Die Marke aufs Ohr

Podcasts

Als Ikea sich Ende vergangenen Jahres von seinem gedruckten Katalog verabschiedete, schlug der schwedische Möbelhersteller für sich ein neues Kapitel auf: Künftig solle die digitale Kommunikation im Fokus stehen. Nun kehrte der Katalog zurück, in digitaler und gleichwohl unerwarteter Form – als Podcast. In 13 Folgen führt eine weibliche Stimme durch den „Audio Catalogue 2021“ und beschreibt, was auf den einzelnen Seiten zu sehen ist. Das Ergebnis hat für Lacher, aber auch für Stirnrunzeln gesorgt. Die wahre Schönheit eines Billy-Regals erschließt sich bekanntlich erst, wenn man es sieht.

Mit seiner Experimentierfreude surft Ikea auf der Podcast-Trendwelle. Im vergangenen Jahr sind während der Corona-Zeit einer Studie des Analysedienstleisters Chartable zufolge mehr als doppelt so viele neue Podcast-Produktionen entstanden wie im Jahr davor – wohlgemerkt nur Produktionen in deutscher Sprache. Weltweit wurden knapp 900.000 Podcasts veröffentlicht – und damit fast dreimal so viele wie im Vorjahr.

Ein wachsendes Interesse an Podcasts registriert auch Constantin Buer, Geschäftsführer beim Full-Service-Anbieter Podstars by OMR in Hamburg: „Immer mehr Unternehmen investieren in Podcast-Produktionen, zum einen mittels klassischer Werbung, zum anderen aber auch in eigene Produktionen.“

Für den 31-Jährigen ist das eine nachvollziehbare Entwicklung. Wer einen wöchentlichen Corporate-Podcast höre, beschäftige sich eine Stunde lang mit einer Marke – die Bindung zur Zielgruppe sei damit stärker als bei jedem anderen Medienformat. „Die Brand-Message geht direkt ins Ohr der Hörer*innen“, sagt Buer, der mit seinem Team Kunden wie Red Bull, Vodafone und die Moderatorin Barbara Schöneberger betreut. Gleichzeitig konsumieren immer mehr Menschen Podcasts. Laut aktuellen Erhebungen hört mehr als jede dritte Person hierzulande zumindest gelegentlich einen Podcast. Während der Coronakrise hat die Nutzung noch weiter zugenommen – Tendenz steigend.

Zu den Unternehmen, die umfangreiche Podcast-Erfahrung besitzen, gehört die Deutsche Telekom. Hier gab ein praktisches Problem den Anstoß für ein eigenes Format. Im Service- und Geschäftskundenbereich der Telekom Deutschland fehlte die Zeit, um allen Kund*innen die große B2B-Online-Produktpalette im Detail zu erklären. „Wir haben uns gefragt: Wie können wir den Menschen die Produkte so nahebringen, dass sie schnell entscheiden können, ob wir der richtige Anbieter für sie sind?“, erinnert sich Lina Brinkschulte, die als „Head of Podcasts“ für das externe Podcast-Portfolio des Konzerns verantwortlich ist. Die Lösung: das Format „Digitalisierung einfach machen“. „In diesem Podcast erklären wir in vielen Folgen ein bestimmtes Produkt oder einen Service. Das heißt, wenn sich jemand für das Thema Cloud interessiert, kann sich die Person die entsprechende Folge anhören und hat dann schon das nötige Basiswissen“, sagt die Kommunikatorin.

Das Konzept ging auf. Zu dem Podcast, der 2017 startete, kamen in den folgenden Jahren sieben weitere externe Formate sowie zahlreiche in der internen Kommunikation hinzu.

Plumpe Werbung ist langweilig

Alle externen Formate, die das Podcast-Team um Lina Brinkschulte betreut, drehen sich um die Telekom: von Unternehmenskultur über Talks mit der Führungsebene bis hin zu digitalen Themen wie Netzausbau oder künstliche Intelligenz. Ein Prinzip, das gut funktioniert, solange dem Publikum ein Mehrwert geboten wird. „Niemand hört sich eine Stunde lang Werbung für Unternehmen an“, sagt Constantin Buer. Die richtige Balance zu finden zwischen der „Brand-Message“ und dem Mehrwert, sei oft ein schmaler Grat.

Im Trend liegen vor allem Storytelling-Formate, die fiktive Geschichten im Hörbuch-Stil erzählen. Die Lufthansa machte das 2019 mit ihrem aufwändig produzierten Podcast „Backup“ vor. Im Zentrum der fünfteiligen Podcast-Serie, die gemeinsam mit der Agentur Viertausendhertz umgesetzt wurde, steht Klara, die nach einem Autounfall in einem Krankenhaus aufwacht und die Geschehnisse sowie ihre eigene Vergangenheit rekonstruieren muss. Die Handlung spielt in einer hochtechnologisierten Zukunft, in der künstliche Intelligenz gerade dabei ist, die Kontrolle über die Menschheit zu erlangen. Der Clou: Die Lufthansa wird an keiner Stelle erwähnt. Das Unternehmen setzt auf die Metaebene, um ein bestimmtes Image zu transportieren: „Die Lufthansa Group ist eine visionäre, den Fortschritt prägende Instanz, die die großen Fragen nach Transport, Logistik und Technologie für die Zukunft beantwortet“, schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Das soll sich über die fiktive Podcast-Story übertragen.

Auch wahre Geschichten können zu diesem Zweck gut erzählt werden. In „Digital Crime“, dem jüngsten Format im Podcast-Portfolio der Telekom, werden reale Kriminalfälle aus dem World Wide Web aufgegriffen. „True Crime war ein Trend in den Podcast-Charts weltweit, bei dem wir wunderbar mit unserer Expertise für Cybersecurity aufspringen konnten“, erzählt Lina Brinkschulte. So berichtet IT-Sicherheitsexperte Alexander Schrinner in einer Folge über „Scamming-Mails“, wie er auf eine offensichtliche Betrugs-E-Mail antwortete und Schritt für Schritt einem Betrügerring in Nigeria auf die Schliche kam. Es ist derzeit das einzige Podcast-Format in Brinkschultes Team, das auf Englisch produziert wird. Durch die Folgen führt eine Sprecherin und so sind Produktion und Soundeffekte aufwändiger als bei den restlichen Formaten.

Der Aufwand ist ein Knackpunkt, den die meisten Unternehmen unterschätzen, bemerkt Constantin Buer. Dabei dürfe man den nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Die Konkurrenz ist riesig. Man sollte sich bewusst sein, dass Podcasts zwar ein schönes Content-Marketing ermöglichen, aber eben auch sehr viele Ressourcen schlucken.“ Bei einem klassischen einstündigen Interviewformat sollte man zwei Stunden Produktionszeit einplanen. Die Postproduktion kann je nach Format mehrere Tage in Anspruch nehmen. „Bei aufwändigen Storytelling-Formaten, einer Fiction-Geschichte oder einer Reportage, braucht man Autor*innen, ein Storyboard, atmosphärische Geräusche, Musik – und da ist die Zeit, die man für die Konzeptionierung, die Zielgruppenanalyse oder das Monitoring benötigt, noch gar nicht drin“, sagt Buer. Die Kosten für einen Podcast variieren entsprechend.

Wird überhaupt die richtige Zielgruppe erreicht?

Ob der Aufwand lohnt, zeigen Messgrößen wie die Reichweite, also wie viele Menschen den Podcast gehört haben, oder die Retention Rate. Das heißt, wie viele Menschen den Podcast bis zum Schluss gehört haben. Der Erfolg lässt sich erst nach einiger Zeit beurteilen. Bei „Digitalisierung einfach machen“ habe es anderthalb bis zwei Jahre gedauert, bis klar war, ob eine Folge gut oder schlecht gelaufen sei, berichtet Brinkschulte. Läuft es nicht wie geplant, gibt es Möglichkeiten, gegenzusteuern, wie etwa die Länge der Folge ändern oder den Podcast-Host austauschen, wenn die Person nicht gut ankommt.

Brinkschulte passt auch schon mal die Inhalte an. So sollte der Telekom-Podcast „Culture for Breakfast“ eigentlich Geschichten von Mitarbeiter*innen aus dem Unternehmen erzählen und so Talente anziehen. Ein Blick auf die tatsächlichen Hörer*innen zeigte allerdings, dass sie häufiger Podcasts zu Personalthemen hörten. Conclusio: Es interessierten sich weniger potenzielle Bewerber*innen für das Format als vielmehr Personalverantwortliche selbst. Seit Kurzem versucht das Podcast-Team, diese Zielgruppe besser anzusprechen, und setzt mit dem Format nun eher auf fachspezifischere Themen wie Unternehmenskultur und New Work. „Wir probieren, Formate eher anzupassen, als einzustampfen“, erklärt Kommunikatorin Brinkschulte. Unterstützung bei der Umsetzung erhält sie unter anderem von der Agentur Weber Shandwick.

Experimentieren lohnt sich, findet auch Constantin Buer, privat ein Fan von Klassikern wie „Zeit Verbrechen“ oder „Fest und Flauschig“ – Formate, die sich ebenfalls stetig weiterentwickelten und dadurch populär blieben. Zumal Podcasts im Medienkonsum der Deutschen angekommen sind. Live-Audio-Kanäle wie Clubhouse erweitern das Spielfeld zusätzlich. „Live- und On-Demand-Formate können gut nebeneinander bestehen, das klappt mit Netflix und Fernsehen ja auch“, sagt Buer.

Neue Podcast-Formate stehen bereits in den Startlöchern. Aktuell testet er mit einem Börsen-Update ein tägliches Format. Hervorgegangen aus den klassischen News-Morningshows, hat das Format aus Buers Sicht das Potenzial, sich künftig weiter in Richtung Unterhaltung zu entwickeln – und könnte somit auch für Unternehmen interessant werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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