Bei Anruf E-Mail

Zuckerbrot und ­Peitsche

Am 18. April um 15.20 Uhr schrieb ich einen Tweet. Es war, soweit ich das überblicke, der bisher erfolgreichste Tweet meines Lebens. Er lautete: „In Pressestellen werden Telefone eigentlich nur noch benutzt, um Journalisten zu sagen, dass sie eine E-Mail schicken sollen.“ Ich wählte, ohne groß darüber nachzudenken, den Hashtag #Unsitte. Und es gab – gleichsam im Sekundentakt – 474 Likes, 171 Retweets und 30 Erwiderungen von Menschen, die fast ausnahmslos aus der Medienbranche kamen und nahezu durchweg positiv reagierten.

Ich war, ich gebe es zu, ob der Resonanz ein bisschen euphorisiert. Denn ich kann jetzt unter allen Umständen sagen, dass ich da nicht allein für mich gesprochen habe, sondern für ziemlich viele geschundene Kollegen. Ferner kann ich sagen, dass die Pressestelle des Bundesinnenministeriums zurückschrieb: „Bei uns nicht…“ Sollte heißen: Im BMI werden telefonische Anfragen auch noch telefonisch beantwortet. Zwei weitere Pressestellen, darunter die eines anderen Bundesministeriums, meldeten sich später persönlich bei mir, fragend, offenkundig verunsichert – und durchaus schuldbewusst. Spätestens da wusste ich: Ich hatte einen wunden Punkt erwischt. Die Sache sollte Pressestellen zu denken geben.

Es gibt gewiss einleuchtende Gründe dafür, Journalisten um eine schriftliche Anfrage zu bitten. Etwa wenn es um komplizierte Dinge geht oder die Fragen an Politiker oder Fachabteilungen weitergeleitet werden müssen. Auch kommen Briefe oder Faxe als Medium der Übermittlung nicht mehr in Betracht. Es gibt aber gewiss weitaus triftigere Gründe, auf den E-Mail-Quatsch zu verzichten. Ein recht simpler Grund ist der, dass ich mich tatsächlich frage, wozu Telefone überhaupt noch da sind, wenn mit ihrer Hilfe allein zur Nutzung eines anderen Mediums aufgerufen wird. Überdies komme ich mir – sobald die Bitte laut wird – nicht selten wie der sprichwörtliche Bittsteller vor, der das von der Pressestelle gewählte Verfahren zu akzeptieren hat. Als müsste ich, wie das einst in der DDR hieß, eine „Eingabe“ machen, ohne mit einer Reaktion unbedingt rechnen zu können. Ohnehin wird die Bitte zuweilen in der Art eines Befehls vorgetragen.

Journalistisch spricht gegen das schriftliche Verfahren vor allem die Tatsache, dass kurzfristige Nachfragen nicht mehr möglich sind, vielleicht auch systematisch unterbunden werden sollen. Und schließlich drängt sich der Verdacht auf, dass von uns E-Mails nicht zuletzt deshalb erbeten werden, damit bei heiklen Sachverhalten möglichst abgezirkelte, nichtssagende und juristisch unangreifbare Auskünfte gegeben werden können. Verständlich, wenn auch unschön ist es, wenn eine E-Mail lediglich verlangt wird, weil Mitarbeiter einer Pressestelle schlicht zu faul sind, um den Namen des Anrufers, den Namen des Mediums und dessen Anliegen zu notieren.

Es wäre schön, wenn diese Form der Inflation gestoppt werden könte. Dem Verhältnis von Pressesprechern und Journalisten wäre es ganz sicher dienlich.

Dem Eindruck, es handele sich hier nur um eine #Unsitte aus Spießigkeit, kann ich gleichwohl höchstpersönlich widersprechen. Denn kürzlich rief ich im Büro des keineswegs spießigen grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele an, um einen Termin zu vereinbaren. Ich wollte den 78-jährigen Parlamentarier an einem seiner letzten Arbeitstage vor dem Ausscheiden aus dem Bundestag noch einmal begleiten. Als ich an einem Freitagnachmittag zu Ströbeles Büro durchdrang, um meinen Wunsch vorzutragen, bekam ich zu hören: „Können Sie uns bitte eine E-Mail schicken?“

Da wusste ich wieder, warum ich den Tweet geschrieben hatte.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe EHRLICHKEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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