet er zunehmend das Gehör von politischen Entscheidungsträgern. Der Russe war Redner auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, einer weltweit führenden Veranstaltung von Verteidigungspolitikern. Mit seinen vier engsten Verbündeten aus dem CEO-Office sucht er die Nähe zur Politik. Er will erreichen, dass die Institutionen zur Abwehr von Internetterrorismus über nationale Grenzen hinweg zusammenarbeiten.

Die Öffentlichkeit aufzuklären, um letztlich Politiker zum Handeln zu überzeugen, ist daher erklärtes Ziel in der Kommunikation des Unternehmens, das weltweit rund 2.500 Mitarbeiter beschäftigt. Als Head of Corporate Communications Europe verantwortet Elke Wößner von Ingolstadt aus die europaweite PR-Arbeit. Von den über 50 weltweit arbeitenden PR-Spezialisten koordiniert sie zehn Mitarbeiter in mehreren europäischen Ländern. Hinzu kommen weitere beauftragte PR- und Marketingagenturen.

Nach der Flame-Entdeckung hat Kaspersky Lab eine gezielte PR-Kampagne zum Cyberkrieg und -spionage gestartet, die die namhaftesten Medien wie „Spiegel“, „Focus“, „Süddeutsche Zeitung“, ZDF und viele weitere aufgriffen. Mehrere Wochen elektrisierte dieses Thema Zeitungsleser, Fernsehzuschauer, Radiohörer und selbstverständlich Internetuser. Mehr als 10.000 Clippings weltweit mit einem geschätzten PR-Wert von 15 Millionen US-Dollar brachte die größte, erfolgreichste und integrierteste PR-Kampagne des Unternehmens. „Mit Flame wurden wir zum thought leader“, also zum inhaltlichen Führer beim Thema Cyberkrieg, ist Wößner überzeugt.

Diesem medialen Erfolg gingen jedoch mehrere Jahre gezielte Aufbauarbeit voraus. Das eigentliche Platzieren des Themas, das Agenda Setting, betrieb Kaspersky bereits 2007, als es bei den Wahlen in Estland zu cyberterroristischen Attacken kam. Parteiseiten wurden gehackt. Doch die Zeit war noch nicht reif. Erst als Konkurrenzunternehmen die Trojaner Stuxnet (2010) und Duqu (2011) entlarvten, wurde das Thema breit in den Medien publiziert. Kaspersky-Lab-Experten bloggten zu diesen Themen, während die Pressestelle diese Informationen an Journalisten und Agenturen verbreitete. Zu diesem Zeitpunkt war Kasperky Lab eher „Agenda-Surfer“, folgert Wößner.

Eine Pressekonferenz im September 2010 mit dem Firmengründer Eugene Kaspersky in München – während der jährlichen europäischen Oktoberfest-Presseveranstaltung – brachte schließlich den medialen Durchbruch. Stuxnet, der Trojaner, der iranische Produktionsanlagen lahmlegte, bewies, dass Eugene Kasperskys über die Jahre immer wieder vorgebrachte Warnungen vor den Internetkriegswaffen keine „Schwarzmalerei“ sind, sondern Realität. Viele Interviews und Berichte verknüpften die Gefahren eines Cyberkriegs mit der Expertise von Kaspersky Lab.

Beziehungsarbeit

Als am 19. Oktober 2011 erneut eine Sicherheitsfirma den Trojaner Duqu zuerst entdeckt, war das Thema wieder en vogue. Und Kaspersky Lab ritt auf dieser Welle sofort mit. Um 13.39 Uhr erhielten Experten von Kaspersky Lab den Virus zur Analyse. Nicht einmal sechs Stunden später konnten die wichtigsten Fragen und Antworten über die PR-Kanäle verbreitet werden. Blogposts, Pressemeldungen in den unterschiedlichsten Sprachen sowie Telefon-, Online- und Einzel-Interviews positionierten die IT-Sicherheitsfirma als schnell reagierende und kompetente Quelle. Als Interviewpartner traten dabei immer die Experten auf, nicht die PR-Mitarbeiter. Diese briefen die Computerexperten in Kommunikationsfragen, so dass sie den Journalisten in verständlichen Worten die Situation schildern können. Zudem pflegen die Kommunikationsmitarbeiter kontinuierlich die Kontakte insbesondere zu fundiert arbeitenden Journalisten. So entstand über die Jahre ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis.

„Diese langjährige Aufbau- und Beziehungsarbeit war mitentscheidend für den medial größten Erfolg von Kaspersky Lab“, weiß Wößner. Dabei hatte die Entdeckung von Flame eine interessante Vorgeschichte. Am 24. April 2012 wird bekannt, dass im Iran erneut Computer attackiert wurden. Die International Telecommunication Union (ITU), eine Organisation der Vereinten Nationen, bittet daraufhin Kaspersky Lab, bei der Analyse zu helfen. Am 7. Mai schließlich entlarvt das Unternehmen den neuen Schadcode, der seit über zwei Jahren Tausende Computer im Iran und in Staaten des Nahen Ostens ausspionierte. Ein Zufallsfund, weil die Analysten auf der Suche nach dem Schädling „Wiper“ waren.

Wie bereits zuvor bei Duqu werden in engster Abstimmung mit den Experten Blogs, Pressemeldungen und FAQs vorbereitet und immer wieder aktualisiert. Am 27. Mai werden Reuters, Wired und BBC exklusiv informiert. Einen Tag später verschicken die PR-Abteilungen die Pressemeldung weltweit und organisieren eine Online-Pressekonferenz. Es folgen zudem gemeinsame Aktionen mit den weiteren Kaspersky-Lab-Abteilungen Social Media und Digital Marketing. Schließlich bekommt ein Journalist der Deutschen Presse-Agentur exklusive Informationen, bevor am 12. Juni eine zweite Welle mit einer Online-Pressekonferenz startet. Befeuert wird das Thema durch Medienspekulationen, dass die US-Regierung und möglicherweise Israel Flame entwickeln ließen. „Das Thema wurde zusehends politischer. Wir wussten aber auch, dass es damit noch länger auf der Agenda steht“, erklärt Wößner. Das Thema Cyberkrieg ist in der breiten Öffentlichkeit und bei Politikern jedenfalls angekommen.

Agenda Setting ist für Kommunikationsverantwortliche eine große Chance, aber auch Herausforderung. Durch das Politisieren eines Themas und möglichen Spekulationen kann die Kontrolle über ein Thema schnell verloren gehen. So titelte die „Bild“-Zeitung über Flame: „Kann diese Cyber-Waffe die Atom-Iraner stoppen?“ Doch im selben Artikel steht klar und deutlich, dass Kaspersky Lab über den möglichen Urheber der Schadsoftware keine Angaben macht.

Glaubwürdigkeit ist eine essenzielle Voraussetzung, wenn Unternehmen oder Organisationen Themen in der öffentlichen Debatte setzen möchten. Greenpeace ist im Agenda Setting sehr erfahren und hat trotz einer erfolgreichen Kampagne organisatorische Konsequenzen gezogen.

Bilder bleiben

Brent Spar – die Bilder der Aktivisten, die am 30. April 1995 den in der Nordsee schwimmenden Öltank besetzten, sind immer noch im kollektiven Gedächtnis. Die Umweltschützer haben erfolgreich verhindert, dass Shell das ausgemusterte Rohölzwischenlager im Meer versenken durfte. Die Besetzung diente als Beispiel dafür, um die Versenkung von bis zu 400 Ölplattformen im Meer zu verhindern. Mit Erfolg: Die Brent Spar wurde nach wochenlangem zähem Kampf gegen Shell doch an Land entsorgt und 1998 wurde die Versenkung im Meer generell gesetzlich verboten. In den Medien fand der Kampf zwischen den Umweltschützern und dem Ölkonzern ein enormes Echo. Boykottaufrufe – auch von Politikern – trafen die Shell-Tankstellen, die deutliche Umsatzeinbußen erlitten. Dieser Verbraucherprotest und der gesellschaftliche Gegenwind zwangen den Konzern zur Aufgabe seiner Pläne.

Doch am Ende der Kampagne im Juni 1995 veröffentlichte Greenpeace in einer Pressemitteilung aufgrund einer fehlerhaften Hochrechnung eines Labors einen deutlich überhöhten Wert von Öl und Ölrückständen, die auf der Brent Spar vermutet wurden. Für den gemeinnützigen Verein, der sich nur aus privaten Spenden finanziert, war dies ein Desaster. „Allein der Umstand, dass Greenpeace eine Zahl korrigieren musste, erwies sich als schwerer Schlag gegen die Glaubwürdigkeit, vor allem bei Journalisten“, bekennt Manfred Redelfs. Greenpeace hat schnell Konsequenzen gezogen. Das für die Brent-Spar-Kampagne federführende deutsche Büro in Hamburg hat 1996 eine Rechercheabteilung eingesetzt. Unter der Leitung von Redelfs beschafft und prüft dieses Fakten. Erst auf dieser sicheren Datengrundlage werden nunmehr verlässliche Informationen an Medien weitergegeben.

Belastbare Daten sind daher immer die Grundlage einer Kampagne, so wie aktuell im Bereich Klimaschutz, wo sich Greenpeace bewusst VW vorknöpft. Mehr als jedes fünfte Auto in Europa wird von VW entwickelt. Aufgrund seiner Marktmacht und Durchsetzungsfähigkeit sei der Konzern beim Klimaschutz besonders gefordert und Vorreiter in der Branche, meinen die Klimaschützer. Im von Greenpeace veröffentlichten „Golf-Report“ legen sie dar, dass der neue Golf VII mit vertretbarem Aufwand als Drei-Liter-Auto in der Basisversion angeboten werden könnte. Nach VW-Angaben verbraucht der günstigste Benziner auf 100 Kilometer 4,8 Liter. Zu wenig ambitioniert, zu klimafeindlich, urteilt Greenpeace und ärgert den Autobauer seit 2011 mit Aktionen auf den unterschiedlichsten Kanälen.

Verfremdung

„Vom Großen zum Kleinen“, umschreibt Michael Hopf den konzeptionellen Weg einer Kampagne bei Greenpeace. Der Chef vom Dienst in der Hamburger Pressestelle erklärt, dass der Klimaschutz das wichtigste Thema der Organisation sei. Mit dem Wissen, dass die EU-Politiker niedrigere CO2-Höchstwerte für Neuwagen festlegen wollen, überlegt sich ein Projektteam, mit welchen kreativen Maßnahmen dieses Problem in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden kann. Hinsichtlich der Zielgruppendefinition will Greenpeace bewusst auch Besitzer von VW-Fahrzeugen erreichen, die für den Klimaschutz sensibilisiert werden sollen.

Die bewusste Verfremdung von Werbebotschaften, das „Adbusting, ist ein beliebtes Stilmittel bei Greenpeace“, erklärt Hopf die Darth-Vader-Kampagne gegen Volkswagen. Inspiriert von dem Erfolg eines VW-Werbeclips, in dem ein kleiner Junge als Darth Vader aus den „Stas Wars“-Filmen verkleidet ist, produzierte Greenpeace einen zweiteiligen Anti-Werbespot, bei dem VW als dunkler Stern dargestellt wird. Mehr als eine halbe Million Menschen unterstützen mittlerweile die viral übers Internet verbreitete Kampagne auf der internationalen Microsite „VWDarkside.com“. Dort können Unterstützer Fotos von sich mit einer Forderung an VW posten. Dass sich die Kampagne über Facebook und Twitter so schnell verbreiten konnte, ist auch einem Spiel zu verdanken, bei dem User durch die Weiterleitung ein Greenpeace-T-Shirt gewinnen konnten. Die enge Verzahnung von Online mit Social Media gehört heute zum Erfolgsgeheimnis von Kampagnen.

„Die vielen neuen Möglichkeiten im Web und in den sozialen Medien helfen uns enorm. Doch die klassischen Leitmedien sind für uns weiterhin sehr wichtig. Wenn unsere Argumente und Fakten vor ihren Augen bestehen, dann hebt das ihre Bedeutung und Reichweite erheblich“, erklärt Hopf. Und so gleicht es immer noch einem Adelsschlag, wenn führende Medien wie „Spiegel“, „Die Zeit“, „Die Welt“, „Autobild“ – ob im Print oder in den Onlineausgaben – über die Protestaktionen und Forderungen von Greenpeace berichten. So wie Anfang September nach der Weltpremiere des VW Golf VII in Berlin.

Spuren zu hinterlassen und möglicherweise die Gesellschaft ein wenig zu verändern, ist das hehre Ziel von Agenda Setting. Klar ist, dass Kommunikationsverantwortliche mit kontinuierlicher und vertrauensvoller Arbeit dies am ehesten erreichen. Themen, Marken und Image sind selbst in einer schnelllebigen Medienwelt keine Eintagsfliegen, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Trends. Das Heft können Sie hier bestellen.

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