Baha, wer die vergangenen zwei Jahre auf Twitter und X Politik verfolgt hat, kam um deinen Account kaum herum. Jetzt hast du ihn auf inaktiv geschaltet. Warum?
Ich habe immer kommuniziert, dass ich meinen Account nach der Bundestagswahl auf inaktiv stelle. Das hat die vergangenen Jahre neben meiner Arbeit und meinem Privatleben so viel Zeit und Energie gekostet, dass ich ein absehbares Ende definieren musste. Es ist auch immer eine Frage, was für Ziele man sich steckt. Für mich war klar, ich würde mich zurückziehen, wenn der Wahlkampf vorbei ist.
An manchen Tagen liefen über deinen Account bis zu 100 Posts, wenn man Retweets und Kommentare einbezieht. Waren die alle von dir?
Ja. Ich glaube daran, dass man Dinge richtig machen sollte, wenn man sie anfängt. Gute Kommunikation auf Social Media lebt davon, dass man sich aktiv am Diskurs beteiligt und nicht wie ein Megafon ab und zu was raushaut. Es kam auch ein gewisser Suchtfaktor hinzu. Vielen ist nicht bewusst, dass man von Twitter und jetzt X finanziell beteiligt wird, wenn man den blauen Haken und eine Subscription hat. Da gibt es einen entsprechenden Anteil der Werbeeinnahmen.
In den Social Media hat sich der Begriff „Parteisoldat“ etabliert. Das ist jemand, der sich für eine Partei starkmacht, ohne eine offizielle Funktion zu besitzen. So wie du für die CDU. Hast du immer deine Meinung vertreten oder bist du auch in eine Rolle geschlüpft, um auf Parteilinie zu sein?
In den letzten Monaten bin ich zunehmend in die Rolle des Parteisoldaten geschlüpft mit dem Ziel, die Partei zu verteidigen und für den Spitzenkandidaten zu kämpfen, auch wenn Positionen manchmal meiner eigenen Überzeugung widersprachen. Das haben meine Follower auch gemerkt. Es war eine bewusste Rolle, die ich eingenommen habe.
Die Zahl der „Parteisoldaten“ bei allen Parteien ist überschaubar. Sie haben aber einen starken Einfluss, was sich auf X verbreitet. Wie viele Personen umfasst der harte Kern?
Da muss man differenzieren. Mein engster Kreis bestand vielleicht aus einer Handvoll Personen, die ich anfangs teilweise gar nicht persönlich kannte, die jetzt aber Freunde geworden sind. Die nehme ich sehr ernst und denen vertraue ich. Wenn die mir gesagt haben, dass ich einen Tweet besser löschen sollte, habe ich das meist auch getan. Dann kommt ein erweiterter Kreis von etwa 35 bis 50 Personen dazu, den ich mir vor etwa einem Jahr als eine Art Think Tank aufgebaut habe. Das sind ehrenamtliche CDU- und CSU-Mitglieder ohne Mandat, mit denen ich intensiv inhaltlich diskutiert habe. Wir haben uns gegenseitig verstärkt. Dazu gibt es noch Wahlkampfgruppen. Da sind bis zu 400 Personen inklusive Mandatsträgern, die sich untereinander vernetzt haben.
Vor zwei Jahren hast du mir in einem Gespräch gesagt, du wollest den vormedialen Raum bespielen. Was genau war zuletzt deine Mission?
Am Anfang wollte ich einen Raum besetzen, den meine Partei nicht in der Lage war professionell zu bespielen. Dann war ich in diesem Raum und habe den gut gefüllt. Mir fiel allerdings auf, dass es eine riesige Verzerrung gibt. Während ich mich als bürgerlich-konservativer Vertreter permanent rechtfertigen musste, kommst du als jemand aus dem progressiven Lager mit fast jedem Unsinn durch. Ich habe versucht, Journalisten und Meinungsmacher auf diese Verzerrung hinzuweisen, habe manipulative Videoschnitte wie vom „Bericht aus Berlin“ als Beleg geteilt. Im Diskurs hat sich allerdings nichts verbessert. Für mich stand irgendwann fest, dass das progressive Lager, vor allem Rot-Grün, genau diesen Kulturkampf und das Links-Rechts-Schema will. Sie glaubten, davon zu profitieren, wenn sie die Union in die Ecke der AfD rücken.
Welche Schlüsse hast du daraus für dich gezogen? Der letzte Bundestagswahlkampf lief wie der vorherige recht schmutzig ab.
Für mich hat den größten Schaden am politischen Diskurs der Wahlkampf 2021 von Lars Klingbeil verursacht. Dieser schlechte Stil hat mit Raphael Brinkert und seiner Agentur auch bei Wahlkämpfen wie zum Beispiel in Hessen, zur Europawahl und der letzten Bundestagswahl nicht aufgehört. Für mich war damit klar, dass gegen Klingbeilisierung nur Klingbeilisierung hilft. Also mit derselben Methode zurückschlagen. Ich habe mir in der dritten Stufe gesagt: Ich habe einen gewissen Einfluss. Ich tue etwas dagegen. Das hat einige verschreckt, die dann gesagt haben, ich würde abdriften und immer „rechter“ werden, was natürlich Unfug ist. Für mich war in der Zuspitzung der letzten Monate bis zum Wahlkampf Angriff die beste Verteidigung. Leider hat mein eigener Anspruch an „anständiger Polemik“ und „konservativer Gelassenheit“ darunter gelitten und ich habe sicher auch Grenzen des Anstandes überschritten.
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Auf X sind weiterhin viele Politikjournalisten aktiv, die Kritik gewohnt sind. Trotzdem bleibt es auch auf sie nicht ohne Wirkung, wenn jemand mit viel Reichweite einen an den Pranger stellt, zumal sich dann auch andere Accounts auf den Journalisten stürzen. Ging es dir auch darum, Medienschaffende einzuschüchtern?
Das ist nie meine Intention gewesen. Ich habe nie jemanden bei seinem Arbeitgeber verpfiffen. Ich verstehe die Reaktion, dass manche sich dachten: „Oh Gott, jetzt schreibt er was bei mir drunter und dann kommen seine 23.000 Follower nach.“ Doch ist es andersherum genauso. Das gehört zum Spiel dazu. Nur Einschüchterung: niemals! Ich habe auch Tweets gelöscht, wenn mich jemand darum gebeten hat. Lediglich wenn mich jemand als „Faschist“ bezeichnet hat, habe ich mich entschieden, das anzuzeigen, um ein Signal zu setzen.
Inwieweit hast du dich auf bestimmte Themen festgelegt?
Ich habe die Themen ignoriert, die mit meiner Arbeit zu tun haben. Ich habe nichts zu Finanzpolitik gemacht, um hier die Grenze zu wahren. Das war mir sehr wichtig. Ich habe viel zur Migrationspolitik geschrieben, weil es für die Union ein schwieriges Thema ist und sich Bürgerliche mit Migrationsgeschichte zu selten einbringen. Was mich sehr beschäftigt hat, ist der Bias in der medialen Berichterstattung. Politiker haben Angst davor, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, weil es dann immer gleich als Medienbashing gilt. Da üben Parteisoldaten als „fünfte Gewalt“ inzwischen eine wichtige Funktion aus, um Falschmeldungen und Verzerrungen zu korrigieren. Es ist uns auch gelungen, Medienberichterstattung zu korrigieren, indem wir Themen gesetzt und den Bias aufgezeigt haben.
Du hast einen Fulltime-Job als Kommunikationschef der Solaris Bank. Auf X hast du häufig Zitate aus Medienberichterstattung aufgegriffen oder TV-Ausschnitte geteilt. Das zu sichten und aufzubereiten, kostet viel Zeit. Wie ließ sich dein politisches Engagement auf X mit deinem Beruf vereinbaren?
Morgens habe ich Zeit. Da lese ich ab sechs Uhr die wichtigsten Newsletter. Dann habe ich auf dem Weg zur Arbeit noch mal eine knappe Stunde. So hatte ich praktisch die Themen des Tages zusammen. Über den Tag habe ich dann meine Sachen rausgeballert oder reagiert. Mein Twitter-Feed war meist offen. Wenn man in den Themen drinsteckt und meinungsstark ist, muss man nicht alles genau lesen, bevor man etwas tweetet. Fehler sind einkalkuliert. Die meisten Posts habe ich morgens oder abends geschrieben.
Posten ist das eine. Wenn man etwas auf Social Media liest, lässt sich das nicht immer sofort ausblenden. Es beschäftigt einen.
Da triffst du ein bisschen den Nagel auf dem Kopf. Das kannst du nur über einen gewissen Zeitraum halten. Wenn ich bei der Arbeit sehr eingespannt oder unter Zeitdruck war, bin ich auf Twitter auch mal für 24 Stunden verschwunden. Twitter war Teil meines Privatlebens. Jetzt ist erst einmal Ruhe. Meine Familie schätzt es sehr, dass ich nicht mehr so oft am Handy bin. Ich merke selbst, dass es meinen Kopf freimacht und ich über viele Themen ganz anders nachdenke.
Wie hoch war deine Reichweite?
Ich habe während des Wahlkampfes mal geschaut: Da waren es mehr als 16 Millionen Impressions in einem Monat.
Inwiefern warst du in die offizielle Kommunikation der CDU eingebunden? Du hattest mehr Reichweite als die meisten Spitzenpolitiker.
Ich war überhaupt nicht Teil der offiziellen Kommunikation der Union und hatte auch keinen Auftrag. Ich wollte und will das nicht. Ich habe für mich selbst kommuniziert. Wenn ich etwas über die Union geschrieben habe, war das meine eigene Meinung. Mein Spin war mein eigener. Ich habe mich auch nicht abgestimmt. Was ich gemacht habe: Längere Gedankengänge habe ich zum Beispiel dem Pressesprecher der Partei oder der Fraktion geschickt und sie gefragt, was sie davon halten. Insbesondere bei Gesetzgebungsverfahren oder Anträgen fand ich es wichtig zu checken, ob ich als Laie eventuell etwas falsch einordne. Da war die Partei immer sehr responsiv. Ich und meine Bubble wurden auch zu Veranstaltungen eingeladen.
Gab es Versuche von der Union, dich einzustellen oder als Influencer zu bezahlen?
Ich glaube, es wurde mal abgecheckt, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe aber klar gesagt, dass ich einen Job habe und auch nicht zurück in die Politik will. Mein Account und meine Person im öffentlichen Diskurs haben nur funktioniert, weil ich eben nicht in Parteistrukturen verankert bin. Ich war kein Reichweitenverstärker. Ich habe mein Ding gemacht – ehrenamtlich. Man musste mich nicht incentivieren.
War es der Partei recht, dass ihr als „Parteisoldaten“ außerhalb der Partei aktiv wart und trotzdem stark mit ihr assoziiert wurdet?
Wir haben für die Partei eine zusätzliche Plattform geschaffen. Das wurde gerne angenommen. Gleichzeitig haben einige Funktionäre regelmäßig darauf hingewiesen: Das sind Parteisoldaten. Die kommunizieren nicht offiziell für die Partei. Was machen die gerade? Ich glaube, es war wichtig, sich zu jeder Zeit distanzieren zu können. Mein Gefühl aber war, dass unsere Kritik gerne gesehen war. Mit Merz’ Sprecher Hero Warrings habe ich mich regelmäßig ausgetauscht.
In der CDU-Parteizentrale beobachtet man natürlich auch Medien und arbeitet beispielsweise Ausschnitte von TV-Sendungen für Social Media auf. Inwieweit wurdet ihr von der Partei mit Material versorgt?
Wir bekamen Videoausschnitte geschickt, die professionell mit Untertitel versehen waren. Dann mussten wir als Parteisoldaten es nicht mühselig mit Handy selbst machen. Im Wahlkampf hat die CDU das richtig professionalisiert und einen klasse Newsroom aufgesetzt. Was wir mit dem Material gemacht haben, haben wir aber selbst entschieden.
Neben dir gab es eine Reihe von weiteren Personen, die sich auf X für die CDU starkgemacht haben. Inwiefern habt ihr euch koordiniert und überlegt, was ihr an einem Tag kommuniziert?
Wir haben in den Gruppen diskutiert. Ein redaktionelles System gab es nicht dahinter. Und natürlich haben wir unsere Reichweite genutzt und Posts mal einen Push gegeben. Ansonsten habe ich selbst sehr viel gelesen. Ich lese verschiedene Newsletter, höre Podcasts. Eine Zeit lang habe ich keine Talkshow ausgelassen. Ich habe zuletzt auch viele Sachen von Followern geschickt bekommen, was sehr hilfreich war.
Hat sich Friedrich Merz mal bei dir gemeldet?
In der Weihnachtszeit 2023 hat er mich aus heiterem Himmel angerufen. Ich war gerade am Aufräumen und kannte die Nummer nicht. Ich bin dann rangegangen und er meinte, dass er sich dafür bedanken wolle, wie ich mich engagiere. Das fand ich sehr anständig.
Du hast auf X etwa 24.000 Follower. Was passiert mit dem Account?
Vielleicht gebe ich ihn an jemanden ab, der ihn in meinem Interesse betreut. Ich habe auch schon mal jemanden angesprochen – ein CDU-Mitglied. Ich finde seine Tweets klasse und wir teilen denselben Humor. Ich spiele aber auch mit dem Gedanken, mich nach einer Pause wieder in den Diskurs zu begeben. Möglicherweise mit längeren Beiträgen, tiefer einzusteigen und dann in der Diskussion eher mit Kommentaren aktiv zu sein.
Info: Baha Jamous arbeitet als Director People & Corporate Affairs beim Berliner Finanzdienstleister Solaris. Vorher war er unter anderem für Hering Schuppener und als Geschäftsführer Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU Sachsen tätig.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Krise. Das Heft können Sie hier bestellen.