Im vergangenen Jahr sind international in der Kommunikation drei große Themen in den Vordergrund gerückt: zum einen die UN-Initiative des „Unstereotyping“, zum anderen „Brand Activism“ und zum dritten die Frage, wie Erfolg („impact“) definiert werden soll. Mein Eindruck: Deutsche Kommunikationsverantwortliche und Agenturen müssen endlich in den 20er Jahren ankommen und bei diesen internationalen Entwicklungen den Anschluss finden. Es ist bestürzend, mit diesen Großthemen im Kopf auf deutsche PR-Kampagnen und die Einreichungen bei den hiesigen PR-Wettbewerben zu schauen.
Der offizielle Endpunkt der gemeinsamen Unstereotyping-Initiative von Kommunikations- und Kreativwirtschaft und der Vereinten Nationen war im vergangenen Jahr beim Kreativfestival in Cannes. Das Modell, nach dem sich beurteilen lässt, ob Kommunikation Stereotype befördert und zu überwinden hilft, wurde nach jahrelanger Diskussion und Vorbereitung vorgestellt. Erstaunlich oft haben Kommunikationsverantwortliche in Deutschland noch nie von dieser Initiative gehört.
Im Kern geht es bei Unstereotyping darum, dass nicht nur nichtstereotypische Repräsentanz in der Kommunikation gefordert ist, sondern auch Protagonistinnen und Protagonisten und die Erzählperspektive eine diverse Realität abbilden. Unternehmen, die der Allianz beigetreten sind, verpflichten sich, in ihrer Kommunikation darauf zu achten, welches Familien-, Männer- und Frauenbild und welches Bild nichtweißer Menschen sie transportieren. Internationale Beispiele aus Häusern wie Unilever oder Diageo zeigen, wie schon kleine Perspektivwechsel unglaubliche Kraft entfalten können.
Internationale Kreativfestivals haben die Kriterien des Unstereotypings in ihre Juryvorgaben aufgenommen – wodurch einige Kampagnen, die in Deutschland noch Preise gewinnen, international keine Schnitte mehr sehen. Die beiden großen PR-Wettbewerbe in Deutschland haben die Kriterien übrigens nicht übernommen.
Brand Activism – echte Veränderung
Im Zusammenhang mit Unstereotyping ist der Trend zu sehen, dass sich Unternehmen und Marken von reiner Haltung oder reinem Purpose hin zu aktiver Veränderung von Meinungen, ihrer Politik oder ihres Wirtschaftens entwickeln. Sie werden damit kontroverser und beziehen auf eine Weise Position, die auch schmerzhaft sein kann, weil sie nicht mehr nur abbildet, was ihre Kundinnen und Kunden ohnehin schon denken und meinen.
Durch Brand Activism werden Haltung und Purpose glaubhaft und eingelöst – und es ist damit auch eine Antwort auf die kritische Nachfrage an Unternehmen und Marken, was ihre Haltung für Konsequenzen habe oder ob alles nur Kommunikation sei.
Reine Haltungskampagnen sind von gestern. Ich beobachte zunehmend, dass Unternehmen sowohl durch ihre Mitarbeitenden als auch von Seiten ihrer Kundinnen und Kunden unter Druck geraten, ihrer Haltung auch Taten folgen zu lassen. Eine sich verändernde Gesetzeslage kann den Druck zusätzlich erhöhen: Dass wir zuletzt sehr viele aktivistische Kampagnen aus Frankreich gesehen haben, hängt auch damit zusammen, dass dort Unternehmen per Gesetz zu einem Purpose verpflichtet werden.
Brand Activism kam ursprünglich eher von jungen Marken und Unternehmen, die damit eine Nische besetzen konnten. Außerhalb Deutschlands schwappt das Konzept jetzt in den Mainstream. Im vergangenen Jahr war das besonders gut beim Thema „Female Empowerment“ zu beobachten, das zumindest in Europa, wo ethnische Diversität nicht so stark im Fokus steht wie in Nordamerika, das dominierende Feld von Aktivismus ist. Der Unterschied zwischen der lustigen Fake-Ratgeber- Kampagne der Sparkassen und der norwegischen „Girls Invest“-Kampagne der DNB-Bank – beide basieren auf dem exakt gleichen Thema, dem Investmentund Vorsorge-Gap – ist frappierend: Hier ein Lachen in der Kommunikationsblase. Dort eine reale und radikale Veränderung der Art, wie Frauen in ihre Altersvorsorge investieren.
Impact: Erfolge neu bewerten
Seitdem ich in der Kommunikation tätig bin, hadert unsere Disziplin damit, wie denn der Wert von PR zu messen und bewerten sei. Vom Voodoo des Anzeigenäquivalenzwertes über das Thema Reichweite bis hin zum Thema Engagement haben wir als Branche schon allerhand wenig hilfreiche Dinge ausprobiert.
In letzter Zeit ging es vermehrt um Aufmerksamkeit. Das führte dazu, dass PR im Kommunikationsmix oft zuständig war für die Stunts oder den Buzz. Also für Dinge, über die Menschen sprechen. Wenn ein TV-Spot viral ging, nannten das einige kryptisch „PR-Dividende“. Wenn ich in Jurys PR-Einreichungen aus Unternehmen oder aus Agenturen sehe – da gibt es spannenderweise fast keinen Unterschied –, dann wird bei Resultaten in Deutschland immer noch überwiegendauf Reichweite, Gespräche oder auf die Menge an Clippings hingewiesen.
Was im vergangenen Jahr international zu sehen war, ging in eine ganz andere Richtung: Da wurde entweder der sehr klare und direkte Abverkauf der PR-Kommunikation zugeordnet, oder es konnte eine Veränderung in der Gesellschaft oder im Verhalten von Menschen gezeigt werden.
Wenn beispielsweise die PR-Kampagne einer Hygienemarke dazu führt, dass 200.000 Schulbücher in Frankreich die Klitoris abbilden – was sie im Original nicht tun –, dann ist das etwas anderes, als wenn zehn Millionen Impressions für einen Aufruf generiert werden, doch mal etwas an der Darstellung der Klitoris in Schulbüchern zu ändern. Anderes Beispiel: Wenn der Verkauf von Impfdosen um 25 Prozent steigt, ist das nicht das Gleiche, wie wenn sich die Bekanntheit der Impfung um einige Prozentpunkte erhöht.
Wenn wir bei der Bewertung unserer Kommunikation fragen, was sie denn wirklich verändert hat, wird das dazu führen, dass wir bei der Entwicklung von Kommunikation einen anderen Blick einnehmen. Nicht mehr, dass es knallt, sondern dass etwas wirkt! Nicht mehr Story-Doing, sondern Transaktions- Doing. Nicht mehr Kampagnen der 10er Jahre, sondern wirksame PR für die 20er Jahre. So wie es in vielen anderen Ländern schon passiert.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CEO-KOMMUNIKATION. Das Heft können Sie hier bestellen.