"Die Redaktion hat die größte Strahlkraft"

„Zeit“-Kommunikationschefin Silvie Rundel

Frau Rundel, wenn man an „Die Zeit“ denkt, kommen einem als Erstes die Wochenzeitung und „Zeit Online“ in den Sinn. Dabei ist die Verlagsgruppe deutlich breiter aufgestellt. Wofür steht der Verlag als Unternehmen?

Silvie Rundel: Unser Leitbild trifft das meiner Meinung nach sehr gut: „Wir sind das Medium für den gesellschaftlichen Diskurs und begleiten Wandel mit Zuversicht. Jeder in unserem Unternehmen bringt sich jeden Tag mit neuen Gedanken ein. Die Meinung der anderen respektieren wir.“ Und: „Unsere Werte sind Unabhängigkeit, Respekt und Zuversicht.“ Es gibt eine hohe Verbundenheit zur Marke. Wir sind ein Haus der unterschiedlichen Meinungen. Und die Zuversicht taucht nicht umsonst zweimal auf.

Am Ende heißt es, und darüber gab es durchaus Diskussionen: „Du veränderst die ‚Zeit‘. Die ‚Zeit‘ verändert dich.“ Ich finde, das stimmt. Das Unternehmen hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark verändert – durch die Kraft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als ich anfing, waren wir gerade mal 400 Leute, fast alle saßen hier in Hamburg. Jetzt sind wir 1.200 an mehreren Standorten. Es herrscht eine große Innovationskultur im gesamten Haus, und es macht Freude, sich einzubringen.

„Die Zeit“ organisiert Veranstaltungen. Mit „Speakerz“ gehört auch eine Sprecheragentur zum Verlag. Inwieweit akzeptieren Ihre Journalistinnen und Journalisten, dass es solche Formate braucht, um Geld zu verdienen?

Die Sprecheragentur gehört zu unserer Tochtergesellschaft Convent, die sich auf Profit-Veranstaltungen konzentriert. Es gibt im Haus ein großes Verständnis dafür, dass ein Verlag mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern Geld verdient. Wichtig ist es, klare Grenzen zu ziehen: Die Redaktion muss vollkommen unabhängig von kaufmännischen Belangen sein. Bei uns werden Sie zum Beispiel keine Vermischung dahingehend finden, dass über kommerzielle Veranstaltungen im redaktionellen Teil berichtet wird. Es erscheinen Anzeigen oder Advertorials.

Wie würden Sie das Arbeitsklima bei der „Zeit“ beschreiben?

Höflich, freundschaftlich, familiär. Wir arbeiten über Abteilungsgrenzen hinweg. Man tauscht sich aus und spinnt gemeinsam an neuen Projekten. Es gibt eine große Liebe zur Marke und zu den Produkten. Was uns in der Pandemie sehr fehlt, sind Feierlichkeiten. Wie zum Beispiel unsere Weihnachtsfeier. Da wird bis fünf Uhr morgens getanzt.

Was kann die Unternehmenskommunikation zum Image eines Verlags beitragen, wenn wie bei Ihnen eine Medienmarke derart im Vordergrund steht?

Natürlich ist die Reputation der „Zeit“ für das Verlagsimage ganz entscheidend. Die Arbeit der Redaktion hat die größte Strahlkraft. Wir dürfen unsere Aufgabe als Kommunikationsabteilung nicht überschätzen, dennoch machen wir einen wichtigen Job. Wir begleiten die redaktionelle Arbeit kommunikativ; unsere Aufgabe ist es aber auch zu erzählen, was es neben der Redaktion gibt – im Verlag oder in unseren Tochtergesellschaften wie Spotlight und der Zeit-Akademie –, und die Menschen sichtbar zu machen, die für die „Zeit“-Verlagsgruppe arbeiten. Gerade haben wir kommuniziert, dass Schülerinnen und Schüler „Die Zeit“ bis zu den Sommerferien kostenlos abonnieren können. Ich finde es auch wichtig, dass wir uns Gedanken machen, wie wertschätzend wir mit Personalentscheidungen umgehen, extern und vor allem auch intern.

Die interne Kommunikation ist uns überhaupt sehr wichtig: Gerade jetzt beschäftigt uns intensiv die Frage, wie wir unser Gemeinschaftsgefühl stärken und unsere Mitarbeiter gut durch die Pandemie bringen können.

Die Corona-Pandemie erschwert es, mit Mitarbeitenden zu kommunizieren. Wie sorgen Sie dafür, dass bei Ihnen niemand verloren geht oder sich verloren fühlt?

Mit Information und Transparenz. Wir haben Anfang März letzten Jahres die Mitarbeiterkommunikation deutlich hochgefahren und intensiver mit der Belegschaft kommuniziert. Unser digitales Townhall-Meeting fand in dieser Phase einmal die Woche statt. Wir streamen es an alle Standorte und stellen es als Aufzeichnung zur Verfügung. Die Speaker wechseln normalerweise, in dieser Zeit waren es jede Woche Giovanni di Lorenzo, unser Geschäftsführer Rainer Esser und unsere CFO Monica Sawhney, die unser Krisenmanagement verantwortet. Sie haben berichtet, was es Neues gibt. Die Mitarbeiter können über das Interaktionstool Slido Fragen stellen – auch anonym. Man kann die Fragen der anderen nach oben voten. Damit reguliert die Belegschaft selbst, welche Fragen gestellt werden. Die Anonymität ist nicht unumstritten.

Warum ist Ihnen Anonymität wichtig?

Es gibt Mitarbeiter, die nicht sicher sind, ob ihre Frage gut genug für ein Journalistenhaus ist. Nur: Wir wollen ja sehen, welche Fragen die Mitarbeiter wirklich bewegen.

Welche anderen internen Formate gibt es bei Ihnen, um die Angestellten zu erreichen? Inwiefern können digitale Kanäle echten Austausch ersetzen?

Die persönliche Begegnung ist der Kleber, der uns zusammenhält. Digitale Kanäle sind trotzdem wichtig, gerade in der Pandemie. Wir haben uns bereits in der ersten Märzwoche 2020 gesagt: Neben der transparenten Information brauchen wir etwas, das unterhält, etwas für das Gemeinschaftsgefühl. Darum haben wir den Mitarbeiternewsletter „Dreieinhalb Minuten“ gestartet.

Der Newsletter ist von uns und für uns. Wir als Unternehmenskommunikation sammeln die Inhalte lediglich ein und kuratieren sie. Es geht um die Menschen innerhalb der „Zeit“-Verlagsgruppe. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sonst weniger sichtbar sind, werden zu Protagonisten. Es geht um Best Practice Sharing zum agilen Arbeiten, aber auch um die Frage, wie man im Lockdown die Kinder am besten unterhält. Rainer Esser hat seine Lieblingsplaylist geteilt. Giovanni di Lorenzo ein Pasta-Rezept beigesteuert. Den Newsletter haben wir anfangs zweimal die Woche rausgebracht. Jetzt erscheint er einmal pro Woche. Wir erreichen eine Öffnungsrate von meist 80 Prozent. Die „Dreieinhalb Minuten“ unterstützen unser Gemeinschaftsgefühl. Im April werden wir zudem ein neues mobiles Intranet und eine App bekommen.

Sie sprechen von einem Community-Gefühl: Ist dieses während der Corona-Zeit eher gewachsen oder hat es abgenommen? Es scheint inzwischen der Punkt erreicht, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl schwindet, weil man sich gar nicht mehr sieht.

Genau. Wir befinden uns aktuell in der schwierigsten Phase. Am Anfang dominierte die Orientierungslosigkeit. Im Sommer war Aufatmen angesagt. Man ging wieder ins Büro, traf sich zu Spaziergängen. Jetzt befinden wir uns in der dunklen Jahreszeit und fragen uns, wann das endlich ein Ende hat. Wir haben vor Weihnachten viel gemacht: eine digitale Weihnachtsfeier, ein digitales Quiz. Jeder bekam ein schönes Geschenk. Wir haben die „Zeit University Snacks“ gestartet: Die Idee ist, dass die Mitarbeiter anderen etwas beibringen. Unsere Podcast-Experten erklären zum Beispiel, wie man selbst Podcasts produzieren kann. Wie funktioniert investigativer Journalismus? Oder gendergerechte Sprache? Auch dazu gab es Sessions. Das läuft über Zoom und dauert maximal eine Stunde. Die Themen kommen von den Mitarbeitern selbst. Klar ist auch, dass die Belastung mit Homeschooling und die Ermüdung im Homeoffice inzwischen sehr groß sind.


„Die Zeit“

Die Wochenzeitung vermeldete im vierten Quartal 2020 eine Rekordauflage von 547.390 verkauften Exemplaren. Auch die Abo-Zahlen steigen. Sie liegen bei über 412.000, wovon rund 125.000 digitale Abos sind. Beim European Newspaper Award gewann „Die Zeit“ 2020 den Preis als Europäische Zeitung des Jahres in der Kategorie „Wochenzeitung“. Chefredakteur ist seit 2004 Giovanni di Lorenzo. Chefredakteur von „Zeit Online“ ist seit 2013 Jochen Wegner, der auch Mitglied der Chefredaktion der Wochenzeitung ist. Trotzdem arbeiten die Print- und die Online-Redaktion weitgehend getrennt.


Sie haben in der externen Kommunikation als Marke „Die Zeit“ höchste Qualitätsansprüche. Wie ist der Anspruch in der internen Kommunikation? Journalisten sind manchmal pingelig, wenn etwas nicht perfekt läuft und aussieht.

Unser Qualitätsanspruch ist sehr hoch. Sprachlich und technisch. Wir haben aber auch angefangen, stärker zu experimentieren und das auch offen zu benennen. Wie beim Newsletter. Wir hätten den bis zur Perfektion entwickeln und mit allen Gremien abstimmen können. Dann hätten wir nur in der zweiten Märzwoche nicht die erste Ausgabe gehabt. Die Devise lautet: Mut zur Lücke. Und dann die Belegschaft fragen, was wir besser machen können.

Inwieweit gehen Ihre Journalisten bei den digitalen Angeboten mit? Journalisten haben eigene Kanäle, über die sie sich mitteilen können. Sie könnten sich denken, dass sie intern nicht auch noch mitmischen müssen.

Am Anfang haben wir die Newsletter-Experten im Haus natürlich um Rat gefragt und sie um Blattkritik gebeten. Das hat uns sehr geholfen. Die Inhalte müssen aus dem ganzen Haus – auch aus den Redaktionen – kommen. Würden wir nur Themen der Unternehmenskommunikation spielen, wäre der Newsletter langweilig.

„Die Zeit“ ist weiterhin eine starke Printmarke. Wie digital ist der Verlag?

Neben unseren zahlreichen digitalen Angeboten haben wir auch in der digitalen Zusammenarbeit eine extreme Lernkurve hinter uns. Videokonferenzen und digitaler Austausch sind selbstverständlich geworden. Der Großteil des Hauses sieht da ganz klar Vorteile. Wir haben Kollaborations- und Kommunikationstools schon vor der Pandemie intensiv genutzt, um uns zu organisieren. Natürlich ist die persönliche Begegnung weiterhin wichtig. Das wird auch so bleiben und es gibt eine große Sehnsucht danach. Unsere Aufgabe sehe ich auch darin, neue persönliche Begegnungsplattformen zu schaffen, die Leute aus ihren Abteilungs-Silos rauszuholen und interdisziplinäre Arbeit zu fördern.

„Die Zeit“ hat am 21. Februar ihren 75. Geburtstag gefeiert. Ein solches Jubiläum dient meist der Selbstverortung und Standortbestimmung. Wie haben Sie diesen Tag inszeniert und für Ihre Mitarbeiter erlebbar gemacht?

Vergangenheitsbeweihräucherung ist nicht so unser Ding. „Die Zeit“ hat als Oberthema „75 Ideen für ein besseres Leben“. Es geht also nicht um uns, sondern um andere, um Menschen und Initiativen, die wir vorstellen, und um die Zukunft. Wir werden intern nicht nur diesen Tag inszenieren, sondern möchten das ganze Jahr feiern. Das gibt uns die Möglichkeit zu schauen, was wir Ende des Jahres vielleicht noch live machen können. Wir haben im Februar mit „Zeit spricht“ angefangen. Im März findet ein Jubiläumsquiz statt. Wir planen gerade eine Aktion zum Schulstart, bei der wir bedürftige Kinder über eine soziale Einrichtung beschenken, um etwas an die Gesellschaft zurückzugeben. Und wir hoffen noch, dass wir im Spätsommer ein großes Mitarbeiterfest machen können.

„Zeit spricht“ ist eine Abwandlung von „Deutschland spricht“. Hier bringt „Zeit Online“ Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammen. Was ist die Idee von „Zeit spricht“? Wer soll mit wem sprechen?

Wir haben in einer Umfrage herausgefunden, dass wir uns intern eine bessere Streitkultur wünschen. Wir sind sehr höflich zueinander, aber zum Teil sehr harmoniegelenkt und sagen uns manchmal nicht offen die Meinung. Mit „Zeit spricht“ wollen wir kritische Themen ansprechen und offen über sie diskutieren. Wir wollen damit unsere Meinungsvielfalt stärken.

Wie läuft der Austausch konkret ab? Auf unbestimmte Zeit dürften persönliche Treffen kaum möglich sein.

Alle Teilnehmer mussten zwölf zugespitzte Fragen beantworten. Sollen bei der „Zeit“-Verlagsgruppe die Gehälter offengelegt werden? Soll es auf der Führungsebene eine verbindliche Frauenquote geben? Sind wir uns alle zu ähnlich? Dann wurden die Personen über einen Algorithmus mit jemandem gematcht, der komplett gegensätzliche Ansichten vertritt. Wie bei „Deutschland spricht“. Dann haben wir beiden Personen vorgeschlagen, sich eine Stunde zum Austausch zu treffen und miteinander ins Gespräch zu gehen.

Wie definieren Sie Ihre eigene Rolle als Leiterin der Unternehmenskommunikation in der Coronakrise? Wie haben sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit verändert?

Die interne Kommunikation hat durch die Pandemie einen viel größeren Stellenwert erhalten, sie wird auch mittelfristig der „Rising Star“ unserer Disziplin sein, der eine viel größere Bedeutung zukommen muss. Wir probieren in diesem Bereich viel Neues aus. Die Wertschätzung für die Mitarbeiterkommunikation war bei uns wie in vielen Unternehmen lange Zeit zu wenig ausgeprägt. Auch die Führungsebene hat erkannt, wie wichtig es ist, die Mitarbeiter gut abzuholen, zu informieren und die Community bei Laune zu halten.

Der bekannteste Name bei der „Zeit“ ist Giovanni di Lorenzo. Würde eine Interviewanfrage an ihn über Sie laufen oder entscheidet er allein, wem er wann Interviews gibt?

Die Anfrage kann über uns laufen. Ich würde sie an sein Büro weiterleiten, das seine Anfragen koordiniert. Wir würden gefragt werden, ob es Themen aus dem Verlag gibt, die aktuell wichtig sind. Zum Jubiläum koordinieren wir natürlich auch Interviews mit ihm. Aber er wie auch andere Personen aus dem Haus entscheiden selbst, wann und wo sie auftreten, im Presseclub oder woanders. Wir verstehen uns als Sparringspartner, nicht als Kontrollorgan.

Journalisten spielen in den Social Media häufig keine gute Rolle. Sie spitzen zu, polemisieren und pöbeln, was der journalistischen Marke, für die sie arbeiten, schadet. Mathias Döpfner hat das vor Jahren angeprangert; der neue Geschäftsführer der „NZZ“ in Deutschland Jan-Eric Peters bemängelt es ebenfalls. Inwieweit gibt es bei der „Zeit“ Social Media Guidelines für Journalisten?

Wir haben keine verbindlichen Guidelines, aber ungeschriebene Regeln. Ich halte unsere Vielstimmigkeit für einen Segen. Das macht „Die Zeit“ aus. Vorgaben zu machen sehe ich auch in Zukunft nicht bei uns in der Kommunikation. Die Journalisten treten ja nicht als Unternehmenssprecher auf. Die Redaktion hat eine hohe Autonomie, und das ist gut so.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DIGITAL FIRST. Das Heft können Sie hier bestellen.

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