„Ein kommunikativer Amoklauf“

Affäre um Mesut Özil

„Beinahe schon ein kommunikativer Amoklauf“: So beschreibt Reputationsexperte Klaus Weise die drei Mitteilungen, die Fußballstar Mesut Özil auf seinem reichweitenstarken Twitter-Kanal (23,1 Millionen Follower) im Laufe des Sonntags verbreitet hat. Darin kritisiert der 29-Jährige Arsenal-Profi den Umgang des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), der Medien und seiner Sponsoren mit der Affäre um das umstrittene Foto mit Recep Tayyip Erdogan im Mai. Die Vorwürfe – unter anderem beklagt der Spieler mit türkischen Wurzeln Rassismus – gipfelten in der Austrittserklärung aus der Nationalmannschaft. Seitdem hat Özil sich zu diesem Thema nicht mehr öffentlich geäußert. 

Der Fall ist komplex: In der öffentlichen Kritik stehen der DFB und mit ihm vor allem Verbandspräsident Reinhard Grindel, der Sponsor Mercedes-Benz sowie der Fußballer Mesut Özil selbst. Reputationsexperte Klaus Weise schätzt die Kommunikationsstrategien der jeweiligen Parteien ein.

Erst wochenlanges Schweigen, dann ein brachialer Rundumschlag und seitdem Sendepause – Herr Weise, braucht Mesut Özil Nachhilfe in Sachen Krisenkommunikation?

Klaus Weise: Mesut Özil hat einen zentralen Fehler gemacht: Er hat nicht verstanden, dass er in seiner herausgehobenen Rolle als deutscher Nationalspieler nicht kommunizieren kann, als wäre er der Hobbyfußballer Mesut Özil. Das Treffen mit Präsident Erdogan war ein Fehler, das nachfolgende Schweigen war ein noch größerer Fehler und sein dreiteiliger Rundumschlag per Twitter war beinahe schon ein kommunikativer Amoklauf.

Wie man es besser macht, hat Özil bereits im Vorfeld der Europameisterschaft 2012 gezeigt. Er hatte auf die Frage, ob er ein Deutscher, ein Deutsch-Türke oder ein Türke in Deutschland sei, der FAZ geantwortet: „Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Warum denken wir immer so in Grenzen? Ich will als Fußballer gemessen werden“.

Der DFB rechtfertigte sich in einer Stellungnahme, es gehöre „zum respektvollen Umgang mit einem verdienten Nationalspieler, dass wir manche für uns in Ton und Inhalt nicht nachvollziehbare Aussage in der Öffentlichkeit unkommentiert lassen“. War das die richtige Strategie?

Eindeutig nein. Der DFB hat Mesut Özil gezielt über Jahre zu einem Vorbild in Sachen Integration aufgebaut – man denke nur an das ikonische Bild Özils mit Kanzlerin Merkel in der Kabine nach dem Länderspiel gegen die Türkei im Jahr 2010. Da kann man dann dieses Erdogan-Foto nicht über Wochen unkommentiert und damit die Interpretationshoheit allen möglichen anderen Gruppen überlassen. Was daraus wurde, hat man ja gesehen.

Insbesondere DFB-Präsident Reinhard Grindel steht für sein Krisenmanagement in der Kritik. Ex-DFB-Sprecher Harald Stenger warf ihm vor, keine klare Linie gehabt zu haben. Und als Grindel Mesut Özil Anfang Juli öffentlich zu einer Stellungnahme aufforderte, kam das manchem zu spät. Welche Fehler hat der Verband Ihrer Meinung nach in seiner Krisenkommunikation gemacht?

Ich kann keine klare Haltung des DFB erkennen und ich würde mich wundern, wenn sich Herr Grindel als DFB-Präsident halten kann. Auf jeden Fall hat der Verband die Emotionalität dieses Themas massiv unterschätzt. Wir leben in hochpolitischen Zeiten, die Frage von Identität, Nationalstaat und Grenzen steht auf der Agenda weit oben. Die Boulevardmedien und zum Teil auch die Parteien irrlichtern bei diesen Fragen ziemlich herum. Deshalb hätte der Verband sehr schnell für eine wie auch immer begründete Klarstellung sorgen müssen – zumindest dahingehend, dass Özil keinen Wahlkampf für Erdogan machen wollte. Und man hätte streuen können, dass Özil schon im Jahr 2007 seine türkische Staatsbürgerschaft zurückgegeben hat – bis dahin hatte er beide Pässe.

War es aus Ihrer Sicht richtig, dass der Autokonzern Daimler die Zusammenarbeit mit Özil im Zuge der Affäre um die Fotos mit Erdogan auf Eis legte? Aus einer Mitteilung geht starke Kritik vonseiten des Fußballers hervor.

Mit der Kampagne „Best never rest“ und dem in goldener Farbe hervorgehobenen V in „never“, das als Zitat der römischen Zahl “V” für den angestrebten fünften Weltmeistertitel stand, hat Mercedes-Benz sich weit aus dem Fenster gelehnt und damit nicht gerade glücklich agiert. Dass man darüber hinaus keine zusätzlichen Reputationsrisiken eingehen wollte, halte ich für richtig. Mesut Özil hat gezeigt, dass er schwer bis gar nicht zu steuern ist. Deshalb halte ich es für angemessen, die Zusammenarbeit möglichst geräuschlos zu stoppen. Nachdem Mesut Özil nun das Verhalten der Sponsoren so offensiv thematisiert hat, sitzt Daimler zwischen allen Stühlen, darum beneidet den Konzern niemand.

Wie ist zu bewerten, dass Adidas nach wie vor zu Özil hält?

Mercedes-Benz ist Sponsor der deutschen Nationalmannschaft, Adidas hat auch einen Vertrag mit Mesut Özil als Spieler – das ändert die Perspektive und vor allem die Zielgruppe. Aus der Perspektive von Adidas ist es wahrscheinlich richtig, am Premier-League-Spieler Özil festzuhalten – er wird in England und wahrscheinlich auch global noch viel positive Aufmerksamkeit für die Marke gewinnen.

Was wäre jetzt der richtige Weg – für Mesut Özil, aber auch für den DFB sowie die Sponsoren?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mesut Özil in der nächsten Zeit viele Angebote von neuen Sponsoren erhalten wird – dafür hat er sich als zu wenig steuerbar und zu emotional erwiesen. Der DFB hat eine veritable Krise. Fußballdeutschland hätte gerne einen Schuldigen für das WM-Desaster. Daher kommen auf DFB-Präsident Grindel schwere Zeiten zu. Und die Sponsoren werden auch weiter solche Risiken eingehen müssen – Mesut Özil ist ja kein Einzelfall. Ich erinnere nur an den koksenden Christoph Daum, der damals Testimonial eines Energieversorgers war. Oder an Boris Becker in der Besenkammer.

 

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