„Antwortgeber müssen mutig und unbequem sein“

pressesprecher: Herr Mandoki,­ Sie kommen gerade von der Autoshow in Paris. Seit Jahren inszenieren Sie für den Volkswagenkonzern musikalisch die Weltpremieren verschiedener Fahrzeugmodelle. Wie klingt ein Auto?

Leslie Mandoki: Eine Frage, die auch mich immer wieder fasziniert. Jedes Modell, jedes Produkt und jede Marke klingt anders. Das Automobil ist nicht nur ein Fortbewegungsmittel. Es ist ein sehr emotionales Produkt und entsprechend breit gefächert sind die Musikstile, mit denen es sich darstellen lässt beziehungsweise wie es klingt. Der Unterschied zwischen der musikalischen Welt eines Audi A8 und eines Golfs beispielsweise ist enorm. Der A8 ist gediegen, kein Angebermodell, aber eine Marke für Menschen, die auf Wertigkeit und Fortschrittlichkeit in vollendeter Form achten. Entsprechend muss die Musik dafür klingen. Der Golf steht für deutsche Grundwerte wie Zuverlässigkeit und langlebiges Handwerk. Beim Touareg hingegen kann es dann schon etwas frecher, wilder und rockiger werden.

Wo lassen Sie sich für Ihre Arbeit inspirieren?

Ich brauche keinen besonderen Ort oder Umstand. Ich gehe auf die Straße, unterhalte mich mit den unterschiedlichsten Menschen, sehe Nachrichten oder höre mir an, was Kollegen gerade tun und tauche in den Zeitgeist ein. Egal, ob es der Koreaner ist, der mit einer witzigen Tanznummer in England und den USA eine gute Chartplatzierung erreicht oder aber die spanischen Jugendlichen, die öffentlichkeitswirksam auf die Jugendarbeitslosigkeit in ihrem Land aufmerksam machen. Es geht vielmehr darum, die gewonnenen Eindrücke zu reflektieren und in Musik umzuwandeln.

Doch eine Idee ist noch lange kein fertiges Lied. Wie entsteht aus einer Idee eine vollständige Komposition?

Das Klangbild habe ich in den meisten Fällen bereits im Kopf. Der anschließende Prozess ist dann relativ einfach. Darin geht es eigentlich nur noch darum, die richtigen Töne, also die richtige Form und Balance, zu der bestehenden Vorstellung zu finden. Aber vielleicht lässt sich das an einem Beispiel besser erklären. Das Lied ‚Last Day of Summer‘ entstand vor einigen Jahren nach einer harten Studiowoche in New York. Es war Ende September. Nach einer durchgearbeiteten Nacht und kurz vor meinem Rückflug nach Deutschland fuhr ich noch einmal zu meinem Lieblingsstrandcafé auf Long Island. Dort habe ich beobachtet, wie die Kellnerin, eine junge Studentin, einem älteren Herrn, um die siebzig Jahre alt, seinen Kaffee brachte. Als ich die Szene vor mir beobachtete, kam mir der Gedanke, dass das Mädchen wahrscheinlich am nächsten Tag zurück an die New York University geht und der Kerl betrachtet fasziniert dieses Mädchen und es war sein letzter Sommertag. Und dann war die Melodie auf einmal in meinem Kopf. Ich nahm mein Diktiergerät und zeichnete die Melodie schon mit Text auf. Ich habe einer realen Situation nur noch die Melodie und den Text hinzugefügt. Ein Musiker spürt, welche Musik wohin passt.

Und bei Automodellen funktioniert das genauso?

Fast. Bei einem Automobil oder generell wenn Musik als Kommunikationsmittel im Bereich Öffentlichkeitsarbeit oder Marketing eingesetzt wird, müssen sowohl rationale als auch emotionale Aspekte berücksichtigt werden. Einerseits sind es die Werte, für die eine Marke oder das entsprechende Automodell stehen soll. Doch diese sind meist schon festgelegt bevor die musikalische Arbeit beginnt. Andererseits muss man diese Werte später in der Musik auch spüren können. Für mich ist es dann eine Mischung aus Gefühl und Verstand. Idealerweise: Fühlen mit Verstand oder Verstehen mit dem Herzen. Wenn ich in der abgesperrten Design-Abteilung stehe und der Chefdesigner gemeinsam mit den Ingenieuren auf sehr emotionale Art und Weise den neuen Golf erklärt, dann ist es vergleichbar mit ,Last Day of Summer‘.

Sie sagten einmal von sich, dass Sie in einer Generation aufgewachsen seien, in der die Musik noch die Gesellschaft verändern wollte. Wie kann Musik gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen?

Viele gesellschaftliche Bewegungen haben zwar eine gewisse rationale, vielleicht auch intellektuelle Basis, getragen werden sie jedoch von Emotionen. An dieser Stelle können Musiker ansetzen und eine Gesellschaft mitgestalten. Musik ist Emotion und der Musiker der Transformator. Insbesondere Rockmusiker, die zumindest anfangs abseits des Mainstreams agieren, vertonen gesellschaftliche Veränderungen, emotionalisieren diese und treiben die Veränderung damit im Idealfall voran. Ich selbst habe als junger Musiker in Ungarn mit Rockmusik gegen eine Diktatur gekämpft und bin dafür oft verhaftet worden. Musik kann Massen mobilisieren. Bands wie die Beatles, das Woodstock-Festival, das noch heute stellvertretend für die Lebenseinstellung einer ganzen Generation genannt wird, oder die Rockoper ‚Jesus Christ Superstar‘, die Ende der 1970er Jahre versuchte mit Musik an der Starrheit der Religionsverständnisse zu rütteln, zeigen das.

 Aber welchen Vorteil hat gerade die Rockmusik gegenüber anderen Musikstilen bei der Gestaltung einer Gesellschaft?

Rockmusik ist unbequem. Und damit meine ich nicht die industrialisierte Massenware, die von vielen Entertainmentkonzernen auf den Markt geworfen wurde. Das war reine Unterhaltungsmusik bei der jeder Titel nach dem Schema ‚I love you, you love me‘ zusammengestellt war. Diese Musik war eine akustische Umweltverschmutzung. Unnötige Musik. Ich spreche bei Rockmusik vielmehr von der Musik abseits des Mainstreams mit Größen wie Cream, Jimi Hendrix, Jethro Tull oder Pink Floyd. Diese Musik hat bei ihrer Entstehung Ecken und Kanten und dennoch einen entscheidenden Vorteil. Sie erreicht eine große Zahl an Menschen. Musikrichtungen wie Jazz oder Klassik sind beide für sich wunderbare Stilarten, aber sie haben und werden nicht das breite Publikum erreichen, das es für eine gesellschaftliche Bewegung braucht. Michail Gorbatschow hat mir einmal erzählt, dass es in der Sowjetunion gelungen sei, Informationen aus der westlichen Tagespresse völlig aus dem Gebiet hinter dem Eisernen Vorhang fernzuhalten. Westliche Presse oder gar Fernsehen erreichten die Sowjetunion nicht. Selbst Radiosender wie Freies Europa oder Voice of America wurden technisch gestört. Was aber, laut Gorbatschow, am meisten an der Mauer zwischen den Systemen bohrte, war die Rockmusik. Sowohl die eingeschmuggelte westliche Rockmusik als auch deren Wirkung auf die Rockmusiker in der sogenannten ‚2. Welt‘. Einzig die vielen jungen, rebellischen Rockmusiker hätten sie nicht im Griff gehabt. Deshalb hat man dort den Schlager unterstützt und die Rockmusik so weit wie möglich gegängelt.

Sie komponieren Musik für Autokonzerne, setzen für den FC Bayern München die Fans musikalisch in Szene und schreiben Wahlkampfsongs für Angela Merkel. Muss ein Künstler immer hinter dem stehen, was er tut?

Natürlich sollte es so sein. Und glücklicherweise kann ich heute sagen, dass es bei mir auch schon seit langem so ist. Allerdings habe auch ich als Musiker nicht immer das gespielt, was mein Künstlerherz verlangt hat. Aber auch die Zeit als ‚Popstar‘ (als Mitglied der Musikgruppe Dschingis Khan, Anmerk. d. Red.) hatte ihr Gutes. Ich musste und habe viel über das Musikbusiness gelernt und viele Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. Seit langem leiste ich mir jedoch den Luxus, nur noch Projekte umzusetzen, von denen ich wirklich überzeugt bin. Dschingis Khan ist lange her. In der Retrospektive erscheint vieles lustiger als ich es damals empfand. Und das gilt nicht nur für die Musik. Ich bin vor kurzem gefragt worden, ob ich an einer Kampagne teilnehmen möchte, die sich mit dem Thema Integration befasst. Es ging um eine Aufforderung, mehr für die Integration zu tun. Bei dieser Kampagne habe ich sofort zugesagt. Als ich mit 22 Jahren nach Deutschland kam, hatte ich lange Haare, war ein ausgebildeter, aber illegal eingewanderter Musiker. Zudem sprach ich kein Wort Deutsch. Allerdings habe ich hier so viel Herzlichkeit, Liebe, Toleranz, Aufnahmebereitschaft und Respekt erfahren, dass ich geblieben bin, weil ich die Menschen, die Mentalität und die Kultur kennen und lieben gelernt habe. Da ist es nur konsequent, wenn ich heute nach vielen Jahren der erfolgreichen Zusammenarbeit mit vielen englischen, amerikanischen und deutschen Künstlern als Songschreiber und Produzent mich über die Ehre freue, Angela Merkel in der Wahlkampagne musikalisch zu unterstützen, die Ingenieurkunst von Martin Winterkorn musikalisch emotionalisieren zu dürfen oder für Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge musikalisch die Gesänge der Fans mitgestalten zu dürfen. Aber ebenso ist es für mich ein Privileg, für Allianz, Sixt, Disney und viele Fernsehshows von Gründerpreis, Herz für Kinder oder eine der international erfolgreichsten Dailys „Sturm der Liebe“ musikalisch gestalten zu dürfen. Die Integration in Deutschland war nicht wirklich schwierig. Ich fühle mich hier zu Hause und gerade aus diesem Grund nehme ich mir auch das Recht anderen Einwanderern zu sagen, entweder liebt ihr dieses Land oder geht lieber weiter. Identifiziert euch mit der Kultur, den Menschen, der Mentalität, denn sie sind fabelhaft. Diese Aussagen gefallen nicht jedem, aber sie sind meine Meinung. Mich stört es nicht, falls ich damit anecke.

Bei Ihrem Vortrag während des diesjährigen Kommunikationskongresses rieten Sie den anwesenden Kommunikationsverantwortlichen davon ab, Prominente als Markenbotschafter für ihre Unternehmen zu verpflichten. Warum?

Ich riet den Kommunikationsverantwortlichen ab, Markenbotschafter zu engagieren, die keine persönliche Botschaft haben. Da muss es eine Wertekompatibilität und eine große Schnittmenge und Übereinstimmung an Visionen geben. Es geht schließlich nicht um Botschaften wie Gewinnmaximierung, sondern zum Beispiel darum, die besten Autos zu bauen. Dieser Qualitätsanspruch ist es, der einen Ingenieur und einen Künstler verbindet. Beide wollen das Beste aus sich herausholen und ihre Ideen und Visionen wahr werden lassen. Und diesen Anspruch können Kommunikationsverantwortliche für ihr Unternehmen nutzen. Statt mehrere Millionen Euro in einen „Superstar“ zu investieren, sollten sie sich an Künstler wenden, die das Unternehmen musikalisch in den Vordergrund stellen. Manche Popstars wissen oftmals nicht, wo oder für wen sie gerade auf der Bühne stehen. Das Management regelt alles im Hintergrund. Ich will den Verantwortlichen nicht ausreden diese Künstler zu engagieren. Sie sollten sich jedoch die Frage stellen, ob man eine Rihanna, Beyoncé oder einen Justin Bieber nur weil diese gerade ‚in‘ sind engagiert, oder ob über diese Prominenten auch die Leistungen und Botschaft der Marke identifizierbar bleiben.

Das Titelthema dieser pressesprecher-Ausgabe sind Trends. Wie definieren Sie Trends?

Jede Entwicklung ist meiner Ansicht nach eine Antwort auf bestehende Fragen oder Veränderungen in der Gesellschaft. Ob man diese Entwicklungen wirklich als Trend bezeichnen sollte, darüber lässt sich streiten. Positive Entwicklungen sind für mich, um nur ein Beispiel zu nennen, die Verbreitung der sozialen Medien. Durch die sozialen Medien konnten wir beobachten, wie die Bevölkerung in vielen arabischen Ländern gegen ihre Unterdrückung protestierte. Youtube-Videos hielten uns auf dem Laufenden als keine Fernsehteams vor Ort waren. Doch Facebook, Twitter und Youtube haben auch eine Schattenseite. Viele Millionen Menschen leiden an einer kommunikativen Inkontinenz und einem pathologischen Mitteilungsbedürfnis. Jedes Detail und jede irrelevante Situation wird gepostet, geliked und mitgeteilt – für mich, der ich meine Daten und mein Leben noch als persönliche Intimsphäre betrachte, ist dieses Verhalten nicht immer nachvollziehbar. Aber ein Trend.

Sollte man als Musikproduzent eigentlich immer die Branchentrends im Blick haben oder verfolgen Sie konsequent ihren eigenen Stil?

Das beides schließt sich ja nicht aus. Wir sind alle mehr oder minder in unserer Zeit gefangen. Wir leben in einer Gesellschaft in der man sich gegenseitig beeinflusst. Sich von solchen Einflüssen oder Trends lösen zu wollen, ist glaube ich sehr schwer. Da müsste man wahrscheinlich wie ein Einsiedler leben. Daher hat man als Musikproduzent natürlich immer einen Blick auf aktuelle Entwicklungen und passt sich teilweise bei der Form und den Inhalten dem Zeitgeist an. Aber es ist wichtig, das nicht unreflektiert zu tun. Manchmal ist die gesellschaftliche Entwicklung nicht die richtige Antwort, die für einen persönlich oder aber für ein bestimmtes Unternehmen von Nutzen ist. Das sollte man dann auch selbstbewusst für sich festhalten.

Gibt es für Sie denn Trendsetter?

Genauso wenig wie ich daran glaube, dass man gezielt Trends setzen kann, glaube ich an Trendsetter. Ich bin vielmehr der Meinung, dass es Persönlichkeiten gibt, die einen großen Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen haben. Für mich sind es Antwortgeber. Also jene Persönlichkeiten, die – sei es politisch, gesellschaftlich, künstlerisch oder in der Wirtschaft – aktuelle Entwicklungen analysieren und entsprechende Antworten oder Produkte entwickeln. Sie geben durch ihre Ideen und Entwicklung den gesellschaftlichen Strömungen im besten Fall neue Impulse.

Was zeichnet diese Antwortgeber Ihrer Meinung nach aus?

Antwortgeber sind in erster Linie ‚Macher‘. Sie erkennen ein Problem als Aufgabe und Herausforderung und suchen nach einer Lösung oder einer Antwort. Doch dazu brauchen sie Mut. Antwortgeber müssen mutig genug sein, um Bewegungen zu erzeugen und Impulse zu geben. Das ist nicht immer leicht. Oft muss man dazu unbequeme Antworten liefern oder Themen konträr diskutieren. Wer selbst zu einem Antwortgeber werden will, dem muss bewusst sein, dass er nicht überall beliebt sein wird. Das muss man aushalten können. Aber an dieser Stelle schließt sich für mich der Kreis zwischen Musikern und Visionären in der Wirtschaft oder Politik. Sie streben alle auf ihrem Fachgebiet nach einer perfekten Umsetzung ihrer Visionen.

Kommen wir noch einmal auf Musik als Kommunikationsmittel der Öffentlichkeitsarbeit zurück. Würden Sie einem Kommunikationschef raten einem Trend zu folgen oder ihn davon überzeugen den altbewährten Weg zu gehen?

Es wäre anmaßend, wenn ich an dieser Stelle Kommunikationsverantwortlichen einen allgemeingültigen Ratschlag erteilen wollte. Jede Aufgabe muss individuell betrachtet werden. Generell bin ich der Meinung, dass man bei der Ideenfindung immer individuelle und authentische Antworten suchen und möglichen Trends nicht einfach hinterher laufen sollte. So etwas entsteht oft in einem bilateralen Gespräch, das einem neue Welten eröffnet. Bei mir ist dieser inspirierende kreative Gesprächspartner für Ideen und Konzepte des Volkswagenkonzerns, Kommunikationschef Stephan Grühsem. Meine Rolle ist es musikalische Antworten zu formulieren. Vielleicht ist es schwer nachzuempfinden, aber ein ganz wichtiger, aber schwer zu akzeptierender Aspekt ist: Gehör lässt sich nicht so einfach verschaffen. Vielmehr ist das Ziel die dauerhafte Öffnung des emotionalen Aufmerksamkeitsfensters. Das ist unsere Aufgabe. Da ist Musik oft das richtige Mittel.

Zur Person:

Leslie Mandoki ist Musiker und Musik­produzent. Mandoki studierte am Musikkon­serva­torium in Budapest und floh 1975 aus Ungarn. Als Produzent arbeitete er bereits mit internationalen Weltstars wie Lionel Richie, Phil Collins, Joshua Kadison und Jennifer Rush zusammen. 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Trends. Das Heft können Sie hier bestellen.

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