„Bayer will Performance mit neuer Unternehmensorganisation nachhaltig steigern“, lautete der Titel einer Pressemitteilung, die Bayer am 17. Januar 2024 veröffentlichte. Der Konzern habe damit begonnen, weltweit das Organisationsmodell „Dynamic Shared Ownership“ (DSO) einzuführen, heißt es. Das Ziel: Hierarchien abbauen, Bürokratie beseitigen, Strukturen verschlanken und Entscheidungsprozesse beschleunigen. Bayer erklärt in der Mitteilung zudem, sich in einer „schwierigen Lage“ zu befinden. Der Stellenabbau werde auch Führungskräfte betreffen.
„Bill Anderson macht Ernst: Bayer rasiert seine Führungsebene“, schrieb das Magazin „Capital“ zu Bayers Ankündigung. Bill Anderson ist seit Juni 2023 CEO bei dem Leverkusener Unternehmen, das aufgrund der Monsanto-Übernahme mehrere Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten in den USA aufwenden musste. Abschließend geklärt sind sie nicht.
Der 58-jährige Anderson kam von Roche. Erfahrung mit Restrukturierungen hat er aufgrund seiner Zeit bei US-Unternehmen. Bei Bayer kamen dann wohl der wirtschaftliche Druck, etwas verändern zu müssen, und die Überzeugung Andersons, den richtigen Weg in die Zukunft zu kennen, zusammen. Inspiration holte er sich beim amerikanischen Ökonomen und Unternehmensberater Gary Hamel. Dieser hinterfragt in seinem Buch „Humanocracy“ Managementmodelle und entwickelt neue, die die Kreativität der Mitarbeiter fördern sollen.
Die Umstrukturierung zieht sich nun durch das gesamte Unternehmen, das weltweit etwa 93.000 Menschen beschäftigt. Sie betrifft auch die Kommunikationsabteilung, die den neuen Kurs vermitteln muss. Einige Stellen sollen hier ebenfalls wegfallen. „Zu viele Menschen verschwenden ihre Zeit in ihren Jobs mit sinnlosen Tätigkeiten, die überhaupt nichts damit zu tun haben, wofür sie ursprünglich einmal angetreten sind“, sagt Anderson beispielsweise in einem Interview mit dem „Handelsblatt“. Ein Gefühl von „I can’t get anything done“ hat sich breitgemacht.
Entscheidungen dezentralisieren
Michael Preuss ist seit 2016 Kommunikationschef bei Bayer. Mehr als 300 Personen arbeiten in seiner Abteilung weltweit. Mit Ausnahme von drei Jahren bei Bosch ist Preuss seit 1998 für das Unternehmen tätig, das seit Generationen eine feste Säule der deutschen Industrie darstellt, sich jetzt aber fundamental ändern muss.
Der Kommunikator verweist im Gespräch auf die „extrem starke Kultur bei Bayer“, die man unbedingt erhalten wolle. Gleichzeitig gebe es im Konzern eine große Offenheit für Veränderung. Die seit dem Jahr 2024 eingeführten neuen Prozesse bei Bayer seien ein „radikaler Systemwandel“. Die Unternehmenskommunikation arbeitet seit Januar 2025 in der neuen Struktur.
Unternehmen verändern sich selten, solange es gut läuft. Für viele war die Coronakrise der Auslöser, um Strukturen zu hinterfragen und Abläufe zu digitalisieren. Es herrschte Veränderungsdruck. Bayer hat nach der Monsanto-Übernahme ab 2018 seine Kommunikation schrittweise auf eine themenorientierte Arbeitsweise im Newsroom-Stil umgestellt und Grenzen zwischen extern und intern aufgelöst. „Dynamic Shared Ownership“ ist eine Weiterentwicklung, um Hierarchieebenen zu reduzieren und agiler zu werden. „95 Prozent der Entscheidungen sollen in den Händen derjenigen liegen, die die Arbeit machen“, erklärt Preuss eines der Grundprinzipien.
Seine Abteilung arbeitet nun nach einem Ansatz, wie er in Agenturen üblich ist. Jeder Mitarbeiter hat ein „Home“. Bei Kommunikatoren ist das die Kommunikationsabteilung. Daneben gibt es „Work“. Das bedeutet: Bei Themen wie Markenmanagement oder der Entwicklung der Kommunikationskanäle des Konzerns ist „Home“ gleich „Work“, weil diese Themen von der Kommunikation verantwortet werden. Wenn es aber zum Beispiel um die Markteinführung eines neuen Produkts geht, die von einer Division verantwortet wird, dann findet „Work“ für diese Zeit in einem divisionalen Team statt. Das „Home“ bleibt die Kommunikation. Bei Bedarf kann auch auf zusätzlich benötigte Expertise und Ressourcen zurückgegriffen werden.
Aufteilung zwischen „Home“ und „Work“: die Kommunikation bei Bayer. Für eine vergrößerte Darstellung klicken Sie auf die Grafik.
Bayer will sich zu einem horizontal strukturierten Unternehmen entwickeln. Die Kommunikationsteams werden je nach Thema und Schwerpunkt immer wieder neu zusammengestellt. Die neuen Einheiten nennen sich „Squads“. Sie bestehen aus sechs bis zehn Mitgliedern und einem Lead. Es gibt ein klar definiertes Ziel. Organisieren sollen sie sich weitgehend selbst, ohne ständig an übergeordnete Führungskräfte berichten und Freigaben einholen zu müssen.
Eine zentrale Rolle kommt dem sogenannten Steering Team zu. Dem Steuerungskreis gehören 18 Personen an. Eine der ersten Aufgaben dieser Gruppe war es, jeden Mitarbeiter aus der Kommunikation einzelnen Squads zuzuordnen. Das Steering Team trifft sich regelmäßig. Es arbeitet eng mit den Squad-Leads zusammen.
Jede Squad soll mit den entsprechenden Kompetenzen für die anstehenden Aufgaben ausgestattet sein. Beispielsweise können Spezialisten für Medienarbeit, Social Media, Content sowie Event ein Team bilden. Es sollen sich allerdings auch Entwicklungsmöglichkeiten ergeben, um Neues außerhalb der bisherigen Komfortzone kennenzulernen.
„Wir haben die Mitarbeiter deshalb vorher gefragt, worin sie ihrer Meinung nach richtig gut sind, was ihnen Spaß macht und in welche Richtung sie sich entwickeln wollen“, sagt Preuss. Alle Mitarbeiter können mehr als einem Arbeitsteam und einer Squad angehören. Im Tagesgeschäft sieht das dann so aus, dass jemand seine Zeit zum Beispiel zu 30 Prozent für Projekt A, zu 40 Prozent für B und zu 30 Prozent für C investiert.
Aktuell gibt es Preuss zufolge in der gesamten Funktion global mehr als 50 solcher Teams, die Themen wie Nachhaltigkeit, Innovation, Finanzkommunikation und die Kommunikation zur „Dynamic Shared Ownership“ begleiten. Bayer hat den Projektzyklus auf 90 Tage verkürzt, was bedeutet, dass Erfolge in schnellen Abständen ausgewertet werden. Das soll unternehmerisches Denken fördern und dazu beitragen, wie ein agiles Start-up zu denken. Die Größe der Squads variiert und soll sich laufend den Prioritäten anpassen. Die Personen können zwischen den Squads wechseln.
Etwas Neues kennenlernen
Bayer ist in Divisionen wie „Pharmaceuticals“, „Consumer Health“ und „Crop Science“ aufgeteilt, zwischen denen es inhaltlich nur begrenzt Überschneidungen gibt. Bei Crop Science geht es um Landwirtschaft, Saatgut und Pflanzenschutz, was mit Krebstherapien, Empfängnisverhütung oder Medikamenten zur Schmerzlinderung inhaltlich und bezüglich der Zielgruppen wenig zu tun hat.
In der neuen Struktur arbeiten die Kommunikationsverantwortlichen nicht nur auf Projekten ihrer Division. In den Squads können Mitarbeiter aus verschiedenen Fachgebieten zusammenkommen, was von jedem einzelnen Flexibilität und Offenheit erfordert.
Beispiel: Ein Pressesprecher, der bisher hauptsächlich zu Landwirtschaft kommuniziert hat, kann nun Aufgaben mit Schwerpunkt Pharma übernehmen. Auf diese Weise sollen die Mitarbeiter neue Stärken entwickeln und Möglichkeiten bekommen, in Bereichen zu arbeiten, die ihnen Spaß machen, aber bisher vorenthalten waren.
Die primäre Frage ist, was gebraucht wird. „Für unsere Divisionen gibt es nach wie vor Personen mit der Expertise aus dem jeweiligen Produktbereich und Leute, die sich Kontakte aufgebaut haben. Für Journalisten haben wir weiterhin feste Ansprechpartner“, sagt Preuss. Bei ihm als Kommunikationschef verbleibt das gesamte Thema CEO- und Vorstandsberatung. „Natürlich bin ich nach wie vor involviert, wenn es um die großen Themen des Unternehmens oder auch Events wie Bilanzpressekonferenzen geht. In anderen Squads bin ich dann auch mal ein Mitglied wie viele andere Kollegen auch.“ Die Vorstände arbeiten mit festen Personen aus dem Steering Team zusammen.
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Neu eingeführt hat Bayer „Country Cluster“, die jeweils über einen Lead für die Kommunikatoren der jeweiligen Landesgruppe verfügen. Ein solches Cluster ist Nordamerika. Nord- und Osteuropa wurden zusammengezogen. Darüber hinaus gibt es Cluster für Deutschland/Schweiz, Südeuropa, Afrika und den Mittleren Osten sowie jeweils zwei Cluster in Lateinamerika und Asien. Preuss: „Die Kommunikatoren aus den Ländern erledigen ihre Arbeit lokal, beteiligen sich aber auch an globalen Teams – und umgekehrt. Das ist eine gute Entwicklungsmöglichkeit und stärkt die gemeinsame Verantwortung für globale und lokale Themen.“
Weniger Hierarchie
Das Steering Team soll alle Kommunikatoren weltweit führen. Preuss: „Zwischen jedem Kommunikator weltweit und mir gibt es genau eine vorgesetzte Person.“ Bayer arbeitet mit einer sogenannten Span of Coaching. War eine Führungskraft vorher im Durchschnitt für sechs Personen verantwortlich, sind es jetzt knapp 20. Insgesamt entfallen Stellen. Die Berichtslinien sollen sich vereinfachen.
Preuss verspricht sich von der regelmäßigen Priorisierung, dass Ressourcen zielgerichteter zugewiesen werden und weniger Zeit für Unwichtiges draufgeht. Es soll zudem transparenter werden, wer gerade an was arbeitet.
Mitarbeiter sollen bessere Chancen erhalten, sich entlang ihrer Fähigkeiten und Interessen zu entwickeln. Ein Hebel: Bewertungen finden künftig nicht mehr Top-down durch die Vorgesetzten statt, sondern auf Peer-Ebene. Die Arbeitskollegen bewerten sich untereinander.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Krise. Das Heft können Sie hier bestellen.