„Hofnarr“-Äußerung zerstört Scholz’ Traum von der Aufholjagd

Bundestagswahlkampf

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) als „Hofnarr“ bezeichnet. „Jede Partei hat ihren Hofnarren“ soll das Zitat wörtlich lauten. Scholz hat inzwischen eingeräumt, den Begriff verwendet zu haben. Außerdem soll der Kanzler den schwarzen Chialo mit dem Begriff „Feigenblatt“ herabgewürdigt haben. Der Vorfall fand auf einer Geburtstagsfeier des Unternehmers Harald Christ am 2. Februar mit rund 300 Gästen statt.

Georg Meck, Chefredakteur des Magazins „Focus“, hatte den Dialog von Scholz und Chialo auf der Feier mitbekommen und zehn Tage später über den Vorfall bei „Focus online“ berichtet. Meck ordnete die Äußerungen von Scholz als rassistisch ein. Der Bundeskanzler wies kurz nach der Veröffentlichung in einem Statement auf X die Vorwürfe als „absurd und künstlich konstruiert“ zurück. Außerdem geht er mit Hilfe der Kanzlei Schertz Bergmann juristisch gegen die Berichterstattung von „focus.de“ vor. Das Medium wertet den Schritt als Ablenkungsmanöver von Scholz und hält an seiner Einordnung fest.

Für den Bundeskanzler kommt das Thema zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt nach oben. In Umfragen verharrt die SPD abgeschlagen hinter der Union bei 16 Prozent. Am Sonntag steht eine wichtige TV-Sendung an – eine Viererrunde bei RTL mit Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Alice Weidel (AfD). Heute Abend können im ZDF Bürger den vier Kandidaten Fragen stellen. Der Plan des Kanzlers dürfte gewesen sein, in dem Duell vor allem gegenüber Merz zu punkten. Das erscheint kaum noch möglich. Der Vorfall wird die RTL-Diskussion und die Berichterstattung bis zum Wahltermin am 23. Februar prägen.

Für einen Bundeskanzler, der im Verdacht steht, einen schwarzen Politiker mit rassistischen Äußerungen abgewertet zu haben, dürfte die Öffentlichkeit kaum Verständnis haben. Für Scholz ist das der Super-GAU. Seine persönliche Integrität steht in Frage. Andere Wahlkampfthemen geraten in den Hintergrund. Seine gesamte Strategie für den Wahlkampfendspurt ist obsolet.

Im Wahlkampf versuchen Scholz und seine Partei, Merz als jemanden darzustellen, der schnell die Kontrolle verliert. Jetzt gilt allerdings der Kanzler als derjenige, der sich in emotionalen Situationen nicht im Griff hat und dem die Worte entgleiten. Die Positionierung als erfahrener und besonnener Krisenmanager hat noch mehr Kratzer bekommen als sowieso schon.

Rhetorische Schärfe hat zugenommen

Seit der Abstimmung im Bundestag, bei der die AfD bei Anträgen und Gesetzen zur Migrationsbegrenzung gemeinsam mit der Union stimmte, hatte Scholz seine Rhetorik gegenüber Merz noch einmal verschärft. Er wirft dem CDU-Chef Unzuverlässigkeit vor. In den nächsten beiden Wochen kann Merz Scholz nun genüsslich auskontern, indem er auf dessen Vorfall mit Chialo verweist. Kann man einem Bundeskanzler trauen, der nach ein paar Weißwein die Kontrolle verliert? Einen Politiker der Konkurrenzpartei als „Hofnarr“ zu bezeichnen, ist in jedem Fall schlechter Stil und eines Kanzlers unwürdig. Das Bild klebt jetzt an Scholz.

Es fällt auf, dass Scholz nach dem Ende der Ampel-Koalition seine Rhetorik verändert hat. Er ist aggressiver geworden. Offenbar will der Bundeskanzler auf diese Weise die ihm oft unterstellte Führungsschwäche kaschieren. Bei Interviews vermied Scholz bislang häufig klare Aussagen und flüchtete sich in Allgemeinplätze. Seine Reden wirkten langweilig und einschläfernd. Inzwischen schießt Scholz häufiger über das Ziel hinaus. Was kämpferisch erscheinen soll, kommt jetzt arrogant und besserwisserisch rüber.

Bei der Entlassung des damaligen Bundesfinanzministers Christian Lindner warf er dem FDP-Politiker beispielsweise vor, zu oft „kleinkariert parteipolitisch taktiert“ zu haben. Lindner gehe es nur um die „eigene Klientel“ und das „kurzfristige Überleben der eigenen Partei“. In einer Bundestagsrede sprach er dem FDP-Chef und dessen Partei die nötige „sittliche Reife“ zum Regieren ab. In einem ZDF-Interview sagte er über Friedrich Merz „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“, womit er dem CDU-Chef Lügerei unterstellte. Der CDU-Kanzlerkandidat hat nach der gemeinsamen Bundestagsabstimmung mit der AfD vielfach ausgeschlossen, künftig mit der Rechtsaußenpartei in irgendeiner Form zusammenzuarbeiten. Scholz Wahlkampfstrategie baut darauf auf, die Erzählung zu verbreiten, er könne Merz in dieser Frage nicht mehr vertrauen. Scholz suggeriert damit erneut, dass der CDU-Kandidat ein Lügner ist.

Krisenkommunikation in drei Schritten

Dass der Rassismus-Vorwurf des „Focus“ Scholz schwer schaden könnte, scheint ihm und seinem Team schnell klargeworden zu sein. Der Bundeskanzler reagierte in seiner Krisenkommunikation in drei Schritten.

Als erstes ließ er ein Statement verbreiten, in dem er oberflächlich den Sachverhalt schilderte und sich dagegen wehrte, die Äußerungen gegenüber Chialo rassistisch gemeint zu haben. „Der dabei von mir verwandte Begriff ist im Sprachgebrauch nicht rassistisch konnotiert und war von mir auch nie so intendiert“, sagte er. Die Begriffe „Hofnarr“ und „Feigenblatt“ verwendete er nicht, obwohl sie längst durch die Medien gingen.

Darüber hinaus schaltete Scholz die Kanzlei Schertz Bergmann ein, die dann eine Pressemitteilung verbreitete. Anwalt Christian Schertz erklärte in dem Schreiben, dass Olaf Scholz gegen die Berichterstattung auf focus.de vorgehe. Konkret wehrt sich der Kanzler gegen den Satz „Als CDU-Politiker Joe Chialo einwandte, ob er das wirklich so meine mit dem Rassismus der CDU, jener Partei also, in deren Bundesvorstand er sitzt, fuhr Scholz ihn an, er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt.“ Scholz behauptet, die Formulierung „der Schwarze“ niemals getätigt zu haben.

Der „Focus“ könnte hier tatsächlich einen Fehler gemacht und unklar formuliert haben. Bei dem Einschub „der Schwarze“ dürfte es sich um eine einordnende Ergänzung des Chefredakteurs handeln. Die beiden Wörter lassen sich allerdings auch als Teil eines indirekten Zitats von Scholz deuten. Durch die Verbindung der Begriffe „der Schwarze“ und „Feigenblatt“ entsteht der Bezug zu Chialos Hautfarbe.

In einem am Mittwochabend ausgestrahlten Interview mit Markus Feldenkirchen vom „Spiegel“ wehrte sich Scholz dagegen, eine Verbindung zur Hautfarbe Chialos hergestellt zu haben. Der Kanzler will seine Äußerungen dagegen so verstanden wissen, dass der liberal eingestellte Chialo jemand ist, dessen Mitgliedschaft im Bundesvorstand der CDU vor allem dazu diene zu übertünchen, wie rechtslastig die Führung der Union in Wirklichkeit tickt.

Die Berichterstattung des „Focus“ lässt sich allerdings auch anders interpretieren. Wenn Scholz mit der Verwendung der Begriffe „Hofnarr“ und „Feigenblatt“ andeuten wollte, Chialos Rolle bestehe vor allem darin, als Schwarzer das Image einer toleranten und weltoffenen CDU aufrechtzuhalten, wäre das rassistisch. Die Titulierung als „Hofnarr“ war so oder so abwertend gemeint. Scholz suggeriert damit, Chialo mit seinem beruflichen Hintergrund im Musikgeschäft sei als Politiker nicht ernst zu nehmen. Ein Spaßmacher sozusagen.

Die jetzt entstandene Debatte dürfte Scholz’ Wahlkampfpläne für die anderthalb Wochen bis zum 23. Februar empfindlich stören. Der Bundeskanzler steht jetzt als jemand da, der sich im privaten Rahmen in der Wortwahl vergreift und nicht klar gegen Rassismus abgrenzen kann, wenn die Kameras aus sind. Seine persönlichen Sympathiewerte sind sowieso schlecht. Hier dürfte er weiteres Vertrauen und Ansehen verspielt haben. Eine bessere Vorlage hätte er CDU/CSU nicht liefern können: Scholz der arrogante Unsympath.

Im „Spiegel“-Interview mit Markus Feldenkirchen sagte der Bundeskanzler folgenden Satz: „Alles kann man mir vorwerfen, aber ganz sicher nicht, dass ich ein Rassist bin.“ Mehrere Journalisten sprangen ihm bei. Allerdings muss man kein Rassist sein, um sprachliche Sensibilität vermissen zu lassen und rassistisch daherzureden. Das ist der eigentliche Vorwurf gegenüber Scholz.

Joe Chialo öffentlich um Entschuldigung zu bitten, kam dem SPD-Politiker bisher nicht in den Sinn. Für Scholz steht offenbar fest, dass er nichts falsch gemacht hat. Fehler machen immer nur die anderen. Ein Olaf Scholz niemals.

Update, 14. Februar: Olaf Scholz hat mit Chialo telefoniert. Der Kultursenator äußerte sich dahingehend, dass er die Worte von Scholz auf der Veranstaltung als herabwürdigend und verletzend empfunden habe.

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