Der aktuelle „CommTech Index Report“ kommt zu dem Ergebnis, dass der Newsroom „polarisiert“. 56 Prozent der größeren Organisationen würden mit einem Newsroom arbeiten. 36 Prozent lehnen ihn ab. Was sind die Gründe für die Ablehnung?
Moss: Wenn 36 Prozent sagen, sie lehnen einen Newsroom ab, heißt das auch, dass fast zwei Drittel ihn gut finden. Für mich ist das eine gute Zahl. Man muss immer schauen, wer gefragt wurde. Ein Newsroom hat auch etwas mit Macht abgeben zu tun. Kommunikationschefinnen und -chefs muss klar sein, dass sie Befugnisse an jemanden geben, der im Tagesgeschäft Entscheidungen sehr autark fällt.
Dieser jemand wäre ein CvD?
Genau – die Chefin oder der Chef vom Dienst. Das Anfangskapitel in meinem ersten Newsroom-Buch handelte schon von Macht. Das zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch. Menschen müssen erst mal schlucken, wenn sie Macht abgeben. Gute Führungskräfte sagen dann: „Super. Entscheidet doch für mich, dann habe ich den Rücken frei.“ Es gibt aber auch Personen, die ein Kontrollbedürfnis haben und sagen, sie möchten die letzte Pressemitteilung immer noch freigeben. Das sorgt dann für Unsicherheit und Ablehnung. Wenn jemand weiterhin alles in der eigenen Hand behalten will, dann sagen wir auch schon mal, dass man einen Newsroom besser lassen sollte. Ein anderer Grund für Ablehnung ist die Angst vor einem Change-Projekt. Newsroom bedeutet Change.
Sie haben in der vergangenen KOM-Ausgabe Ihren persönlichen Newsroom-Moment aus dem Jahr 2011 beschrieben. Seitdem hat sich die Medienlandschaft weiter verändert, aber die grundsätzliche Aufteilung mit klassischen Medien und Social Media gab es bereits. Social Media sind noch stärker geworden. Spricht das jetzt erst recht für einen Newsroom?
Absolut. Wir sehen auch ein großes Interesse. Wir stellen fest, dass es nicht mehr allein um Kommunikation, sondern zunehmend auch um Marketing geht. Vertriebsabteilungen merken ebenfalls, dass Marketing auch Vertriebskommunikation bedeutet und man dafür eine Newsroom-Struktur braucht. Bei einem Newsroom muss man aber die alten Probleme lösen: Wer hat die Budgets? Welche Botschaften wollen wir vermitteln? Wer ist zuständig? Die Leitung Marketing oder die Leitung Kommunikation?
In welchen Bereichen sehen Sie eine große Nachfrage, als Newsroom arbeiten zu wollen? Welche Branchen sind die Treiber?
Das sind vor allem große NGOs und Kommunen – Großstädte und deren Behörden. Der öffentliche Bereich und Kulturbetriebe wie Opernhäuser, Theater und Museen.
Im Kern sagt das Newsroom-Modell, dass Organisationen themenorientiert arbeiten. Die Kanalauswahl orientiert sich an den Themen. Für welche Organisationen ist das nicht die richtige Arbeitsweise?
Es gibt kein Unternehmen, für das themenorientiertes Arbeiten keinen Sinn ergibt. Die Frage ist, ob man das wirklich will. Es ist wie beim Arzt. Man spürt einen Schmerz. Wenn der groß genug ist, dann kommen die Leute zu uns. Beim Newsroom geht die Richtung nicht nur von innen nach außen, sondern auch von außen nach innen. Die Kanäle sind genauso wichtig wie die Themen. Wenn jemand also für Linkedin zuständig ist, soll die Person Impulse von Linkedin in den Newsroom tragen und daraus Themen generieren.
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Sie erwähnten das gestiegene Interesse von Kommunen an Newsrooms. Worauf ist das zurückzuführen?
Es sind nicht nur Städte, sondern auch Landkreise, Bildungs- und Forschungseinrichtungen wie Universitäten oder Krankenhäuser. Wenn man digitalisieren will, ist die Kommunikation der erste Schritt. Und dann ist man schnell beim Newsroom, weil er digitales Denken fördert: kritikfähig sein, Brücken bauen, zuhören und datenorientiert arbeiten. Kommunen haben zusätzlich eine Sonderproblematik: Journalistische Redaktionen verlagern ihre Recherchearbeit immer stärker hin zu den Städten.
Inwieweit betrifft das deren Kommunikation?
Die Redaktionen schicken einfach morgens eine E-Mail mit zehn Fragen. Beispielsweise wie viele Bäume in einer Straße gepflanzt wurden. Bis 12 Uhr brauchen sie eine Antwort. Die Anfragen werden immer mehr, kurzfristiger und länger.
Wie kann ein Newsroom das auffangen?
Wir brauchen im Newsroom eine Stelle, die in der Lage ist, darauf zu reagieren. In so einer Situation kann man sonst nicht mehr strategisch kommunizieren. Die Kommunikationsabteilungen in den Kommunen sind sehr modern geworden, aber es bleibt die Schnittstelle zu den Ämtern. Wenn die nicht kommunizieren wollen, hat man ein Problem. Es gibt noch den Sonderfaktor, dass sich im öffentlichen Bereich die Mitarbeitenden in einer bestimmten Gehaltsstruktur befinden. Wenn man über Change spricht, bedeutet das immer, dass Menschen Angst haben, degradiert zu werden oder jemand anderes könne an einem vorbeiziehen. Es wird aber niemand degradiert.
Was erhalten Sie an Feedback von Organisationen, die in einem Newsroom arbeiten? An welchen Stellen zeigen sich die größten Schwierigkeiten in der Praxis?
Man muss aufpassen, nicht wieder in alte Muster zurückzufallen. Wir brechen Silos auf und das muss man auch durchhalten.
Wo zeigen sich diese Silos besonders?
Ein typisches neues Silo ist Tiktok. Das sind oft junge Frauen oder Männer, die ihr eigenes Ding machen. Wir haben öfter erlebt, dass sie etwas Zeit brauchen, um sich zu integrieren. Dann heißt es schon mal, Themen seien nur für Tiktok relevant. Dabei geht es eigentlich um Arbeitsplätze oder um die Gesellschaft. Das kann auch andere interessieren. Zumindest wäre es gut, wenn andere im Unternehmen erfahren, was denn bei Tiktok so los ist.
Manchmal stellen Unternehmen fest, dass ihre Kommunikation nicht mehr so läuft und Zahlen schlechter werden, sie aber nicht wissen, woran es liegt. Wo würden Sie ansetzen, wenn Sie Schwachstellen finden müssten?
Wir würden uns die Themen und Kanäle ansehen. Und vor allem mit den Personen sprechen, die dafür verantwortlich sind. Warum werden Geschichten auf Linkedin nicht mehr gelesen? Weil die Themen keinen interessieren? Wenn wir das dreimal hören, hat das Unternehmen möglicherweise auf die falschen Themen gesetzt. Wir hatten mal von einem Flughafen gehört, dass deren meistgeklickte Bilder immer die Tiere auf dem Rollfeld waren. Nur kann man nicht den ganzen Tag nur Häschen posten.
Die Häschen bringen einen strategisch nicht weiter.
Genau. Es kann auch bedeuten, weniger Reichweite zu haben, weil wir langweilige Themen posten, die aber strategisch wichtig sind. Man muss sich also die Content-Strategie und Themenarchitektur anschauen und analysieren, ob die Themen überhaupt etwas mit der Unternehmensstrategie zu tun haben. Oft hören wir, dass es keine Strategie gibt. Es wird aus dem Bauchgefühl heraus kommuniziert.
Wenn man die Schwachstellen gefunden hat und nachjustieren will, welche Möglichkeiten gibt es dann?
Ein Newsroom kann ohne eine operative Steuerung und CvD-Denken nicht funktionieren. Auch nicht, wenn ein Chef allen sagen will, was sie zu tun haben. Das zweite Problem ist, wenn es überhaupt kein Planungstool gibt. Das kann auch ein Whiteboard sein. Hat man das nicht, muss man es einführen. Den Prozess, Wissen zu teilen und Macht abzugeben, muss man etablieren. Beispielsweise durch Konferenzen, die Sinn und Spaß machen und nicht einfach nur Meetings sind. Ein Klassiker sind Doppel- und Dreifachrollen. In der idealen Form hat im Newsroom jede Person eine Rolle. Doppelbesetzungen sind bei weniger als zehn Mitarbeitenden sinnvoll.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Strategie. Das Heft können Sie hier bestellen.