Im aktuellen „CommTech Index Report“ gibt es Zahlen zu Newsrooms. Der Newsroom habe sich in größeren Organisationen mit 56 Prozent etabliert, heißt es dort. Kleine Kommunikationsabteilungen würden dagegen nur einen geringen Nutzen sehen. Mit 352 befragten Kommunikationsverantwortlichen ist die Datenbasis überschaubar. Für einige der Befragten mag ein Newsroom deshalb keinen Sinn machen, weil ihre Abteilungen einfach zu klein sind. Flexibel und kanalübergreifend zu arbeiten, ist dann Standard.
Newsrooms sollen Prozesse effizienter machen und Doppelzuständigkeiten auflösen. Neben der themenorientierten Arbeitsweise ist es vor allem die Steuerung über einen Chef vom Dienst (CvD), die das Newsroom-Modell auszeichnet.
Der Newsroom der SBB
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) organisieren ihre Kommunikation im Newsroom. Martina Rettenmund, Leiterin Planung und Kanäle, und Sonja Kramer, die die Content-Produktion verantwortet, hatten ab 2023 die Aufgabe, diesen neu aufzustellen sowie Prozesse und Rollen neu zu definieren. Beide arbeiten am Hauptsitz in Bern. Rund 90 Stellen umfasst die Kommunikation der SBB – inklusive der Mitarbeitenden, die sich um die Übersetzungen und Anlässe im Konzern kümmern. Die Kommunikation läuft in drei Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch.
Einen zentralen Raum als Newsroom hat die SBB nicht. „Wenn wir vom Newsroom sprechen, meinen wir die gesamte Kommunikation bei uns“, sagt Martina Rettenmund. Mit dem Aufbau der Newsroom-Struktur hat die SBB im Jahr 2018 begonnen, um auf Anforderungen an integrierte Kommunikation und neue Social-Media-Kanäle besser reagieren zu können.
Die Idee sei anfangs gewesen, kanalübergreifend zu arbeiten. Eine Person sollte beispielsweise sowohl Medienarbeit als auch Social Media machen. „Wir haben allerdings gesehen, dass das für uns nicht funktioniert“, erklärt Sonja Kramer. „Nicht jeder hatte das notwendige Know-how für jeden Kanal, so dass wir uns jetzt wieder fokussiert haben. Eine Person macht die Medienarbeit, eine andere erstellt die Social-Media-Posts.“
Die SBB geht bei ihrer Planung trotzdem nicht von den Kanälen aus. „Wir denken in Themen und arbeiten mit einem Themenhaus“, betont Rettenmund. Die Umsetzung liegt bei Spezialisten für die verschiedenen Kanäle. Es gibt Kanalmanager für Medienarbeit, interne Kommunikation und Kunden, Social Media sowie Eventformate – zusammen bilden sie das Kanaldesk.
Auf der Website der SBB gibt es zum Beispiel einen Artikel, in dem Skigebiete in der Schweiz vorgestellt werden. Klassisches Content-Marketing für Bahnkunden. Ein Themenverantwortlicher bereitet das auf und gibt die Storyline vor. Anschließend entscheidet sich, für welche weiteren Kanäle das noch relevant sein könnte – für Instagram zum Beispiel. Die Umsetzung inklusive der Erstellung von Grafiken oder Slidern macht dann eine andere Person. Produktionskompetenzen für Inhalte wie Videos und Podcasts hat die Bahngesellschaft inhouse.
Business-Partner
Die SBB setzt in ihrer Kommunikation auf ein Business-Partner-Modell. Das bedeutet, dass es in der Kommunikation einen Themen-Owner gibt und Teams immer wieder neu gemischt werden. Aufgabe der Business-Partner ist es, den Kontakt zum Geschäft zu halten und daraus abzuleiten, was als Themen für die Kommunikation relevant werden könnte. Sie bringen Themen aus ihrem Bereich oder von außen in den Newsroom ein.
Die SBB hat hierfür ein „Themenhaus“ entwickelt, in dem abgeleitet aus der Unternehmensstrategie Schwerpunkte mit Gewichtung, Botschaften und Zielgruppen definiert sind. Jedes Thema muss einem Schwerpunkt zugeordnet sein. Für die vier Schwerpunkte verantwortlich sind die sogenannten Themenmanager. Für die einzelnen Felder gibt es eine prozentuale Gewichtung: Auf „Reisen und transportieren“ entfallen aktuell 35 Prozent der Kommunikation genauso wie auf „Bauen und betreiben“. 25 Prozent sind für „SBB führen und leben“ und fünf Prozent für „Wachsen und entwickeln“ vorgesehen. Die Gewichtung wird regelmäßig überprüft.
Die Newsroom-Struktur der SBB. Über das Themenhaus kommen Inhalte in den Prozess. ©SBB
Im Herbst 2023 hat die SBB ihre Prozesse gezielt hinterfragt, um effizienter zu werden. Es hätten sich Routinen eingeschlichen. Der Gesamtblick habe den Teams gefehlt. Inzwischen gibt es klarere Rollenprofile und festgelegte Verantwortlichkeiten. „Ein Newsroom braucht Regeln und einen klaren Prozess mit Verantwortlichkeiten. Das muss man zusammen diskutieren und festhalten“, sagt Rettenmund.
Die offizielle Definition eines Business-Partners lautet jetzt: „identifiziert und prüft interne und externe Themen nach Relevanzkriterien und bringt sie in den Prozess“. Beim Themenmanager heißt es: „Prüft Themen nach Vorgaben des Themenhaus, gibt diese frei (für Weekly) und bewirtschaftet Schwerpunktthema auf strategischer Ebene.“
Inhaltlich hat sich die Kommunikationsabteilung für Themen eine Priorisierung überlegt: A, B und C. Jede Kategorie besitzt einen eigenen Freigabeprozess. Strategische Themen waren vorher manchmal zu kurz gekommen.
A sind für das gesamte Unternehmen strategisch relevante Themen, die meist die gesamte Schweiz betreffen und eine hohe Aufmerksamkeit erzielen. B sind Themen mit mittelgroßer Imagewirkung, die verschiedene Divisionen involvieren. C sind Themenfelder, die eventuell regional eine hohe Wichtigkeit haben oder für einen Kanal relevant sind. So ist jetzt auch festgelegt, wann die Kommunikations- oder Konzernleitung Freigaben erteilen muss. Kategorie C liegt weitgehend im Kompetenzbereich der Business-Partner und Themenmanager.
Während andere Unternehmen auf der CvD-Position teilweise täglich wechseln, ist ein CvD bei der SBB meist eine Woche im Einsatz. Zusätzlich hat die SBB eine Rolle des Leiters Content eingeführt. „Wir haben gemerkt, dass wir hier Kontinuität benötigen. Jemanden, der die Themen im Griff hat und weiß, was genau in allen Regionen läuft“, sagt Kramer. Das Newsdesk koordiniert die Umsetzung.
2024 lag die Pünktlichkeit im gesamten Netz der SBB auf einem Rekordwert von 93,2 Prozent und auch im Fernverkehr bei über 90 Prozent. Kramer: „Das Image ist gut. Die Schweizerinnen und Schweizer haben wenig Verständnis, wenn ein Zug drei Minuten zu spät kommt. Die Ansprüche sind hoch.“ Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist in der Schweiz durchaus ein Thema. Die SBB gehört zu den teuren Bahnen.
Pressesprecher – Kanalmanager Medien genannt – gibt es weiterhin. Zehn in allen Landesteilen. Etwas 6.000 Medienanfragen erhält die SBB pro Jahr. Die Medienarbeit wird zielgruppenspezifisch angepasst. Welche Zielgruppe über welchen Kanal angesprochen werden soll, ist im Themenhaus festgelegt.
Der Newsroom der Lufthansa
Der Newsroom der Lufthansa gehört zu denen, die in Fachpublikationen häufiger abgebildet werden. Das mag daran liegen, dass es bei dem Luftfahrtkonzern eine Reihe von Bildschirmen und ein redaktionsähnliches Newsdesk zu sehen gibt, das hufeisenförmig angeordnet ist. „Der Raum war das Endergebnis und nicht der Beginn des Prozesses“, sagt Andreas Bartels, Leiter der Konzernkommunikation bei der Lufthansa Group.
Seine Erfahrungen mit Newsrooms gehen bis ins Jahr 2012 zurück. Bartels verantwortete zu dem Zeitpunkt die Kommunikation der Airline Lufthansa und noch nicht die des gesamten Unternehmens. „Wir haben damals überlegt, wie wir die Kommunikation so verbessern können, dass wir mit der wahnsinnigen Aktualität umgehen können“, sagt er heute. Bartels sah das Risiko, der von den Social Media geforderten Geschwindigkeit nur noch hinterherzuhecheln und Themen nicht mehr vermittelt zu bekommen. Der Newsroom sollte der besseren Planung dienen. Die Struktur aus externer Kommunikation, interner Kommunikation, Event und Corporate Social Responsibility wurde aufgelöst. Rollen wurden neu definiert – geleitet von der Frage, wie die Prozesse zu gestalten und was die Schnittstellen sind.
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Den Newsroom-Ansatz hat Bartels dann auch bei der Lufthansa Group weiterverfolgt. Die Struktur und Themenorientierung sind für ihn ein Weg zur Effizienzsteigerung: „Doppelarbeiten fallen weg.“ Die Kommunikation durchläuft vier Phasen: Planung, Produktion, Distribution und Evaluation. Es entsteht beispielsweise ein Master-Text, woraus sich dann eine Infografik oder ein Film entwickeln lässt. „In der Distribution wird ein Asset für die verschiedenen Kanäle vielleicht noch mal angepasst, ein bisschen verlängert oder gekürzt, aber im Wesentlichen greifen wir auf dieselbe Ausgangsbasis zurück“, sagt Bartels.
Bei der Lufthansa liegt die Steuerung bei einem CvD, der hier Newsroom Manager heißt. Die Aufgabe wechselt wöchentlich. Sie liegt bei den Abteilungs- und Teamleitungen, die es für den Newsroom, den Corporate-Bereich und die Airlines gibt. Ein Newsroom Manager ist verantwortlich für die Leitung der morgendlichen Abstimmungsrunden und steuert das Tagesprogramm. Wie viele andere Unternehmen hat die Lufthansa während der Coronazeit die Prozesse digitalisiert, so dass die Abläufe auch ohne Anwesenheit im Büro funktionieren. Bartels: „Wir sehen allerdings, dass die Präsenz im Newsroom ihren Wert hat.“ Etwa 50 Personen arbeiten in der Kommunikation des Konzerns.
Effektivere Planung
Der Kommunikator sieht die Geschwindigkeit als den größten Vorteil eines Newsrooms. Airlines sind häufig von Krisen betroffen. Internationale Konflikte wirken sich auf Flugrouten aus. Streiks des Bodenpersonals können zum Canceln von Flügen führen. Dazu kommen Hackerangriffe, Unfälle und schlimmstenfalls Abstürze.
„Wir sind darauf angewiesen, eine Struktur zu haben, die dann unmittelbar reaktionsfähig ist und in der wir schnell Ressourcen anders zuteilen können“, erklärt Bartels. „Für uns als Airline ist es noch einmal wichtiger, einen Newsroom zu haben als für Firmen, die weniger von der Aktualität beeinflusst sind.“ Hinzu kommen geschäftliche Risiken. Aktuell klagen die europäischen Airlines über die hohen Regulierungshürden besonders in Deutschland.
Von der Tagesaktualität geprägt zu sein, bringe auch Nachteile mit sich. „Es verleitet dazu, langfristige Themen aus dem Auge zu verlieren, wenn man sich wie eine Redaktion in dieser Aktualität bewegt“, erklärt Bartels. Das Arbeiten zwischen Newstickern und Echtzeitmonitoring sei nicht die beste Umgebung, um sich über die Themen der nächsten drei Jahre Gedanken zu machen. „Da muss man sich selbst disziplinieren und zwingen, sich ab und zu mal rauszunehmen, um genau das zu tun“, sagt er.
Die Lufthansa gehört zu den Unternehmen, die besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Berichterstattung entsteht allerdings auch, ohne dass die Kommunikationsabteilung darauf Einfluss nehmen kann. Bartels: „Ich kann einen Tag mit wundervollen Nachrichten, toller Qualität und Tonalität haben. Wenn es aber nicht von uns kommt, können wir uns die Lorbeeren nicht umhängen.“ Das wichtigste KPI ist für den Kommunikator deshalb der Selbstinitiierungsgrad. Was wurde von der Lufthansa selbst in die Wege geleitet?
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Strategie. Das Heft können Sie hier bestellen.