Na prima, das hat ihm gerade noch gefehlt. Jürgen S. ist sauer. Der Bereichsleiter eines mittelständischen Unternehmens, das dabei ist, sich neu auszurichten, kommt aus der Townhall. Sein Vorstand hat die Strategie der Neuausrichtung in einer schönen Präsentation vorgestellt: mehr Agilität, weniger Hierarchie, neue digitale Strukturen, aber: Details zu den Auswirkungen gab es keine – keine FAQ, keine Hintergründe. Sein Team ist nervös. Auch er selbst hat Fragen, denn die Veränderungen betreffen auch ihn persönlich, seinen Aufgabenbereich und die Rolle. Was kann er als Führungskraft nun tun? Wie soll er die Richtung vorgeben, wenn er selbst vom Wandel betroffen ist? Ignorieren oder aussitzen ist für ihn keine Option.
Gute Führung zeigt sich genau in solchen Momenten: wenn Unsicherheit spürbar wird, Fragen unbeantwortet bleiben und trotzdem niemand ausweicht. Wenn es Raum für Gespräch gibt – auch ohne klare Antworten. Wenn jemand da ist, der zuhört, erklärt und die Spannung mit dem Team aushält. Und wenn die Strategie nicht nur in Charts steht, sondern Stück für Stück im Alltag sichtbar wird – auch wenn noch nicht alles festgezurrt ist.
Selbstführung – der persönliche Anker im Wandel
In Zeiten tiefgreifender Veränderung geraten nicht nur Organisationen in Bewegung, auch die innere Landkarte von Führungskräften verschiebt sich. Der Druck steigt, die Klarheit fehlt, aber die Verantwortung bleibt. Wer in solchen Momenten führen will, braucht zuerst einen festen Anker: sich selbst.
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Führungskräfte haben die Aufgabe, Orientierung zu geben, auch wenn sie selbst gerade keine haben. Hier kann Selbstführung helfen, bei sich zu bleiben, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten und bewusst zu steuern, was sich steuern lässt.
Was Führungskräfte konkret tun können:
- Unsicherheiten ansprechen, ohne Panik zu erzeugen. Zum Beispiel im Teammeeting sagen: „Ich kenne selbst noch nicht alle Antworten – aber ich teile, was ich weiß.“
- Emotionen Raum geben. Auf Rückfragen nicht nur sachlich reagieren, sondern aktiv zuhören, Stimmung aufnehmen, Unklarheiten benennen.
- Veränderung kontextualisieren. Nicht nur das „Was“ erklären, sondern das „Warum“ und „Wozu“. Beispiel: „Diese Maßnahme ist Teil unserer langfristigen Ausrichtung hin zu …“
- Feedback einholen und auswerten. Eine kurze Pulsbefragung zur Stimmung im Team – und die Ergebnisse im nächsten Meeting offen diskutieren.
- Eigene Reflexion systematisch einbauen. Einmal pro Woche 30 Minuten blocken für die Frage: „Was hat mir Sicherheit gegeben? Was hat mich irritiert?“
- Micro-Trainings für Kommunikation nutzen. Kurzformate zu aktiver Gesprächsführung, Storytelling oder Umgang mit Widerstand stärken konkrete Handlungssicherheit.
- Transparente Kommunikation pflegen. Auch Unvollständigkeit kommunizieren, zum Beispiel: „Wir sind im Austausch mit dem Betriebsrat. Noch ist nichts final, aber wir halten euch eng informiert.“
Führung ist komplexer geworden, klassische Führungsrollen verändern sich. © Montua Partner Communications
Ein wichtiger Hebel und Sparringspartner ist dabei die Kommunikationsabteilung. Sie hilft bei allen Maßnahmen, füllt strategische Erzählungen mit Leben, schafft Räume für Dialog und stärkt Führungskräfte darin, in ihrer Kommunikation klar, zugewandt und glaubwürdig zu bleiben.
Beispiele für Selbstführung
Für viele Führungskräfte liegt die eigentliche Herausforderung nicht in der Veränderung, sondern im eigenen Umgang damit. Häufig helfen kleine Routinen, um einen klaren Kopf zu behalten und fokussiert zu bleiben:
- Kalender bewusst blocken. Denkzeiten oder Pausen fest einplanen – und nicht überbuchen.
- Klartext-Check-ins mit sich selbst. Morgens drei Fragen beantworten: Was ist heute wichtig? Was lasse ich bewusst liegen? Was wäre ein Erfolg?
- Trigger-Tagebuch führen. Kurz notieren, wann Stress hochschießt – und warum. Muster erkennen, aktiv gegensteuern.
- Entscheidungsklarheit schaffen. Was kann ich heute wirklich beeinflussen? Was akzeptiere ich? Was eskaliere ich?
- Aufgaben reduzieren. Ein Projekt bewusst priorisieren und das klar kommunizieren.
- Sprachliche Klarheit trainieren. Nicht drumrumreden, sondern sagen, was man meint – und was nicht.
Führung in Veränderungsprozessen verlangt heute mehr als „nur“ Richtung zu geben. Sie verlangt, Komplexität auszuhalten und dennoch Orientierung zu bieten. Wer Wandel gestalten will, muss ihn selbst mittragen können. Nicht perfekt. Aber präsent. Denn genau das schafft Vertrauen: wenn Führung auch in stürmischen Zeiten Haltung zeigt – und Mensch bleibt.