Ein Team bestehend aus einer Reihe von Alphatieren setzt sich zusammen, spricht auf Augenhöhe miteinander und fragt sich: Was lief gut? Was muss besser werden? Was packen wir als Nächstes an? Klingt nach dem idealen Peer-Feedback eines Start-ups im Co-Working-Space um die Ecke. Tatsächlich war es die erste Sitzung des Koalitionsausschusses der neuen Bundesregierung.
Gegenseitig bescheinigten sich die Parteispitzen eine „wirklich sehr gute Atmosphäre“ (Friedrich Merz) sowie ein „konstruktives und zielgerichtetes“ Arbeiten (Lars Klingbeil). Botschaft: Schaut, wie harmonisch der Sound im Vergleich zur Ampel ist.
Mag sein, dass da noch mehr Wollen als Wirklichkeit ist. Dass die beschlossenen Maßnahmen die Wirtschaft doch nicht so schnell in Schwung bringen werden wie erhofft. Doch hier geht es nicht um Politik, sondern um Kommunikation. Und was Peer-Feedback angeht, machten die Parteichefs tatsächlich bella figura.
Die Methode bezeichnet die Rückmeldung unter Gleichgestellten – mit dem Ziel, die eigene Arbeit besser einzuschätzen und zu verbessern, ohne dass ein Chef dazwischengeschaltet ist.
Unternehmen setzen Peer-Feedback seit einigen Jahren verstärkt ein – insbesondere im Software-, Tech- und Innovationsumfeld. Netflix etwa hat die üblichen Jahresgespräche abgeschafft und durch 360-Grad-Feedbacks ersetzt, in denen Mitarbeitende, Führungskräfte und vor allem Kolleginnen und Kollegen auf gleichem Hierarchielevel in radikaler Offenheit Feedback geben. Auch Bayer ging im Zuge der Einführung des Organisationsmodells „Dynamic Shared Ownership“ kürzlich zu Peer-Feedback über. Google wiederum setzt auf Fortbildung unter Gleichen.
Grenzen abstecken
Es fördert die Lernkultur, Selbstverantwortung und Teamleistung. Das zeigen Studien wie etwa von der TU Darmstadt. Doch die Realität erweist sich oft als holprig. Die Unsicherheit ist groß, was man sagen darf. Die Grenze zum gegenseitigen Runtermachen ist bisweilen schmal.
Ein prominentes Negativbeispiel lieferte – einmal mehr – Elon Musk. Im November 2022 berichteten CNN und Bloomberg über eine interne Mail, in der Musk die Mitarbeitenden von Twitter (heute: X) aufforderte, anonymisierte Reviews durchzuführen und ihre Kollegen zu bewerten. Wer schlecht beurteilt würde, müsste mit Entlassung rechnen.
Richtig verstanden, ist die Methode aber weder digitales Denunziantentum noch Mini-Assessment-Center oder nette Kaffeepausen-Plauderei. Dafür braucht es Vertraulichkeit, eine klare Struktur, Freiwilligkeit und einen Fokus auf Verhalten. Beispiel: „Bei der Diskussion hast du die drei Teilnehmer unterbrochen. Das wirkt abwertend“, statt auf die Persönlichkeit abzuzielen mit Sätzen wie „Du bist nicht teamfähig“.
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Das Wichtigste ist psychologische Sicherheit. Niemand sollte Angst haben, dass ehrliche Rückmeldungen zu Konflikten und Nachteilen führen. Die Rückmeldung selbst schließlich sollte konkret („Was habe ich beobachtet und wie hat das auf mich gewirkt?“) sein und zukunftsorientiert („Was wäre eine hilfreiche Alternative?“).
Peer-Feedback funktioniert dann am besten, wenn sich alle gehört fühlen. Was nicht heißt, dass auch alles ausgesprochen wird. Denn manche Dinge bleiben besser ungesagt: Beim Koalitionsausschuss überreichte Merz der scheidenden SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken einen Blumenstrauß für ihren Abschied aus dem Gremium. Ihr Feedback ist nicht überliefert. Aus gutem Grund.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltig. Das Heft können Sie hier bestellen.